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Corona-Testpflicht an Schulen
Forscher: Schultests ein Grund für sinkende Inzidenzen

Corona-Tests an Schulen spielen eine wichtige Rolle beim aktuellen Rückgang der Inzidenzen in Deutschland, wie Forscher vom Fraunhofer Institut (ITWM) nachgewiesen haben. Wer auf solche Tests verzichte, wie jetzt Thüringen, nehme sich einen starken Hebel, sagte der beteiligte Wissenschaftler Jan Mohring im Dlf.

Jan Mohring im Gespräch mit Kathrin Kühn |
Eine Person mit Schutzhandschuhen und Kittel steht vor einem Tisch mit Teströhrchen und Desinfektionsmittel.
Ein mobiles Test-Team bereitet sich im Klassenraum einer Grundschule in Bremen auf eine Probenentnahme für PCR-Tests vor (dpa/Sina Schuldt)
An Thüringer Schulen hat wie geplant die Corona-Testpflicht geendet. Das Tragen einer Maske im Unterricht ist ab Klasse 5 weggefallen. Verschärfte Regeln könnte es je nach Pandemie-Situation aber wieder geben. Klar sein dürfte, dass das Infektionsgeschehen an Thüringer Schulen jetzt weniger gut nachverfolgt werden könne, sagte Jan Mohring vom Fraunhofer Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik (ITWM)* im Dlf.

Jetzt beginne die kältere Jahreszeit. Das bedeute, dass die Inzidenzwerte wieder steigen werden. Jeder Schnelltest, der positiv ausfalle und zur schnellen Rückverfolgung des Infektionsherdes führe, trage dazu bei, dass das Covid-19-Virus sich nicht weiterverbreite. Deswegen sei die Weiterführung der Testpflicht insbesondere an Schulen sinnvoll. Wenn diese nun weggfalle, "dann nimmt man sich einen sehr billigen und trotzdem starken Hebel weg." Auch in Hinblick auf die Herbstferien wäre es wichtig, wenn die Kinder von Reiserückkehrern getestet werden.

Das Interview im Wortlaut:

Kathrin Kühn: Herr Mohring, in den vergangenen Wochen ist die Inzidenz in Deutschland gesunken – das hat viele doch erstaunt - was sind nach Ihren Berechnungen da die Gründe?
Jan Mohring: Wenn man das verstehen will, dann guckt man am besten auf die einzelnen Bundesländer. Da zeigt sich nämlich immer wieder der gleiche Verlauf der vierten Welle, bloß eben zeitlich verschoben. Dieser zeitliche Verschub ist genau gebunden an die Sommerferien, und der sieht ungefähr so aus: Bis in die ersten Ferienwochenenden dümpelt die Inzidenz vor sich hin. Dann steigt sie stetig an, bis zum Ende der Sommerferien. Dann macht sie plötzlich einen Riesensatz nach oben, aber genauso jäh bricht sich dann wieder in der zweiten Woche nach den Ferien nach unten ab und fällt dann nur noch ab.
Und wir können das eigentlich auch ganz gut erklären, wie das passiert, weil wir einerseits Rückkehrer berücksichtigen. Das macht diesen leichten Anstieg während der Ferien aus. Dann berücksichtigen wir die Entdeckungsrate. Die steigt natürlich enorm an, wenn die Schüler wieder zur Schule kommen und dann alle getestet werden, regelmäßig, zweimal die Woche oder in Bayern sogar dreimal die Woche, dann entdeckt man viel mehr Leute dazu. Da steigt es erst mal extrem an. Man könnte Angst bekommen, aber eigentlich ist es gut, weil man deckt einfach das Dunkelfeld auf. In dieser Zeit werden allein viele Familien entdeckt, in Isolation gesteckt. Die können niemanden mehr anstecken. Und dann hat man einen positiven Effekt, etwa nach anderthalb Wochen. Dann fallen halt die Zahlen runter. Man kann es also ziemlich genau erklären, was da passiert."
Neues Corona-Schuljahr
Zu Beginn des neuen Schuljahrs unter Pandemiebedingungen ist vieles unklar und bundesweit uneinheitlich, kommentiert Dlf-Bildungsredakteurin Kate Maleike. Sie fordert für Schulen überall im Land klare Leitlinien, damit sie rechtssicher agieren können.
Kühn: Das heißt letztlich sind die Schultests ein Indikator tief in die Gesellschaft rein.
Mohring: Man muss sich ja überlegen, es gibt einen Schulzwang, und in der Schule gibt es einen Testzwang, die man Erwachsenen gar nicht aufbürden könnte. Und so hat man also einen sehr repräsentativen Einblick in die Gesellschaft und findet dann praktisch die Herde heraus.

