Das "Corpus Delicti": ein großformatiges Farbfoto, abgedruckt im Südkurier, der in Überlingen am Bodensee erscheinenden Lokalzeitung. Die harmlos klingende Überschrift: "Drei Männer im Schnee".
"Ich sehe den Bodensee, verschneite Dächer der Stadt Überlingen. Und, ja, ich sehe drei Skifahrer auf dem Bild. Die stehen in einem respektvollen Abstand zueinander. Man umarmt sich nicht. Man berührt sich nicht." Marcel Bergelt ist einer der drei abgebildeten Skifahrer. Das Foto, erzählt er, sei spontan entstanden, auf einem Hügel am Stadtrand vor Überlingen, mit zwei weiteren zufällig anwesenden Skifahrern. Doch dann kam Post – vom städtischen Ordnungsamt: "Genau, ich habe eine Verwarnung erhalten von der Stadt Überlingen. Mir wurde zur Last gelegt, dass ich an einer Zusammenkunft von mehreren Personen teilgenommen haben soll. Das war der erste Punkt. Und der zweite Punkt: Mir wurde vorgeworfen, den Mindestabstand missachtet zu haben. Ich weiß auch nicht, wie sie das messen konnten."
"Wie die auf den Abstand kommen? Ja man hatte den Skistecken als Bemessungsgrundlage genommen, die 1,25 Meter. Und dann würde man, weil da noch 25 Zentimeter fehlen, und deswegen hat man quasi die 1,50 um 25 Zentimeter unterschritten und daraufhin diesen Bußgeldbescheid rausgegeben", ergänzt Jürgen Gundelsweiler, der als freier Bildjournalist das Foto geschossen hat. Die Schlussfolgerung des Journalisten, der von Berufs wegen viel mit Foto und Film zu tun hat: "Erst mal denkt man, man wäre im falschen Film."
Und auch ein Radiobeitrag führt zur Bußgeld
Und so denkt nicht nur der Fotograf: "Da denkt man, man ist im falschen Film." Harry Kirchmaier ist Vorsitzender der Überlinger Hänselezunft, einer Narrenvereinigung mit jahrhundertalter Tradition. Und seit Jahrzehnten treffen sich die Hänsele am Dreikönigstag mit ihren langen, peitschenähnlichen Karbatschen zum "Einschnellen" der Fasnacht – in diesem Jahr, völlig anders als sonst, statt im großen Pulk schnellt Kirchmaier am Stadtrand mit einem weiteren Hänsele in gebührendem Abstand. Dennoch kommt auch in diesem Fall Post vom Rathaus:
"Also das ist eine Anhörung im Bußgeldverfahren. Ich werde beschuldigt, als Veranstalter gegen Paragraph zehn Corona-Verordnung eine Veranstaltung abgehalten zu haben. Dann wird ein Radiobericht des SWR erwähnt." Im SWR-Beitrag ist dann auch das lautstarke Karbatscheschnellen zu hören. Aber auch die Beteuerung Kirchmaiers: "Genau, auf die Schanz!" Das war an Dreikönigstag. Heute führt das Ordnungsamt unter anderem einen Radiobeitrag des SWR als Grundlage für den Bußgeldbescheid an. Harald Kirchmaier kann das nicht verstehen: "Also ich bin mir für gar nichts irgendeiner Schuld bewusst. Es ist richtig, dass ich im Radio gesprochen habe, ja, über das Karbatschenschnellen. Ich habe über die Tradition gesprochen."
"Also das ist eine Anhörung im Bußgeldverfahren. Ich werde beschuldigt, als Veranstalter gegen Paragraph zehn Corona-Verordnung eine Veranstaltung abgehalten zu haben. Dann wird ein Radiobericht des SWR erwähnt." Im SWR-Beitrag ist dann auch das lautstarke Karbatscheschnellen zu hören. Aber auch die Beteuerung Kirchmaiers: "Genau, auf die Schanz!" Das war an Dreikönigstag. Heute führt das Ordnungsamt unter anderem einen Radiobeitrag des SWR als Grundlage für den Bußgeldbescheid an. Harald Kirchmaier kann das nicht verstehen: "Also ich bin mir für gar nichts irgendeiner Schuld bewusst. Es ist richtig, dass ich im Radio gesprochen habe, ja, über das Karbatschenschnellen. Ich habe über die Tradition gesprochen."
