Das Bundeswirtschaftsministerium schätzt, dass im Jahr 2020 rund fünf Milliarden Euro zu viel an Corona-Soforthilfen ausgezahlt wurden. Erhalten haben diese Gelder demnach auch Personen, die gar keinen Anspruch auf die Mittel gehabt haben. Anderer erhielten mehr, als ihnen zugestanden hätte. Jeder Fünfte, der damals Corona-Soforthilfen empfangen hat, soll das Geld nun ganz oder teilweise zurückzahlen.
Nach Recherchen von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung wurden im Frühjahr 2020 circa 1,8 Millionen Anträge mit einem Volumen von rund 13 Milliarden Euro an Bundesmitteln bewilligt. An die Empfängerinnen und Empfänger verteilt wurde das Geld durch die Bundesländer, die laut Süddeutscher Zeitung nochmal mehr als drei Milliarden Euro dazugaben.
Was war die Corona-Soforthilfe?
Ein in kurzer Zeit aufgelegtes Förderprogramm des Bundes. Es sollte schnell und unbürokratisch funktionieren und Kleinstunternehmen sowie Soloselbstständige vor dem drohenden finanziellen Ruin bewahren. Denn während der coronabedingten Einschränkungen brachen z. B. Friseursalons, Kosmetikstudios, Bars oder Kunstschaffenden schnell die Aufträge weg.
Für welchen Zeitraum gab es die Corona-Soforthilfe?
Die Corona-Soforthilfe des Bundes konnte zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 für einen dreimonatigen Förderzeitraum beantragt werden. In Nordrhein-Westfalen konnten beispielsweise Anträge vom 27. März bis zum 31. Mai 2020 gestellt werden.
Wie hoch war die Corona-Soforthilfe?
Die Höhe der Gelder hing von der Größe des jeweiligen Unternehmens ab. Nach Informationen des Bundeswirtschaftsministeriums vom 30. März 2020 erhielten Soloselbstständige oder Kleinstunternehmen mit bis zu fünf Vollzeitbeschäftigten eine Einmalzahlung in Höhe von bis zu 9.000 Euro. Bei einer Betriebsgröße von bis zu zehn Beschäftigten lag die Summe bei bis zu 15.000 Euro.
Wie viel Geld die Antragssteller im Einzelfall tatsächlich erhalten hatten, war nicht zuletzt von ihrem Wohnort abhängig. Denn für die Auszahlung der Bundesmittel waren die Bundesländer zuständig. Manche Länder haben nur einen Teil der vom Bundeswirtschaftsministerium genannten Summe gezahlt, die ja ausdrücklich mit dem Zusatz „bis zu“ gekennzeichnet war. Nordrhein-Westfalen hatte hingegen beschlossen, pauschal den jeweiligen Höchstbetrag auszuzahlen.
Warum werden Rückzahlungen gefordert?
Kurz gesagt: Weil das Bundeswirtschaftsministerium Druck macht. Die Bundesländer sollen prüfen, welche Personen entweder gar nicht oder vielleicht auch nur teilweise berechtigt waren, die Soforthilfen zu bekommen.
Das Ministerium schätzt, dass ungefähr fünf Milliarden Euro zu viel ausgezahlt wurden (von rund 13 Milliarden). Zwar wurden von diesen fünf Milliarden mittlerweile bereits rund 3,5 Milliarden wieder zurückbezahlt (von ca. 550.000 Unternehmen und Selbstständigen). 1,5 Milliarden Euro sind an Rückforderungen aber noch offen.
Mit ihren Rückforderungen befinden sich Bund und Länder in einem Dilemma: Einerseits lässt es ihre Behörden als „Buhmann“ erscheinen, wenn sie Hilfsgelder, die damals als schnell und unbürokratisch angekündigt wurden, nun von den sprichwörtlich „kleinen Leuten“ wieder zurückfordern. Andererseits haben sie die Pflicht, mit Mitteln, die letztendlich aus Steuergeldern finanziert wurden, verantwortungsvoll umzugehen.
Wie viele Klagen gegen die Rückforderungen gibt es?
