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Debatte um Corona-Strategie
Epidemiologe Zeeb: Bei Lockerungen mit Augenmaß vorgehen

Trotz Auslaufens der meisten Corona-Maßnahmen zum 20. März hat der Epidemiologe Hajo Zeeb für Lockerungen mit Augenmaß geworben. Es gebe derzeit keinerlei Hinweise, dass die Corona-Belastungen weniger würden, sagte er im Dlf. Man habe in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern weiterhin ein Problem mit der zu niedrigen Impfrate.

Hajo Zeeb im Gespräch mit Lennart Pyritz | 11.03.2022


Gastronom Jörg Hicker passt eine Informationstafel an. Ab dem 04.03.2022 gilt in der bayerischen Gastronomie die 3G-Regel.
Seit Anfang März gilt wieder die 3G-Regel in der Gastronomie. Nachtclubs und Bars haben wieder geöffnet und auch die Kontaktbeschränkungen sind weggefallen. Einige halten das für zu riskant. (dpa / picture alliance / Stefan Puchner)
Ausgerechnet jetzt, wo die Zahl der täglichen Corona-Neuinfektionen mit 250.000 einen neuen Höchststand erreicht, plant die Politik großflächige Lockerungen. Zum 20. März sollen die meisten Corona-Auflagen wegfallen. Die Verantwortung über die Corona-Schutzmaßnahmen übernehmen dann weitgehend die Bundesländer. Zum einen gibt es den Basis-Schutz, den die Länder auf jeden Fall anwenden können, zum anderen härtere Restriktionen für Hotspots, wenn die Infektionszahlen in einer Region stark steigen, eine Überlastung des Gesundheitswesens droht oder sich eine neue gefährliche Virusvariante ausbreitet.

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Der Epidemiologe Hajo Zeeb sagte im Deutschlandfunk, man müsse bei den Lockerungen mit Augenmaß vorgehen, da die Corona-Belastung derzeit nicht abnehme und auch die Fallzahlen nicht so stark heruntergehen und momentan sogar ansteigen würden. Er plädierte vor allem dafür, die Maskenpflicht beizubehalten, besonders in Innenräumen, wo viele Menschen zusammenkommen. So nannte er Krankenhäuser, Altenpflegeheime, Universitäten, Supermärkte und Einkaufszentren als wichtige Orte, wo die Maskenpflicht auch weiterhin eingesetzt werden müsste. "Die Masken gehören mit zu den effektivsten Maßnahmen", sagte der Wissenschaftler vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen.

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Er warb auch für einen besonderen Schutz für die Risikogruppen. Diese müssten auch weiterhin einen kostenlosen Zugang zu hochwertigen Antigentests oder PCR-Tests haben, sagte der Epidemiologe, da sie öfters einen schweren Verlauf oder ein höheres Sterberisiko hätten. Die zweite Gruppe, auf die man ein besonderes Augenmerk legen müsste, seien die Schüler. Zum einen weil hier die Inzidenzen bundesweit am höchsten seien und man noch nicht wisse, wie sich die Langzeitrisiken unter den vielen infizierten Kindern am Ende auswirke.
Man dürfe auch nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen. So blieben die Impfzentren auch in der nächsten Zeit mit einer Basisbesetzung geöffnet. Anderfalls drohe man zu langsam zu sein und müsse auch enorm viel Geld investieren, um die Infrastruktur wieder schnell hochzufahren.
Das Interview im Wortlaut:
Lennart Pyritz: Herr Zeeb, ist gerade der richtige Zeitpunkt für Lockerungen der Corona-Schutzmaßnahmen?
Hajo Zeeb: Hier gibt sicher zwei Sichtweisen: Einmal, wir haben in den letzten Jahren immer zum Frühjahr und Sommer natürlich sinkende Fallzahlen gehabt und damit weniger insgesamt Corona-Belastung, das heißt, aus dieser Sichtweise heraus ist es jetzt ein vernünftiger Zeitpunkt, die Maßnahmen zu verringern. Auf der anderen Seite, wenn man auf die aktuellen Fallzahlen guckt, die eben leider doch nicht so stark runtergehen...
Pyritz: Die sogar ansteigen.
Zeeb: ... die jetzt gerade auch wieder ansteigen, zumindest vorübergehend hoffentlich nur, das muss man ganz klar sehen. Und wir haben weiterhin eben eine große Zahl von Todesfällen jeden Tag, die mit Corona verbunden sind und auch weiterhin natürlich Belastung in den Krankenhäusern.
Also es ist nicht so, dass wir alle Signale in die Richtung haben, es wird weniger, was die Corona-Belastung in jeglicher Hinsicht angeht. Das ist das Problem, was uns eben dazu bringen muss, mit den Lockerungen mit Augenmaß vorzugehen, kann man mal so sagen.