Kirchmaier will gegen den Bußgeldbescheid vorgehen – eine Konsequenz. Und die andere? Vorsichtig sein, wenn bei der nächsten Aktion nochmals einer mit einem Mikrofon auftaucht: "Als Zeugen wird der Bericht im SWR genannt. Das ist hochgefährlich, absolut. Und wenn denn irgendwelche Aussage, die ich im Radio getätigt habe, weil ich nun mal der Hänsele-Vater bin, wenn das zum Anlass genommen wird oder als Beweismittel irgendwo – lustig ist das nicht mehr, Spaß macht das keinen. Die Gedanken gehen einem im Kopf herum, dass alles, was man sagt, gegen einen verwendet wird."
Einfluss auf die Berichterstattung?
Wenn Ordnungsämter Medienbeiträge als Grundlage für Bußgeldbescheide heranziehen, kann das somit zum medialen Verstummen von potentiellen Interviewpartnern führen – eine bedenkliche Entwicklung. Das sieht auch der freie Bildjournalist Jürgen Gundelsweiler so: "Also ich fühl mich sehr stark beschnitten, weil im Kopf bei mir immer so ein kleines Gespenst rumgeistert: Darf ich das fotografieren, aus der Sichtweise, wenn es abgedruckt wird, ob es dann noch einen Bußgeldbescheid gibt? Ich fühle mich stark eingeschränkt dadurch."
Die Stadt Überlingen schreibt in einer schriftlichen Stellungnahme, man werte Medien keineswegs systematisch aus, um Corona-Verstößen auf die Schliche zu kommen. Allerdings: "Im Fall der Skifahrer war der betreffende Artikel jedoch auffällig im ‚Überlingen-Teil‘ der Lokalzeitung platziert, was eine Kenntnisnahme des Sachverhalts geradezu aufdrängte. Zudem verfolgen wir natürlich die Berichterstattung über die Stadt im Allgemeinen und die Diskussion darüber in den Sozialen Medien, jedoch geschieht dies nicht mit dem Ziel, Corona-Verstöße aufzudecken." Aber wenn ein solcher Verstoß offensichtlich erkennbar sei, müsse man auch handeln – mit entsprechenden Bußgeldern. Das gebiete der Gleichbehandlungsgrundsatz.
"So etwas habe ich als Lokalredakteur von einer Zeitung noch nie erlebt", sagt Stefan Hilser, Leiter der Überlinger Südkurier- Lokalredaktion. Trotz der verhängten Bußgelder: In der Berichterstattung beeinflussen lasse man sich damit nicht. Hilser beruft sich auf "Spiegel"-Gründer Rudolf Augstein: "Dessen berühmtestes Zitat lautet: Sagen, was ist. Wir als Journalisten sagen und zeigen die Wirklichkeit und werden jetzt den Teufel tun, die Wirklichkeit in irgendeiner Weise so hinzubiegen, dass irgendjemand dann von Bußgeldern befreit ist"
"So etwas habe ich als Lokalredakteur von einer Zeitung noch nie erlebt", sagt Stefan Hilser, Leiter der Überlinger Südkurier- Lokalredaktion. Trotz der verhängten Bußgelder: In der Berichterstattung beeinflussen lasse man sich damit nicht. Hilser beruft sich auf "Spiegel"-Gründer Rudolf Augstein: "Dessen berühmtestes Zitat lautet: Sagen, was ist. Wir als Journalisten sagen und zeigen die Wirklichkeit und werden jetzt den Teufel tun, die Wirklichkeit in irgendeiner Weise so hinzubiegen, dass irgendjemand dann von Bußgeldern befreit ist"