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Corona-Sorgen im Dreiländereck
Wo die Wiederbelebung der Grenzen Spuren hinterlässt

In Frankreich und Luxemburg war die Irritation groß, als Deutschland einseitig die Straßen verbarrikadierte und aus Angst vor der Coronavirus-Ausbreitung die Grenzübergänge schloss. Plötzlich spielte die Herkunft wieder eine Rolle. Dabei waren die Grenzen im Dreiländereck schon fast vergessen.

Von Tonia Koch |
Das Ortsschild von Schengen in Luxemburg ist mit einem schwarzen Stoffband umwickelt – eine Aktion von Einwohnern, die enttäuscht sind von den innereuropäischen Grenzschließungen während der Coronakrise
Im luxemburgischen Örtchen Schengen tragen die Ortsschilder zum 25. Jahrestags des Schengener Abkommens Trauer - eine Aktion von Einwohnern, die enttäuscht sind von den Grenzschließungen während der Coronakrise (Deutschlandradio / Tonia Koch)
Der Coronavirus-Ausbruch im südlichen Elsass Anfang März hatte Folgen für die gesamte Region. Das Robert-Koch-Institut stufte den gesamten französischen Osten als Risikogebiet ein. Damit grenzten die Schweiz, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, das Saarland sowie Luxemburg und Belgien an den französischen Corona-Hotspot. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) ordnete ab 16. März Grenzkontrollen an. Zwei Tage später waren sämtliche kleinen Übergänge im Saarland, mehrere Dutzend nach Frankreich und Luxemburg verbarrikadiert.
Insbesondere aus Luxemburg kam Protest. "Wir fühlen uns ungerecht behandelt hier in unserem regionalen Leben, wo die Leute seit mehr als 25 Jahren keine Grenze mehr kennen, Lebensgewohnheiten aufeinander abgestimmt haben", sagte der Bürgermeister der luxemburgischen Moselgemeinde Remich, Jacques Sitz, am Europa-Tag, einem luxemburgischen Feiertag am 9. Mai. "Sie haben einen gemeinsamen Lebensstil aufgebaut in all den Jahren und das wurde jetzt abrupt, einseitig von der deutschen Seite unterbrochen."
Gitter und Schilder, weisen am 24.3.2020 darauf hin, dass der deutsch-luxemburgischen Grenzübergang  geschlossen ist.
Die Schließung des deutsch-luxemburgischen Grenzübergangs im März hat in Luxemburg für Empörung gesorgt (imago / Becker & Bredel)
"Der Schengen-Raum wird infrage gestellt"
Luxemburg dagegen hat wegen Corona keine Grenzkontrollen erlassen. Dennoch erhöhten die Kontrollen auf deutscher Seite etwa den Rückstau für Grenzpendler um ein Vielfaches. "Unsere Bürger können nicht mehr in ihren Geschäften auf der deutschen Seite einkaufen. Deutsche Bürger, die hier in Luxemburg wohnen, aber einen deutschen Pass haben, die dürfen das ohne Probleme", beschwerte sich Sitz. "Es wird national gesehen ein großer Unterschied gemacht: Die Deutschen dürfen alles, die Luxemburger dürfen nichts mehr."
Das habe Spuren hinterlassen, sagt die Luxemburgerin Madeleine: "Ich gehe noch mal nach Trier, aber so schnell zum Einkaufen nicht mehr, weil wir Luxemburger boykottiert wurden. Sie konnten rüber kommen und wir durften nicht und das ist nicht richtig für Europa." Die Saarländerin Jenny, die in einer Tankstellenfiliale in Luxemburg arbeitet, hat Verständnis dafür, dass die Luxemburger beleidigt seien. "Ich kenne Europa und mein Land, meine Ecke hier kenne ich so nicht. In meinem Kopf sind die Grenzen nicht, für mich ist das Neuland."
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn glaubt, die von mehreren Ländern erlassenen Grenzkontrollen gefährdeten das Erfolgsmodell Schengen - Symbol der europäischen Reisefreiheit: "Wir leben doch eigentlich in einer Zeit, in der wir den 25. Jahrestag von Schengen feiern sollten. Aber in 15 der 26 Schengen-Staaten haben wir entweder Kontrollen oder die Grenzen sind zu. Und wir sind in der Situation, dass der Schengen-Raum, für den wir in der ganzen Welt beneidet werden, infrage gestellt wird."
