Bundeskanzlerin Angela Merkel hat vor der Gefahr einer Ausbreitung von Coronavirus-Mutationen in Deutschland gewarnt. Man stehe vor acht bis zehn sehr harten Wochen, sagte Merkel nach Auskunft mehrerer Teilnehmer in der AG Sicherheit der Unions-Bundestagsfraktion. Die Entwicklung in Irland habe gezeigt, wie schnell sich das Virus ausbreiten könne. Dort habe es innerhalb kurzer Zeit eine Verzehnfachung der Infektionszahlen gegeben. Von "Bild"-Online war Merkel mit den Worten zitiert worden, es würden noch acht bis zehn Wochen harte Maßnahmen benötigt.
Im Deutschlandfunk sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), dass man nicht glauben solle, dass ab dem 1. Februar alle Einschränkungen zurückgenommen werden.
Im Deutschlandfunk sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), dass man nicht glauben solle, dass ab dem 1. Februar alle Einschränkungen zurückgenommen werden.
Auch Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) erklärte, er wolle nicht darüber spekulieren, wann die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie beendet werden könnten. Die Bekämpfung der Pandemie werde eine große Aufgabe der kommenden Monate sein, sagte der SPD-Politiker in einem Reuters-Interview.
Im Deutschlandfunk mahnte nun der Epidemiologe Gérard Krause, Leiter der Abteilung Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig, den Schutz von Risikogruppen in der Coronapandemie an. Krause sagte im Deutschlandfunk, wenn es nicht gelinge, spätestens jetzt den Hygiene- und Infektionsschutz in Alten- und Pflegeheimen sowie in geriatrischen Kliniken zu verstärken, werde eine große Zahl von Todesfällen zu beklagen sein.
Lesen Sie hier das Interview im Wortlaut:
Stefan Heinlein: Beginnen wir mit der heutigen (12.01.2021) Aussage der Kanzlerin, es werden acht bis zehn harte Wochen für Deutschland. Hat Angela Merkel recht mit ihrer Einschätzung?
Gérard Krause: Ich denke auch, dass es noch ganz schön schwierig sein wird in den kommenden Wochen und dass wir die Lage weiter sehr ernst nehmen müssen. Ich habe diesen Zeithorizont mehr in dem Kontext gesehen, dass das die Phase ist, in der wir wirklich noch Wintermonate haben, die, wie wir jetzt ja erlebt haben und auch bemerkt haben, ganz maßgeblich das Geschehen mit beeinflussen, und dass wir zusätzlich auch eine Situation haben, in der wir noch nicht so genau einschätzen können, wie die neue Variante, die jetzt in England sich verbreitet, sich hier in Deutschland auswirken wird.
Heinlein: Warum ist das Virus im Winter gefährlicher als im Sommer?
Krause: Das sind verschiedene Faktoren, die zusammenkommen: Kalte Temperaturen, hohe Luftfeuchtigkeit und geringe UV-Strahlung. Das sind alle drei Faktoren, die die Überlebensfähigkeit und die Verbreitungsfähigkeit damit auch der Viren erhöhen.
Dazu kommt dann zusätzlich, dass man bei kalten Temperaturen gezwungen ist, in geschlossenen Räumen sich aufzuhalten. Diese vier Faktoren dann zusammen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass eine Übertragung stattfindet.
"Muss ja immer auch die unerwünschten Wirkungen mitdenken"
Heinlein: Würde es denn schneller gehen, würde das Virus wirksamer bekämpft werden können, wenn der Lockdown härter wäre, wie etwa in China mit Ausgangsbeschränkungen und schärferen Kontrollen, trotz des Winters?
