Wie geht es weiter? Wie soll sich die Gesellschaft verhalten? Welche Regeln muss die Politik vorgeben? Fragen, die Angela Merkel seit Beginn der Pandemie beschäftigen. Zu Beginn der Krise wählte die Kanzlerin den Weg einer Fernsehansprache, um ihre Antworten zu präsentieren. Bis zu 30 Millionen Menschen sollen diese, von einigen Medien als "historisch" bezeichnete Rede gesehen haben.
Mehr als ein halbes Jahr später treibt Merkel das Thema noch immer um. Und verbreitet in ihrem wöchentlichen Podcast ihre Botschaft: "Wir sind nicht machtlos gegen das Virus." Das Verhalten jedes Einzelnen sei entscheidend. Das Gebot der Stunde "für uns alle" laute, so die CDU-Politikerin: "Kontakte reduzieren." Zuletzt wiederholte sie deshalb sogar die Videobotschaft der vorherigen Woche, weil ihr neue Worte für diese alten Appell fehlen würden, so Merkel.
Die Infektionszahlen steigen dennoch weiter an. Die Bundesregierung will deshalb neue Maßnahmen beschließen: Weitere Kontaktbeschränkungen, erneute Schließungen in der Gastronomie oder Freizeiteinrichtungen. Unbeliebte Maßnahmen, gegen die einige demonstrieren – die aber die Mehrheit wohl akzeptieren würde, das zeigen auch Umfragen.
Informationen werden "durchgestochen"
Um die Menschen vorzubereiten, wird auf verschiedenen Kanälen informiert. Eine Möglichkeit, die transparente: In Interviews oder auf Social Media erklären Mitglieder der Bundesregierung die Idee eines "Wellenbrecher-Lockdowns". Der andere, weniger transparente Weg: Informationen werden an bestimmte Medien informell weitergegeben, unter Journalisten ist dann von "Durchstechen" die Rede.
Ein Beispiel hierfür ist eine aktuelle "Beschlussvorlage" für das Treffen von Merkel mit den Ministerpräsidenten. Dieses Papier – mit den geplanten Maßnahmen – ist seit der Nacht von Dienstag auf Mittwoch, also gut einen halben Tag vor dem Treffen, in der öffentlichen Welt. Mehrere Medien, darunter RTL, dpa oder die Funke Mediengruppe, haben mehr oder weniger parallel "exklusiv" darüber berichtet. Wie genau sie an die Informationen gelangt sind, verrät keiner.
Deppendorf: Gute Kontakte sind Ein und Alles
Der Journalist Ulrich Deppendorf hat lange für den WDR im politischen Berlin gearbeitet, zuletzt leitete er (bis 2015) das Hauptstadtstudio der ARD. Dass bei bestimmten Ereignissen "Sachen vorher durchgesteckt werden, um die Öffentlichkeit vorab zu informieren", sei auch schon zu seiner aktiven Zeit üblich gewesen, sagte Deppendorf gegenüber dem Deutschlandfunk. "Dass Journalisten gute Kontakte haben, ist das Ein und Alles."
Bei Themen der Unionsparteien und der Bundesregierung, so der Eindruck, sind häufig Zeitungen wie "Welt" und "Bild" besonders früh unterrichtet. "Bild" berichtete bereits Montagabend von einem "Lockdown Light", auf den das Kanzleramt hinwirke. Und Robin Alexander, stellvertretender Chefredakteur der "Welt", macht aktuell auf Twitter öffentlich, bereits Einblick in einen ersten Entwurf der "Beschlussvorlage" gehabt zu haben.
Seit Beginn der Coronakrise bringe die Regierung gezielt "Papiere in die Öffentlichkeit", beobachtet Stephan Detjen, Chef des Hauptstadtstudios des Deutschlandfunks. Seine Erklärung: "Auch um zu alarmieren."
"Informationsfluss noch schneller und komplexer"
Nicht nur Springer-Zeitungen seien grundsätzlich "sehr gut vernetzt", unterstreicht Ulrich Deppendorf. Sein Eindruck: Andere – auch öffentlich-rechtliche Redaktionen – sind immer häufiger "nah dran". Bereits er habe Koalitionsverhandlungen erlebt, aus denen heraus er von Teilnehmern per SMS-Nachricht über Ergebnisse informiert wurde. "Das ist heute gang und gäbe." Insgesamt sei der Informationsfluss in Zeiten von Twitter und WhatsApp noch "schneller und komplexer" geworden.
Für die gut vernetzten Journalistinnen und Journalisten eine positive Entwicklung – für Parteivorsitzende oder die Kanzlerin Angela Merkel eine "ärgerliche", stellt Deppendorf fest.