Zahlreiche Betroffene gehen derzeit gerichtlich gegen die Rückzahlung vor. Deutschlandweit sind mehr als 5.500 Verfahren bekannt. Wie WDR, NDR und Süddeutsche Zeitung unter Berufung auf eine Umfrage berichten, gibt es alleine in Nordrhein-Westfalen rund 1.800 Klagen bei Gericht gegen Rückforderungen. Das sei der Spitzenwert unter den Bundesländern.
Danach folge Baden-Württemberg mit mehr als 1.100 Klagen. Etwa die Hälfte aller Verfahren ist bislang noch nicht abgeschlossen.
Was kritisieren Betroffene und andere Akteure?
Hauptsächlich fehlende Klarheit und Transparenz bei den damaligen Förderbedingungen – zum Beispiel hinsichtlich der Frage, ob Antragssteller das Geld irgendwann zurückzahlen müssen oder nicht.
Ein Beispiel aus Nordrhein-Westfalen: Hier hatte es 2020 offenbar besonders viele Änderungen an den „FAQ“ auf der Webseite zur Corona-Soforthilfe gegeben – also in dem Bereich, in dem häufig gestellte Fragen zu der Hilfsmaßnahme beantwortet wurden.
Journalistin Helene Fröhmcke, die über das Thema für den WDR recherchiert, gab im Deutschlandfunk ein Beispiel: „In Nordrhein-Westfalen hat man am Anfang beschlossen: ‚Okay, wir zahlen pauschal den Höchstbetrag aus‘. Wenn ich jetzt z. B. eine Friseurin war und hatte eine Mitarbeiterin, dann habe ich 9.000 Euro bekommen. Und dann sind die eben zum Teil davon ausgegangen: ,Okay, das muss ich dann auch nicht zurückzahlen.‘ Es gab z. B. in den FAQs eine Angabe am Anfang, dass man damit auch seinen Lebensunterhalt finanzieren kann – und die Angabe war dann aber drei Tage später einfach nicht mehr auf der Webseite zu sehen.“
Insgesamt hätten sich in Nordrhein-Westfalen die Bedingungen auf den Webseiten 15 Mal in zehn Wochen geändert, so Fröhmke.
Marion A., Friseurin aus Siegburg in Nordrhein-Westfalen und Empfängerin der Soforthilfe, kritisiert rückblickend auch die Aussagen des damaligen Bundesfinanzministers und heutigen Bundeskanzlers. Im Deutschlandfunk Kultur sagte sie: „Ich hatte natürlich überhaupt nicht die Idee, dass sie das zurückwollen, weil Herr Scholz in seiner damaligen Funktion eindeutig gesagt hat, es soll eine echte Hilfe sein und kein Kredit. Aber es änderten sich dann wöchentlich die Bedingungen.“
Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster hatte bereits im März 2023 geurteilt, dass Rückforderungen in drei Musterverfahren rechtswidrig waren – und kritisierte die bundesweite Soforthilfe als „handwerkschlich offenbar schlecht umgesetzt“, berichtet tagesschau.de.
Auch der Bundesrechnungshof kritisierte das Vorgehen und spricht von unklaren Anspruchsvoraussetzungen. Das Bundeswirtschaftsministerium widerspricht und teilte mit, es habe bereits vor dem Start der Antragstellung im März 2020 durch ein Eckpunkte-Papier die Förderkonditionen des Bundesprogramms transparent kommuniziert.
Wie könnte es weitergehen?
Personen, bei denen ein Verdacht besteht, dass sie damals mehr Geld erhalten hatten, als ihnen tatsächlich zustand (oder die vielleicht überhaupt nicht dazu berechtigt waren), wurden teilweise bereits vom zuständigen Landesministerium angeschrieben – oder werden es womöglich noch. Festzuhalten ist: Der Fortschritt bei den Rückforderungen ist in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich.
Während Nordrhein-Westfalen verhältnismäßig viele Rückforderungen versandt hat, haben andere Bundesländer noch gar nicht damit begonnen. Unklar ist derzeit auch, ob die Personen, die gegen die Rückzahlungen geklagt haben, letztendlich bezahlen müssen.
Der Bundesrechnungshof sieht zumindest ein gewisses Risiko, dass die Rückforderungen scheitern.
jma