Das Schengener Abkommen
Vor 25 Jahren feierten viele Europäerinnen und Europäer den Wegfall von Grenzkontrollen: Am 26. März 1995 setzten sieben Staaten – Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg, die Niederlande, Portugal und Spanien – das Schengener Durchführungsübereinkommen in Kraft. Heute umfasst der Schengen-Raum insgesamt 26 Staaten: 22 der 27 EU-Mitgliedsstaaten sowie die Nicht-EU-Mitglieder Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz. Das Abkommen sieht auch eine verstärkte Zusammenarbeit von Polizei und Justiz, eine gemeinsame Visa-Politik sowie gemeinsame Regeln für die Kontrollen an den Außengrenzen vor.
"Die Gespenster von vor 75 Jahren kommen zurück"
Im luxemburgischen Örtchen Schengen selbst tragen die Ortsschilder zum Jubiläum Trauer. Sie sind mit schwarzen Stoffbändern umwickelt - eine Aktion von Einwohnern. Bürgermeister Michel Gloden sagt: "Sehr viele Leute sind absolut enttäuscht über die Schließung der Grenzen." Die Winzer zum Beispiel hätten Weinberge auf beiden Seiten der Grenze. Zuweilen habe es am Fingerspitzengefühl der Bundespolizisten gefehlt: "Man hat mehrmals erlebt, dass die gleiche Person dienstags ein Argument vorgebracht hat und dann wurde gesagt, das ist ein triftiger Grund, damit kannst du die Grenze passieren und donnerstags stand ein anderer Beamter da und der hat gesagt, das geht nicht. Die Richtlinien lagen sehr im Ermessen des Beamten."
Der Luxemburger Erzbischof Jean-Claude Hollerich mahnt: "Wenn die Grenzen geschlossen sind, dann kommen doch die Gespenster von vor 75 Jahren wieder zurück. Die brauchen wir definitiv nicht in Europa." Es werde wohl dauern, die Wunden dieser Politik der Ausgrenzung, die von seinen Landsleuten nicht verstanden worden sei, wieder zu heilen. "Es wäre schön, wenn der Spuk vorbei ist sozusagen, dass man an den Grenzen symbolische Aktionen machen könnte – mit hoher Politikerbeteiligung, um zu zeigen wie wichtig das Miteinander in Europa ist."
Ein Beamter der schweizerischen Grenzwache steht am Grenzübergang an der A5 in Weil am Rhein
Schengen ausgesetzt - Die deutsche Grenzpolitik in Zeiten von Corona
Im Kampf gegen das Coronavirus wurde an vielen deutschen Grenzen das Schengen-Abkommen ausgesetzt. Eine bundesweit einheitliche Grenzpolitik gibt es jedoch nicht.
Ende der Grenzkontrollen seit Mitte Mai
Lange hat es gedauert. Erst Mitte Mai – nach zwei Monaten - signalisierte Horst Seehofer in der Grenzfrage ein Einsehen: "Zunächst Luxemburg, da werden wir die Binnengrenzkontrollen mit Ablauf des 15. Mai beenden. Das erlaubt die Gesamtlage und auch die Erfahrung der Bundespolizei in den letzten Wochen."
Die politischen Gesten, wie von Kardinal Hollerich eingefordert, ließen nicht lange auf sich warten. An symbolischem Ort, auf der Schengener Brücke, trafen sich noch am 15. Mai, unmittelbar nach der Ankündigung, der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) und sein luxemburgischer Amtskollege Jean Asselborn. "Wir zeigen heute", so Asselborn, "dass Schengen vom Virus nicht besiegt wurde, dass Schengen wieder zum Leben erwacht."
Zaghaft kehrte an diesem Samstag ein Stückchen Normalität im Dreiländereck zurück - wenn auch eine mit Abstandsregeln, Mundschutz und Desinfektionsmitteln. Aber eine, die für alle gleich ist.