Neuinfektionen in den vergangenen sieben Tagen pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner nach Altersgruppen

Pyritz: Schauen wir mal auf die Lockerungen im Einzelnen, die einzelnen Maßnahmen, besonders das Thema Maskenpflicht sorgt ja gerade für viele Diskussionen. Die soll es als sogenannter Basisschutz noch in Kliniken, Pflegeeinrichtungen und im öffentlichen Nahverkehr geben, in Schulen, in Supermärkten und Geschäften nicht mehr automatisch. Ist das aus Ihrer Sicht als Epidemiologe angesichts der aktuellen Infektionslage, die Sie ja gerade geschildert haben, sinnvoll?
Hajo Zeeb, Epidemiologe am Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen, steht im Innenhof des Instituts.
Hajo Zeeb, Epidemiologe am Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen. (dpa / picture alliance / Sina Schuldt)

"Die Masken gehören mit zu den effektivsten Maßnahmen"

Zeeb: Wir haben ja durchaus viel diskutiert über Masken, und es ist aber doch auch ganz klar dabei rausgekommen, dass die Masken mit zu den effektivsten Maßnahmen gehören, gerade die eben besseren Masken, die wir jetzt umfassend einsetzen, FFP2-Masken. Insofern ist eine Maskenpflicht, glaube ich, schon etwas, was wir noch weiter brauchen und nicht nur in den jetzt genannten Einrichtungen, die Sie eben gesagt haben, und ich würde auch denken, dass das auch eine einfach umzusetzende Maßnahme ist. Da sollten wir wirklich drauf warten, bis die Zahlen deutlich runtergehen, bis wir von der Maskenpflicht komplett weggehen.
Pyritz: Wo genau würden Sie denn noch weiter auf Maskenpflicht setzen?
Zeeb: Auf jeden Fall in allen Innenräumen, wo Mengen von Menschen zusammenkommen, da würde ich weiterhin mit einer Maskenpflicht arbeiten, und das geht eben über die genannten hinaus. Sicher ist es wichtig in Krankenhäusern und vor allen Dingen auch in den Altenpflegeheimen und so weiter, das ist ganz entscheidend, aber eben auch da, wo viele Menschen zusammenkommen. Das kann aber auch sich um Universitäten, um Betriebe et cetera handeln, und auch die Einkaufsmöglichkeiten, die Sie genannt haben – Supermärkte et cetera, Shopping-Malls –, auch da würde ich für eine Maskenpflicht weiter plädieren.

"Weiterhin kostenfreien Zugang zu hochwertigen Tests"

Pyritz: Über die Lage an den Schulen und auch über den Schutz von Risikogruppen gibt es derzeit viel Diskussionen. Wie wäre denn Ihre Einordnung, vielleicht in Kurzform, werden diese Gruppen bei diesen aktuell vorgesehenen Basismaßnahmen ausreichend berücksichtigt?
Zeeb: Ich fange einmal kurz mit den Risikogruppen an: Da ist es, glaube ich, schon wichtig zu sehen, dass die weiter natürlich unter dem besonderen Risiko stehen, schwere Verläufe zu haben und auch das Sterberisiko bei denen viel größer ist, also Menschen mit Vorerkrankungen zum Beispiel. Und da geht es auch um die diese Menschen Pflegenden, und da sollte auf jeden Fall gesichert sein, dass die weiterhin auch kostenfreien Zugang zu hochwertigen Tests haben – entweder sehr gute Antigentests oder PCR-Tests. Das ist, glaube ich, ganz wichtig, damit diese Gruppe in möglichst großer Sicherheit bleiben kann, also auf die muss ein Augenmerk da sein.

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Der zweite Punkt, die Schülerinnen und Schüler: Das ist ein schwieriges Thema, weil natürlich Schülerinnen und Schüler jetzt schon über mehrere Jahre tatsächlich unter erheblichen Einschränkungen gelitten haben und soziale Isolation durchgegangen sind. Gleichzeitig haben diese Gruppen die höchsten Inzidenzen bundesweit. Also hier geht es wirklich drum, eine gewisse Vorsicht walten zu lassen, denn wir wissen auch jetzt immer noch nicht, wie sich Langzeitrisiken da auswirken, also gibt es unter den vielen infizierten Kindern am Ende nicht auch doch immerhin einen nicht zu kleinen Anteil, der dann auch langfristig unter Covid-Folgen leidet. Das ist noch offen, und insofern ist die Gefahr sicherlich jetzt noch nicht ganz klar abzuschätzen.
Insofern kann man aber auch jetzt nicht [*] sagen, wir sind einverstanden, dass sich jetzt alle Kinder mit Corona infizieren, ohne dass wir irgendwas dagegen tun.
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"Jetzt ist Sommer und wir müssen etwas tun, um gut in den Winter zu kommen"