Krause: Möglicherweise. Man kann zumindest mal die Verbreitung der Gesamtzahlen, der Fälle in der Gesamtpopulation damit verringern. Aber man muss ja immer auch die unerwünschten Wirkungen mitdenken und mitbetrachten. Und dann darf man sich auch nicht der Illusion hingeben, dass dadurch allein die Todesfälle deutlich reduziert werden können, denn die finden in einer Art Mikrokosmos statt, nämlich in den Alten- und Pflegeheimen, in denen ein Lockdown ja per se erst mal nicht wirkt.
Ich kann sämtliche Busse stilllegen und trotzdem findet das Leben in den Altenheimen statt. Deswegen: Wenn es uns nicht gelingt, spätestens jetzt den Hygieneschutz und den Infektionsschutz in den Alten- und Pflegeheimen, in den geriatrischen Kliniken massiv zu verstärken, dann werden wir leider trotzdem noch eine große Zahl von Todesfällen beklagen müssen.
Heinlein: Ist die aktuelle Impfstrategie, erst die Alten, die Schwachen der Gesellschaft, die Pflegeheime, die Menschen in den Pflegeheimen zu impfen, sinnvoll auch aus Ihrer Sicht des Epidemiologen?
Krause: Absolut! Ich unterstütze diese Empfehlung der Ständigen Impfkommission wirklich. Die ist wirklich sehr ausgewogen und entlang der Daten, die wir kennen.
Begibt sich mit einer Impfpflicht in eine schwierige Situation
Heinlein: Halten Sie denn die von Markus Söder heute ins Spiel gebrachte Impfpflicht für Pflegekräfte sinnvoll vor dem Hintergrund, den Sie gerade geschildert haben?
Krause: Das Personal in den Pflegeheimen auch zu impfen, ist durchaus auch sinnvoll. Erstens mal sind sie potenziell auch mehr exponiert. Aber außerdem kommen sie auch als Überträger in Frage.
Wir wissen allerdings nicht, inwieweit die Impfung signifikant vor Übertragung schützt. Diese Erkenntnisse liegen noch nicht hinreichend vor. Man kann zwar annehmen, dass Menschen, die geimpft sind, auch eine geringere Wahrscheinlichkeit haben, die Infektion zu übertragen, aber die Studien, die jetzt gemacht worden sind zur Impfung, die haben das nicht zum Messparameter gehabt. Das heißt, wir wissen es bis jetzt nicht. Das ist ein Grund, weshalb man mit so einer Impfpflicht vorsichtig umgehen sollte.
Wir wissen allerdings nicht, inwieweit die Impfung signifikant vor Übertragung schützt. Diese Erkenntnisse liegen noch nicht hinreichend vor. Man kann zwar annehmen, dass Menschen, die geimpft sind, auch eine geringere Wahrscheinlichkeit haben, die Infektion zu übertragen, aber die Studien, die jetzt gemacht worden sind zur Impfung, die haben das nicht zum Messparameter gehabt. Das heißt, wir wissen es bis jetzt nicht. Das ist ein Grund, weshalb man mit so einer Impfpflicht vorsichtig umgehen sollte.
Außerdem bin ich grundsätzlich der Meinung, dass wir eine Impfpflicht eigentlich nicht einführen sollten. Wenn die Impfung gut genug und gut verträglich ist, dann sind die Argumente offenkundig genug und dann sollte es durch gute Information und Überzeugung ausreichen. Denn mit einer Impfpflicht begibt man sich auch in eine sehr schwierige Situation insgesamt – insbesondere dann, wenn es sich um eine Impfung handelt, die noch nicht so lange im Gebrauch ist.
Heinlein: Sind diese Studien über die Auswirkungen der Impfungen bereits auf dem Weg? Werden wir in absehbarer Zeit, in den kommenden Wochen dazu Erkenntnisse handfest bekommen?
Krause: Das wird methodisch schwierig, das in kurzer Zeit zu bringen. Anders als bei einer klinischen Studie, wo es um den Schutz des Individuums geht, ist der Schutz der Übertragung oder die Vermeidung der Übertragbarkeit methodisch schwieriger zu untersuchen und braucht auch eine längere Zeit. Insofern werden wir diese Informationen nicht sehr schnell in kurzer Zeit verfügbar haben. Es genügt aber, glaube ich, die Annahme, dass die Impfung auch zum Teil zumindest vor Übertragung schützen wird. Das ist sicherlich schon mal eine gute Motivation.
