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Corona-Sorglosigkeit auf Mallorca
Weltärztepräsident: Nicht davor zurückschrecken, Quarantäne anzuordnen

Die Sorglosigkeit vieler Mallorca-Urlauber sei ein "ganz großer Fehler", sagte der Vorstandsvorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, im Dlf. Die Regierung dürfe nun nicht davor zurückschrecken, für Rückkehrer 14 Tage Quarantäne anzuordnen.

Frank Ulrich Montgomery im Gespräch mit Philipp May |
Auf der so genannten Bierstraße auf Mallorca ist viel los, Sicherheitsabstände werden offenkundig nicht durchgängig eingehalten, Masken als Mund-Nase-Schutz werden kaum getragen
Auf der so genannten Bierstraße auf Mallorca ist viel los, Sicherheitsabstände werden offenkundig nicht durchgängig eingehalten, Masken als Mund-Nase-Schutz werden kaum getragen (imago)
Experten hatten vorab gewarnt, dass die Reisezeit im Sommer zu einem erneuten Anstieg der Corona-Infektionen in Deutschland führen könnte, und die Bilder von feiernden Touristen am Wochenende auf Mallorca lassen in der Tat nichts Gutes verheißen. Und so sahen sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und der Chef des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, am Vormittag sich zu eindringlichen Appellen veranlasst.
Auch auf Mallorca selbst wird debattiert, wie man mit sorglosen Touristen umgehen soll. Eigentlich hatte die Regionalregierung eine verschärfte Maskenpflicht angekündigt, doch die lässt auf sich warten. Über die daraus resultierenden Gefahren haben wir mit dem Vorstandsvorsitzenden des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, gesprochen.
Philipp May: Wird Malle zum zweiten Ischgl?
Frank Ulrich Montgomery: Die Gefahr besteht!
May: Ja?
Montgomery: Die Menschen machen einen ganz großen Fehler. Sie glauben, wenn sie nach Mallorca fahren, könnten sie Urlaub von Corona machen. Das geht aber nicht. Wir machen überall heute Urlaub mit Corona. Es geht also nicht, im Urlaub sich anders zu verhalten als zuhause, sondern da, wo Hotspots sind, da, wo Infektionsgefahr besteht, gelten die Regeln ganz streng weiter. Sonst muss man nach dem Malle-Urlaub mal zwei Wochen in Quarantäne. Das will aber keiner.
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May: Wie erklären Sie sich die Sorglosigkeit?
Montgomery: Ich erkläre mir die Sorglosigkeit auf drei verschiedenen Ebenen. Die erste ist: Wir haben den Menschen durch den Föderalismus, durch die völlig unterschiedlichen Regelungen, die wir haben, das Vertrauen genommen, dass die Regelungen streng, einheitlich und gleich gelten sollten. Jedes Bundesland macht was anderes; das geht nicht durch.
Zweitens: Wir haben den Menschen durch unseren großen Erfolg, die Pandemie einzudämmen, in Deutschland den Eindruck vermittelt, das sei überall auf der Welt so.
Und drittens: Die Leute wollen ihr normales Leben, ihren Urlaub, all das wiederhaben. Das wird es aber in diesem Jahr nicht geben. Das haben wir ihnen nicht ausreichend klargemacht und das ist die Gefahr eines Malle-Urlaubs am Ballermann.
Regeln "müssen bundeseinheitlich gleich sein"
May: Kommen wir direkt auf Ihren ersten Punkt zu sprechen: der Föderalismus. Viele sagen, das und die dann teilweise unterschiedlichen Regelungen, je nach Infektionsgeschehen, waren gerade die Stärke der deutschen Regelung.
Montgomery: Das ist das Singen von kleinen Kindern im dunklen Wald. Die Stärke war natürlich, dass wir unterschiedlich, dass wir regional anwenden konnten. Aber die Regeln, was gemacht werden musste, was angewendet werden musste, die müssen bundeseinheitlich gleich sein.
Das Virus kennt keinen Unterschied zwischen Sachsen und Berlin. Das Virus kennt keinen Unterschied zwischen Nordrhein-Westfalen und Holland zum Beispiel, sondern das schlägt da zu, wo es eine Chance bekommt. Deswegen hätten wir einheitliche Maskenregeln haben müssen. Wir hätten aber auch einheitliche Regelungen über die regionale Eindämmung haben müssen. Zum Beispiel die Frage bei Tönnies: Nur die Fleischproduktion, den ganzen Landkreis Gütersloh, oder das ganze Land Nordrhein-Westfalen? Das alles hätte vorher klar geregelt sein müssen. So enden wir im Chaos und im Chaos geht kein Bürger freundlich mit.
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May: Sie sagen, das Virus kennt keinen Unterschied zwischen den Regionen. Aber es kennt ja sehr wohl einen Unterschied zwischen beispielsweise gesunden jungen Menschen oder Menschen, die möglicherweise schon eine Vorerkrankung haben. Kann man es da gerade gesunden jungen Menschen, die jetzt drei Monate Ausgangsbeschränkungen schon hinter sich haben, verdenken, wenn sie die Angst vor dem Coronavirus im Urlaub verlieren?
Montgomery: Herr May, ich korrigiere Sie ungern, aber das Virus kennt keinen Unterschied. Das infiziert alle gleich. Nur wir können besser damit umgehen. Wir jungen, dynamischen Gesunden, wir haben sehr viel seltener schwerwiegende Verläufe.
May: Also Sie und ich?