Pyritz: Das heißt, an den Schulen würden Sie auch eher noch für die Beibehaltung der Maskenpflicht plädieren?
Zeeb: Zumindest in den älteren Jahrgängen würde ich auf jeden Fall dafür plädieren. Bei den jüngeren Jahrgängen ist es halt einfach so, dass da auch die Masken getragen werden, aber deren Wirksamkeit aufgrund der geringeren Tragekonsistenz auch ein bisschen geringer ist. Insofern würde ich sagen, wenn wir die Masken wegnehmen, dann bei den Grundschülern, da ist das wahrscheinlich mit den geringsten Veränderungen verbunden, wenn man das macht. Bei den älteren würde ich die Masken belassen.
Pyritz: Wenn wir einmal über den Tellerrand schauen – Ungarn, Österreich, Türkei oder Griechenland, in vielen anderen europäischen Ländern werden gerade auch Schutzmaßnahmen gelockert. Haben Sie da einen Überblick, wie unterscheidet sich der Infektionsverlauf im Vergleich zu Deutschland beziehungsweise was macht vielleicht unsere Situation derzeit speziell, weswegen wir, wie Sie auch gesagt haben, bei diesen Lockerungen doch vorsichtig vorgehen sollten?
Zeeb: Ja, es sind verschiedene Dinge. Der Punkt zwei ist jetzt erst im Vormarsch hier bei uns, in anderen Ländern ist es schon weiter, Dänemark vorneweg. Dänemark hat auch einen kurzen Wiederanstieg der Welle gesehen, ist dann aber eben auch danach in der Infektionshäufigkeit runtergegangen. Das ist jetzt eine Hoffnung, die wir auch haben. In manchen anderen Ländern sieht das ähnlich aus, dass die einfach schon auf einem niedrigeren Level von Erkrankung angekommen sind. Das ist wahrscheinlich der Grund, neben politischen Erwägungen zu sagen, wir müssen irgendwann lockern, und dann machen wir es jetzt lieber bei der milden Variante Omikron, egal wie hoch die Infektionszahlen sind. Das ist, glaube ich, der Standpunkt auch in manchen anderen Ländern, solange eben nicht die Krankenhausbelegung uns vor massive Probleme stellt.
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Wir haben hier ein Problem mit der zu niedrigen Impfrate im Vergleich zu manchen der genannten Länder, das sollte man auch im Auge behalten. Das heißt, da müssen die Anstrengungen auf jeden Fall weiter intensiviert werden, da dürfen wir einfach nicht denken, jetzt ist Sommer und wir brauchen nichts weiter zu tun, ganz im Gegenteil, jetzt ist Sommer und wir müssen etwas tun, um gut in den Winter zu kommen.
Pyritz: Damit leiten Sie zu meiner nächsten Frage über: Der Expertinnenrat der Regierung hat gerade in seiner achten Stellungnahme gefordert, es sollten Notfallmaßnahmen ausgearbeitet und jederzeit anwendbar sein, also jetzt die Risiken zum Beispiel im kommenden Herbst und Winter bedenken.
Welche langfristigen Strategien sollten denn aus Ihrer Sicht genau jetzt geplant und umgesetzt werden, um eben auf potenzielle Wellen im Sommer oder Herbst oder auch auf eine neue, auch wieder potenziell gefährlichere Virusvariante vorbereitet zu sein? Sie haben eben schon angesprochen, das Problem der Impflücke besteht ja nach wie vor.
Zeeb: Ganz genau. Wir haben im letzten Jahr durchaus ja den Fehler gemacht, dass die Impfzentren geschlossen wurden und dann mühsam wieder aufgebaut wurden. Das war eine große Anstrengung. Das läuft dieses Jahr schon anders, es wird da also eine Basisbesetzung, glaube ich, in den Impfzentren auch weiter vorgehalten, das ist auch gut so. Im Prinzip brauchen wir für alle dieser wichtigen Bereiche klare Pläne, wie man in bestimmten Situationen eben vielleicht mit einem Stufenplan – und wir haben jetzt eine Reihe von Stufenplänen ja eh gehabt in der ganzen Zeit -, dass man einfach weiß, wenn wir dort sind, dann gilt Folgendes, und dafür sind auch die Materialien da, dafür ist auch das Personal zumindest soweit eingeplant, dass man die schnell gewinnen kann. Das ist, glaube ich, das Essenzielle, ist aber auch das Schwierige, weil es natürlich bedeutet, dass man jetzt Dinge vorhalten muss zu einem gewissen Maße und dann schnell auch aktivieren muss.
Das kostet Geld, das ist aber, glaube ich, jetzt ganz essenziell, das auch zu investieren, das Geld, weil es noch mal viel teurer wird, wenn man jetzt sagt, wir warten ab und gucken halt, wie es läuft, und dann plötzlich muss man alles auf einem großen Niveau und sehr schnell wieder hochziehen. Und dann wird man a) zu langsam sein und b) wird es einfach auch viel teurer werden.
[*] An dieser Stelle haben wir einen Transkriptionsfehler korrigiert.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.