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD, l) und sein luxemburger Amtskollegen Jean Asselborn stehen auf dem Platz vor dem Europäischen Museum in Schengen. In der Nacht wurden die Grenzen zwischen Deutschland und Luxemburg wieder geöffnet, die zuvor wegen der Bekämpfung des Coronavirus geschlossen wurde.
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD, links und sein luxemburgischer Amtskollege Jean Asselborn auf dem Platz vor dem Europäischen Museum in Schengen (dpa . Oliver Dietze)
Aufarbeitung der neuen Grenzerfahrung hat begonnen
Das europäische Zentrum für Grenzraumforschung, das "Center for Border Studies", hat bereits damit begonnen, das Geschehen wissenschaftlich aufzuarbeiten. Untersucht wurde zum Beispiel die Sprache, das Bemühen, die Krankheit als etwas Fremdes, Importiertes darzustellen und so die Schuld anderen zuzuweisen.
"Was hier passiert ist, hätte nie passieren dürfen", sagt Saarbrückens Bürgermeister Uwe Conradt (CDU). Fußwege, Fahrradwege, Gassen und Straßen in Saarbrücken, die in die Wohngebiete der französischen Nachbarn führten, wurden verbarrikadiert. "Ich glaube, dass unbegründete Ängste hervorgerufen worden sind im Miteinander zwischen Deutschen und Franzosen und dass es einen Stimmungswandel gegeben hat diesseits und jenseits der Grenze."
Sie wollten keine künstliche Trennung ihrer zusammengewachsenen Gemeinschaft mehr, auch nicht in Krisenzeiten, betont der SPD-Politiker Dieter Peters aus Völklingen im Saarland. "Ich möchte die Unterscheidung nicht, der Franzose und der Deutsche, das brauche ich nicht mehr, diese Unterscheidung zu machen, dass das andere Menschen sind als wir, dafür habe ich kein Verständnis mehr."
Der 69 Jahre alte Musiker und Entertainer Marcel Adam aus dem französischen Lothringen hat bemerkt, dass sich bei seinen Landsleuten, die in Deutschland arbeiten und täglich pendeln, Unmut aufgestaut hat. Manch ein französischer Arbeitnehmer sei zur Zielscheibe geworden. "Es gab wirklich ein paar blöde Sachen, dass Eier geworfen worden sind auf Autos, dass Autos zerkratzt worden sind." Die Leichtigkeit im Miteinander sei gewichen, aber nicht verloren, glaubt er: "Ein paar Ressentiments werden bleiben, aber ich denke, das wird sich sehr schnell wieder aufbauen."
France's 'Grand Est' region President Jean Rottner looks on as he leaves the Elysee Palace after a working lunch {var DanaWithTmpArray = new Array();(DanaWithTmpArray[0] = ith }the French President on February 26, 2019, in Paris. LUDOVIC MARIN / AFP
"Beleidigungen von Grenzgängern sind populistische Reflexe"
Die deutsche Grenzschließung sei unabgestimmt gewesen, sagte Jean Rottner, Präsident des Regionalrates der französischen Region Grand Est, im Dlf.
Grenzüberschreitende Pandemiepläne gefordert
Auch in der medizischen Versorgung werden erste Lehren aus dem Umgang mit der Corona-Pandemie im Dreiländereck sichtbar. "Europa hat im Gesundheitsbereich nicht funktioniert", resümiert der junge französische Arzt Laurent Vaudevier, der auf der COVID-19-Station des Krankenhauses in der französischen Kleinstadt Saargemünd arbeitet, wenige Kilometer von der deutschen Grenze entfernt. "Jedes Land hat sich um sich gekümmert, und das ist doch wirklich bedauerlich, denn wenn man gemeinsam vorgegangen wäre, dann wären wir besser durch die Pandemie gekommen und es hätte weniger Tote gegeben."
Automatismen der grenzüberschreitenden Aufnahme von Herzinfarktpatienten hätten während der Coronakrise weiter funktioniert, aber nicht auch bei der Versorgung von COVID-19-Patienten angewendet werden können, berichtet Cem Özbek, Chefarzt der Kardiologie am Völklinger Herzzentrum. Das müsse sich über grenzüberschreitende Pandemiepläne dringend und sehr schnell ändern.