Montgomery: Ich nehme mich jetzt da mal mit rein, obwohl ich formal schon zur Risikogruppe gehöre. Aber lassen wir das. Aber es ist wirklich so: Das Virus kennt nicht den Unterschied, aber unser Körper kennt den Unterschied und deswegen haben wir auch eine Verpflichtung der jungen Menschen den alten, den vorgeschädigten, den erkrankten, übrigens auch den vorgeschädigt erkrankten jungen Menschen gegenüber, hier vorsichtig zu sein.
Wir müssen doch auch eine Lehre ziehen. Überall wo es in Deutschland heftige Ausbrüche gegeben hat, Gangelt oder Tönnies, waren immer viele Menschen auf engem Raum und ohne Schutz zusammen. Warum man das jetzt freiwillig Urlaub auf Mallorca macht, verstehe ich nicht.
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May: Weil möglicherweise die Menschen sagen, okay, wir bewegen uns ja im Freien. Und das ist ja auch eine Lehre, die wir gezogen haben: Im Freien ist die Gefahr, sich anzustecken, deutlich geringer?
Montgomery: Absolut! Wenn ich Fahrrad fahre hier in Berlin oder auch auf Fahrradtour, ziehe ich doch keine Maske an. Ist auch gar nicht nötig. Wenn ich Abstand halte, wenn ich diese berühmten 1,50 bis zwei Meter Abstand sicher einhalten kann zu anderen im Freien, brauche ich keine Maske. Die Maske schützt überall nur da, wo der Abstand geringer ist, wo die Räume klein und eng sind und wo eine schlechte Belüftung herrscht.
"Wer mit Abstand feiert, der kann auch gerne nach Mallorca fahren"
May: Also Feiern mit Maske auf Mallorca, macht das Sinn? Würde das Sinn machen?
Montgomery: Ich glaube, wer sich einstellt und dann weiß, dass er mit Abstand feiert – und das ist ja ein Widerspruch in sich, weil zum Feiern gehört doch auch für Sie und für mich eine gewisse Nähe –, aber wer mit Abstand feiert, der kann auch gerne nach Mallorca fahren. Mallorca per se birgt keine Gefahr. Wir selber sind die Gefahr, weil wir uns nicht dem Risiko angemessen verhalten.
"Nicht davor zurückschrecken, Menschen, die aus Mallorca zurückkommen, für 14 Tage in zu Quarantäne stecken"
May: War es zu leichtsinnig, möglicherweise von der Bundesregierung oder auch aus europäischer Sicht, auf die Einsicht der Bürger zu vertrauen? Hätte man möglicherweise die Reisebeschränkung doch nicht vor der Urlaubssaison aufheben sollen?
Montgomery: Ich glaube, dass man der Regierung hier gar nicht mal so einen großen Vorwurf machen kann. Wir haben ja mit hoher Eigenverantwortung die ersten drei Monate dieses Jahres agiert. Deswegen kann ich das verstehen. Aber die Regierung darf jetzt auch nicht davor zurückschrecken, Menschen, die aus Mallorca zurückkommen, für 14 Tage in Quarantäne zu stecken, weil es geht jetzt darum, ein verrückter Urlauber am Ballermann kann doch nicht hinterher seine ganze Community in Nordrhein-Westfalen oder in Hamburg oder wo auch immer gefährden und anstecken. Hier muss man klare Grenzen setzen und das muss man den Menschen auch sagen. Wer heute nach Mallorca fährt, der läuft durchaus Gefahr, wenn er wiederkommt, erst mal in Quarantäne zu müssen.
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May: Und vor allen Dingen dann, wenn er auf dem Rückweg in ein volles Flugzeug steigt. Wir hören, dass die Empfehlung von vielen Fluggesellschaften, dass man das Flugzeug nicht voll besetzt, dass man eine Reihe oder einen Platz Abstand lässt, dass die nicht beachtet wird. Wie verantwortlich ist es derzeit, tatsächlich sich in ein Flugzeug zu setzen unter diesen Voraussetzungen?
Montgomery: Ich persönlich sehe das durchaus kritisch – vor allem, wenn dann die Leute auch noch die Maskenpflicht nicht einhalten. Ich halte das nicht für unverantwortlich von Seiten der Fluggesellschaften her, wenn sie wirklich kompetente Masken haben. Warum die Fluggesellschaften zum Beispiel keine FFP2-Masken an ihre Passagiere verteilen, kann ich nicht verstehen. Das wäre eine bessere Sicherheit als diese komischen nassen Lappen, die wir vors Gesicht hängen. Deswegen: Ich sage, das kann man machen, aber wenn man den Flieger bis auf den letzten Platz vollknallt, wenn die Leute dann nur irgendein Schnupftuch vor der Nase haben, dann besteht das Risiko der Infektion auch im Flugzeug auf dem Rückweg.
May: Wie verhindern wir denn jetzt eine zweite Welle? Müssen wir uns darauf einstellen, dass diese zweite Welle auf jeden Fall kommt?
Montgomery: Ob es eine zweite Welle wird oder, was ich vielmehr glaube, eine Dauerwelle sein wird, weil wir nämlich andauernd drin sind in dieser Welle – wir haben die Pandemie noch nicht bewältigt. Und die Tatsache, dass diese Dauerwelle sich nicht dauernd in Schaumkronen erbricht und deswegen unsere Kapazität unserer Krankenhäuser sinkt, das haben wir uns selbst zuzuschreiben, weil wir uns so gut verhalten haben. Diese Vorsicht dürfen wir nicht aufgeben. Deswegen wird es noch, bis wir eine Impfung haben oder bis wir eine vernünftige Therapie haben, weiter Vorsichtsmaßnahmen geben. Ich kann nur sagen, wir machen nicht Urlaub von Corona; wir machen Urlaub mit Corona und wir leben noch lange Jahre mit Corona.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.