Wenn ein alter Mensch das Bett nicht mehr verlassen kann oder in den Tod begleitet wird, dann sind auch in saarländischen Heimen Ausnahmen möglich: Dann dürfen etwa die Mutter oder der Vater im eigenen Zimmer aufgesucht werden. Ansonsten sind Treffen lediglich in vorgebuchten Besucherzimmern erlaubt, sofern sie überhaupt eingerichtet wurden, - oder aber außerhalb der Pflegeeinrichtung.
Jetzt in der kalten Jahreszeit werde das problematisch, sagt Holger Gettmann, der sich um seine 93-jährige Schwiegermutter sorgt. Bereits in den ersten sechs Wochen der Pandemie, als die Heime abgeriegelt waren, habe man den Menschen extrem viel zugemutet.
"Das war erschreckend. Wir hatten ja die erste Phase von ungefähr sechs Wochen 'Knast'. Ich kann das gar nicht anders nennen: 'Knast' unter furchtbaren Bedingungen. Wir standen also - meine Frau und ich - unten auf der Straße und haben zu ihr, die auf dem Balkon im zweiten Stock stand, hochgeplärrt und sie runter."
Neue Konzepte gesucht
Bei allem Verständnis für die Unsicherheit in der Anfangszeit der Pandemie sei man in der Bewältigung der Gesundheitskrise doch inzwischen sehr viel weiter. Deshalb müssten Konzepte erprobt werden, um mehr soziale Kontakte und mehr Begegnungen zu ermöglichen. Nur so könne der Vereinsamung der Menschen in den Altenheimen entgegen gewirkt werden, glaubt Gettmann.
"Es ist eigentlich durchgängig, dass ganz viele Menschen Depressionen kriegen, denen fehlen die Reize, deren Lebensqualität geht weg, deren Menschenwürde wird angegangen. Das muss man ganz klar sagen. Das geht in der allgemeinen Panik, die wir hier haben, geht es völlig unter, dass es auch so etwas wie Menschenrechte gibt."
Eine Begegnung außerhalb der gewohnten Umgebung könne die Vertrautheit eines Zimmers nicht ersetzen. Auch die alltäglichen Bedürfnisse seien für Angehörige nur schwer zu erkennen, wenn nicht einmal ein Blick ins Zimmer riskiert werden dürfe. Zuweilen gehe es kleine praktische Probleme, die den an die Grenzen kommenden Pflegekräften nicht auch noch überlassen werden sollten, so Gettmann. "Manchmal muss ich ihr ein lieb gewordenes Kleidungsstück wegnehmen, weil ein Knopf geht oder Schuhe, wo die Absätze nicht stimmen. Das sehe ich ja überhaupt nicht, wenn ich nicht zu ihr rein komme."
Holger Gettmann und seine Frau haben viele Briefe geschrieben an Heim und Behörden, ohne viel zu erreichen. Denn die dem saarländischen Gesundheitsministerium unterstehende Heimaufsicht, möchte an den strengen Regeln momentan nichts ändern. Patrick Unverricht, Referatsleiter im Ministerium für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie.
Selbstkritische Bischöfe
"Ja, wir wissen, diese Situation ist für Heimbewohner sehr belastend. Wenn wir jetzt aber zulassen, dass Besuche in den Bewohnerzimmern stattfinden, ist die zwangsläufige Folge, dass die Angehörigen natürlich durch die Einrichtung gehen. Damit ist immer die Gefahr verbunden, dass andere Bewohner oder auch Mitarbeiter ebenfalls der Gefahr einer Infektion ausgesetzt sind. Da ist unsere Haltung derzeit, dass wir das lieber vermeiden, zumal es ja zahlreiche Möglichkeiten gibt, wie man die Angehörigen treffen kann."
Dem Infektionsschutz müsse unter allen Umständen Vorrang eingeräumt werden, argumentiert Patrick Unverricht. Er sieht sich dabei im Einklang mit den Trägern, deren Hygienekonzepte sich an die vom Land vorgegebenen Regeln halten müssen. Kein Heimbetreiber – ganz gleich ob privat oder konfessionell – habe - so Patrick Unverricht – im Saarland darum gebeten, die Regeln für Bewohner und Angehörige zu erleichtern. Und keiner der vom Deutschlandfunk angefragten Träger, will sich zur saarländischen Corona-Richtlinie äußern. Das gilt auch für die CTS, die Caritas-Trägergesellschaft Saarbrücken.
Sie führt als Dienstleister der katholischen Kirche 13 Seniorenhäuser im Saarland. Doch aus der katholischen Kirche sind zunehmend selbstkritische Töne im Umgang mit der Corona-Krise zu vernehmen. All jenen Menschen, die nicht in vollem Umfang selbstbestimmt handeln könnten, hätte die katholische Kirche im Verlauf der Pandemie mehr Aufmerksamkeit schenken müssen. Diese Auffassung vertrat der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode am Rande der Herbstvollversammlung der deutschen Bischöfe vergangene Woche in Fulda. Bode wörtlich:
"Als Bischöfe müssen wir uns selbstkritisch fragen, ob wir nicht gerade für Alte und Kranke viel früher im Lockdown eine Anwaltschaft hätten wahrnehmen müssen."
Gesunde Balance?
Zu den Mahnern, nicht der Isolation der alten- und pflegebedürftigen Menschen Vorschub zu leisten, zählt Andreas Westerfellhaus, der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung. Er plädiert für einheitliche Ansätze in den Bundesländern.
"Ich kann nicht verstehen, dass es im Saarland eine solche Vorgabe gibt, aber in Nordrhein-Westfalen wird es in den meisten Einrichtungen ermöglicht, also wo, bitte, ist da der Unterschied?"
Es gehe nicht darum, so der Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, Hygiene-Standards abzubauen, sondern für eine gesunde Balance zu sorgen. Schließlich sei für die meisten alten Menschen das Heim mehr als eine Pflegeeinrichtung, es sei ihr Zuhause.
"Es handelt sich um Bewohnerinnen und Bewohner in stationären Langzeitpflegeeinrichtungen, die sich mit ihren Angehörigen entschieden haben, für diesen Lebensabschnitt genau diese Wohnform gewählt haben. Da habe ich kein Recht zu sagen, ich schließe die Tür ab."
Heute wollen die Gesundheitsminister von Bund und Ländern erneut darüber beraten, wie sie zu einheitlichen Ansätzen kommen können.