Dazu kommt ja auch die Motivation, dass die Menschen, die geimpft sind, dann auch geschützt werden vor der Erkrankung. Das sollte eigentlich als Argument genügen. Ich würde nicht raten, jetzt das Thema Impfpflicht zu diskutieren.
"Wir sind noch weit davon entfernt, Effekte der Impfungen zu sehen"
Heinlein: Wie lange wird es, Herr Professor Krause, denn dauern, bis wir die Auswirkungen der Impfungen – es werden ja jeden Tag mehr, 690.000 mittlerweile in Deutschland – zu spüren bekommen? Wann wird der Punkt kommen, an dem die Zahlen zurückgehen, die Infektionszahlen, weil immer mehr geimpft wird?
Krause: Wenn es jetzt gelingt, die Impfpriorisierung so stringent durchzuhalten und dann einen sehr hohen Anteil der Personen mit hohem Risiko zu impfen, dann würden wir auch tatsächlich merken, dass die Zahl der Todesfälle und die Zahl der schweren Erkrankungen zurückgeht. Aber dafür bräuchten wir wirklich die Mehrheit der Personen, die Hochrisikopersonen sind, also Menschen über 80, Menschen mit vielen Zusatzerkrankungen, dass diese Menschen zum Großteil geimpft sind. Dann sollten wir auch einen entsprechenden Effekt sehen. Aber da sind wir noch weit von entfernt, denn das ist ja doch eine relativ große Bevölkerungsgruppe.
Heinlein: Weit von entfernt. Das heißt, es wird noch Wochen dauern?
Krause: Ja. Ich würde mir wünschen, dass wir nicht immer nur über Lockdown und Shutdown reden, sondern dass wir auch die anderen drei Bereiche mit bedenken und genauso intensiv verstärken. Da ist an erster Stelle der Schutz der Personen mit sehr hohem Risiko. Dann kommt als nächstes die therapeutische Betreuung, die frühe Überwachung von Patienten, die positiv getestet worden sind und die entsprechend auch ambulant schon betreut werden können, so dass verhindert werden kann, dass sie vielleicht stationär behandelt werden müssen.
Heinlein: Schutz von Menschen mit hohem Risiko. Macht in diesem Zusammenhang der bayerische Vorstoß, FFP2-Maskenpflicht in öffentlichem Nahverkehr, Sinn?
Krause: Ja, unter gewissen Voraussetzungen. Die Voraussetzung muss natürlich sein, dass diese Masken verfügbar sind und auch auf gerechte Weise verfügbar sind. Wenn das gegeben ist, dann ist schon zu erwarten, dass das eine Verbesserung bringt, und zwar aus folgenden Gründen. Die FFP2-Masken sind so gebaut, dass sie insbesondere den Eigenschutz deutlich verbessern. Zum anderen ist es so, dass die anderen Arten von Mund-Nasen-Bedeckung, die wir vielfach hier sehen – das ist ein ganz buntes Bild -, dass die zum großen Teil nicht wirklich gut getragen werden oder zum Teil zumindest nicht gut getragen werden.
Man sieht immer wieder, dass die Nase dann doch frei bleibt, dass die Materialien, die dort verwendet werden, möglicherweise nicht geeignet sind, und dass das alles zusammen dazu führt, dass der Schutz dieser allgemeinen Mund-Nasen-Bedeckung nicht so gut ist wie der Schutz der FFP2-Maske. Insofern kann man schon erwarten, dass daraus eine Besserung resultiert, aber die Bedingung muss natürlich sein, dass die dann auch verfügbar sind, und zwar für jeden, den es betrifft.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.