Das Coronavirus SARS-CoV-2 kann jeden erwischen. Aber es gibt Gruppen von Menschen, deren Gesundheit stärker gefährdet ist als bei anderen. Sie sind häufiger von einem schweren Krankheitsverlauf betroffen. Zu dieser Gruppe gehören ältere Menschen und chronisch Kranke – insbesondere Herzpatienten, aber auch solche, die unter Bluthochdruck leiden. Und das ist immerhin jeder Fünfte in Deutschland.
Viele Bluthochdruck-Patienten schlucken regelmäßig Medikamente, die den Blutdruck senken. Diese sind nun in die Kritik geraten. Vermutungen machen die Runde, dass so genannte ACE-Hemmer das Risiko einer Virusinfektion erhöhen. Was ist dran? Gestern haben sich auf einer Pressekonferenz des Science Media Centers in Köln mehrere Spezialisten dazu geäußert.
Warum sind Bluthochdruck-Patienten besonders gefährdet?
Bluthochdruck ist grundsätzlich ein Risikofaktor für viele Herzkrankheiten. Man kann sagen, Bluthochdruck schwächt das Herz. Und das geschwächte Herz beeinträchtigt eben auch die Abwehr einer Virusinfektion. Um den Blutdruck zu senken haben sich Blutdrucksenker wie ACE-Hemmer bewährt – das ist in vielen großen Studien bestätigt. Diese Medikamente halten den Blutdruck niedrig, was auch im Falle einer Virusinfektion hilfreich ist. Ob es zusätzliche Risiken durch ACE-Hemmer bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 gibt, ist hingegen ungeklärt.
Wie kam der Verdacht auf, dass insbesondere ACE-Hemmer in Zusammenhang mit COVID-19 stehen?
Die Idee dazu kam aus der Biochemie. Man hat sich angeschaut, wie das Virus eigentlich in eine Zelle gelangt. Dazu nutzt das Virus SARS-CoV-2 einen Rezeptor für das Hormon Angiotensin 2. Das Virus nutzt also einen Eingang, der für dieses Hormon gedacht ist. Und dieses Hormon spielt eine Rolle im Wirkmechanismus verschiedener Blutdrucksenker. ACE-Hemmer reduzieren die Menge an Angiotensin 2 und es könnte sein, dass die Zellen versuchen gegenzusteuern. Um den Mangel an Angiotensin 2 auszugleichen, könnten die Zellen mehr Eingänge für das Hormon öffnen – und das wären dann auch mehr potenzielle Eingänge für das Virus. Den Effekt haben Forscher in Tierversuchen schon gezeigt, wie relevant er für die medizinische Praxis ist, ist allerdings noch unklar. Die Wechselwirkungen sind kompliziert, so dass sich Wirkungen schwer voraussagen lassen
Sind Blutdrucksenker nun ein Risikofaktor oder nicht? Gibt es klinische Studien?
Es gibt eine große Studie aus Wuhan, die festgesellt hat dass 30 Prozent der Corona-Infizierten mit starken Symptomen unter Bluthochdruck leiden. Daraus folgt: Bluthochdruck ist auf jeden Fall ein Risikofaktor. Ob Medikamente dagegen noch einmal ein zusätzliches Risiko sein können, dazu gibt es keinen Nachweis. Möglicherweise liegt das auch daran, dass ein solcher Effekt schwer nachweisbar ist. Denn da gibt es viele Wechselwirkungen. Es ist für Forscher sehr schwierig, den negativen Effekt, den der Bluthochdruck hat, von möglichen zusätzlichen negativen Effekten der Medikamente zu trennen. Außerdem ist ein höheres Alter ein Risikofaktor für stärkere Symptome bei einer Erkrankung an COVID-19. Gleichzeitig nehmen ältere Menschen deutlich mehr Blutdrucksenker als junge Menschen. Um Effekte der Medikamente isolieren zu können, bräuchte es zusätzliche groß angelegte Studien.
Macht es vor diesem Hintergrund Sinn, diese Medikamente jetzt abzusetzen?
Der Parmakologe Thomas Eschenhagen vom Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg hat dazu gestern klar gestellt: "Ein gut eingestellter Blutdruck hilft dem Körper gegen das Virus. Man sollte das Medikament auf keinen Fall selbstständig absetzen." Und da haben ihm gestern alle Experten einhellig zugestimmt. Möglichweise könnte man die Medikamente umstellen – aber unbedingt in Abstimmung mit einer Ärztin oder einem Arzt.
Gestern wurde im Fachmagazin eLife eine weitere Studie zum Thema veröffentlicht. Bringt die jetzt Klarheit?
Diese Studie hatte ein klares Ergebnis: Blutdrucksenker während einer Therapie abzusetzen bringt nichts. Im Gegenteil, wenn der Blutdruck dann aus dem Ruder läuft, gefährdet das die Patienten zusätzlich. Das gibt behandelnden Ärzten eine Leitlinie: Blutdrucksenker während der Behandlung nicht absetzen.
In Italien wurde beobachtet, dass die Zahl der Herzinfarkte seit Beginn der Corona-Epidemie zurückgeht. Wie kommt das?
Es ist eindeutig nicht der Fall, dass das Virus das Herz schützt. Es sind wohl eher statistische Effekte, die zu den Zahlen führen. Professor Steffen Massberg, Klinikdirektor an der LMU München vermutet dazu: "Während der Coronakrise wurden Herzinfarkte in Italien seltener diagnostiziert, weil Patienten bei Anzeichen nicht ins Krankenhaus kamen." Es könnte zudem auch sein, dass Ärzte durch die Fokussierung auf Corona Hinweise auf einen Herzinfarkt übersehen. Das ist ein zusätzliches Risiko der Coronakrise, dass andere – durchaus auch sehr gefährliche Krankheiten – aus dem Blick geraten.