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Corona und die Folgen
"Seuche ist etwas, das man tut": Jeder trägt Verantwortung

Das Coronavirus werde unsere Gesellschaft verändern, sagte die Historikerin Katharina Wolff im Dlf: Infektionskrankheiten seien Katalysatoren für Gesellschaften. Für uns sei diese Situation neu, im Lauf der Geschichte habe es sie aber immer wieder gegeben - beispielsweise während der Pest.

Katharina Wolff im Gespräch mit Anja Reinhardt |
Seit dieser Woche stuft die Weltgesundheitsorganisation die Ausbreitung des Corona-Virus als Pandemie ein. Die ganze Welt ist betroffen und es ist offensichtlich, dass wir uns - zumindest für eine gewisse Zeit - von gewohnter Alltäglichkeit verabschieden müssen. Eine Situation, die für unsere Gesellschaft neu ist, die es in der Geschichte aber immer wieder gegeben habe, meint die Seuchenforscherin Katharina Wolff.
Schon während der Pestepidemien war Quarantäne ein probates Mittel. "Solche Infektionskrankheiten, die epidemisch auftreten, die pandemisch auftreten, sind Katalysatoren für die Gesellschaften im Sinne der Differenzierung. Das heißt sie verändern die Gesellschaft", so die Historikerin, die sich seit vielen Jahren insbesondere mit der Geschichte der Seuchen beschäftigt. "Infektionskrankheiten oder Krankheiten allgemein befallen Individuen. Seuchen befallen Gesellschaften."
Hamsterkäufe auch im 16. Jahrhundert
Hamsterkäufe seien zum Beispiel kein heutiges Phänomen, schon im 16. Jahrhundert gab es panikartige Hortungen, wogegen die Stadt München mit modern anmutenden Maßnahmen vorging. In einem Dokument des Stadtarchivs aus dem Jahr 1532 heißt es: "Wer an der Pest erkrankt ist, der muss zu Hause bleiben und seine Hausgenossen auch. Und es wird also geregelt, dass zum Beispiel diese Leute, die da in ihrem Haus festsitzen, versorgt werden durch städtisch bestellte Hilfskräfte, die für sie einkaufen." Solche Situationen seien damals wie heute wie ein "Stresstest für Gesellschaften", der es aber auch ermögliche, "Dinge zu überdenken und vielleicht zu verbessern." Eine Ursache für die Panik, die sich mitunter bemerkbar macht, sei das Bild, das wir in unserer Gesellschaft von Epidemien und Seuchen hätten, so Wolff.
Zombie-Filme greifen Infektion popkulturell auf
"Was in den letzten ungefähr 20, 30 Jahren in Bezug auf solche Ereignisse durchaus in der Öffentlichkeit bemerkbar war, sind popkulturelle Phänomene. Ich denke da speziell an filmische Interpretationen, auch an Computerspiele und an Brettspiele." Vor allem der Zombiefilm sei zu nennen. "Zombies sind ansteckend geworden. Das heißt: die beißen. Und dann ist man sofort infiziert und mutiert binnen kürzester Zeit also auch zu seiner schlurfenden Inkarnation."
Illustration des Pesterregers Yersinia pestis
Steinzeit - Wie die Pest nach Europa kam
Die Pest ist schon vor knapp 5.000 Jahren, also in der Jungsteinzeit, nach Europa gelangt. Das haben Forscher anhand alter Skelette herausgefunden. Auf den Kontinent kam das Bakterium bei Völkerwanderungen, die der Erreger sogar selbst ausgelöst haben könnte.
Auch Stigmatisierungen von asiatisch aussehenden Menschen, wie es sie zu Beginn der Corona-Krise gegeben habe, hätten eine lange Geschichte. Im Mittelalten wurde Juden nach einem Pest-Ausbruch unterstellt, sie hätten Brunnen vergiftet. Als 2014 im Kongo eine Ebola-Epidemie ausbrach, hatte das ebenfalls irrationale Folgen, wie ein Beispiel aus München zeigt. Bei diesem Fall habe sich ein Mann vor dem Hauptbahnhof erbrochen. "Der Mann stammte aus Somalia, wie zu lesen stand in der Presse, und es wurden Teile des Hauptbahnhofes abgeriegelt. Man weiß, Hauptbahnhöfe sind Orte, an denen solche Dinge öfter passieren, an dem Tag wahrscheinlich noch ein paar Mal. Aber wer eben in diesen Zeiten afrikanisch aussah, der wurde gleich verdächtigt, dass er so Ebola ins Land bringt."
"Seuche ist, was man tut": Jeder trägt Verantwortung
Eine Seuche wird heute nicht mehr als Strafe Gottes verstanden, aber Katharina Wolff sieht eine Tendenz dazu, "den Körper den Experten zu überlassen". Dabei habe jeder Einzelne eine konkrete Verantwortung für die Gesellschaft: "Jeder kann etwas tun. Vor allem kann jeder etwas lassen. Ich bringe das auf die Formel: Seuche ist etwas, das man tut. Und ich will damit sagen, dass das etwas ist, was ohne soziales Zutun, ohne menschliches Zutun sich nicht so verbreiten kann." Sie wolle nichts verharmlosen, Pandemien seien immer Katastrophen, "dennoch sind sie eben Chancen, um das Gemeinwesen zu überarbeiten, um die Leute auch wachzurufen."