Tests bringen allergrößten Effekt, die vierte Welle einzudämmen

Kühn: Sie hatten auch sehr intensiv auf die Entwicklung im Frühjahr bei der vergangenen Welle geschaut und danach analysiert, dass die Schultests ein Weg sein können, um die Inzidenzen auch zu senken oder um das Pandemiegeschehen in den Griff zu bekommen. Und dass es eigentlich dann nicht gut ist, wenn man das quasi sich selbst wieder überlässt und das Testen aufhört. Kann es dann auch jetzt diesen Effekt gegeben haben, dass die Schultests quasi zu einer Beruhigung des Geschehens beitragen?
Mohring: Das sehen wir also in den Modellen immer wieder. Also im Gegensatz zur Realität können wir ja Dinge durchspielen, die auch anders laufen. Also wir können verschiedene Szenarien durchspielen. Und im Frühjahr habe ich das gemacht für verschiedene Bundesländer. Für Rheinland-Pfalz habe ich das ganz speziell auch für die vierte Welle gemacht. Da kann man also gucken, was wäre denn gewesen, wenn wir die Test nicht gemacht hätten? Das ist ja eine interessante Frage.
Was wir dann sehen, ist, dass es diesen Einbruch etwa in der zweiten Woche nach Schulbeginn, den hätte es nicht gegeben. Und das wäre noch bis zum November angestiegen, bis es dann mal abgeflacht wäre und dann wegen der Impfung dann doch langsam runtergegangen wäre. Das ist ein ganz massiver Punkt. Auch für das Frühjahr, für die Osterzeit, haben wir genau denselben Effekt gesehen. Und da konnten wir auch zeigen, dass der allergrößte Effekt beim Eindämmen der dritten Welle damals eben auch das Testen war, noch größer als das Impfen oder eben die Kontaktverschärfungen.

"Billige und starke Hebel"

Kühn: Und mit Blick auf die aktuelle Lage können wir uns jetzt zurücklehnen. Bleibt das alles so also? Oder ist der Stopp beim Rückgang im Moment bei den Zahlen vielleicht schon einen Hinweis, dass sich das wieder ändert? Dass die Inzidenzen steigen? Haben Sie da auch Wissen?
Mohring: Wissen habe ich da leider nicht, aber Vermutungen. Jetzt beginnt halt die kältere Jahreszeit. Dann ist der natürliche R-Wert oder die Basisreproduktionszahl, die wird jetzt langsam wieder ansteigen. Und ich fürchte, dass man das jetzt auch sieht, dass das jetzt so langsam auf uns zukommt. Und was dann halt noch kommen wird - das kann man jetzt natürlich noch nicht sehen -, aber in den Herbstferien würde es ja wieder Rückkehrer geben. Und es gibt ja auch jetzt schon einzelne Bundesländer, die das Testen ganz aufgegeben haben, zum Beispiel Thüringen. Und dann vermutlich, wenn andere Länder meinen, dass das gut wäre, man müsste jetzt nicht mehr testen, dann wird man diese Rückkehrerwelle in den Herbstferien vielleicht nicht mehr abfangen können. Und gekoppelt mit der gestiegenen Basisreproduktionszahl in kälteren Jahreszeiten mit mehr Leuten im Innenraum könnte das dann wieder gefährlich werden.
Kühn: Wir würden uns also in einer Art Blindflug begeben?
Mohring: Dieses Mittel der Tests ist ja relativ harmlos. Braucht wenig Zeit, aber lässt halt immer einen guten Blick auf die Bevölkerung zu. Und wenn man sich den wegnimmt, dann nimmt man sich einen sehr billigen und trotzdem starken Hebel weg.
* Wir haben an dieser Stelle eine falsche Abkürzung korrigiert.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.