Aktuell dominiert die Coronakrise die politische Agenda, doch auch die Klimakrise ist akut. Ein Forscherteam hat nun eine Studie veröffentlicht, in der Parallelen zwischen den beiden Krisen untersucht wurden. Eine der Autorinnen ist Professor Sabine Gabrysch, sie ist die erste Universitätsprofessorin für Klimawandel und Gesundheit, und sie arbeitet in Berlin an der Charité und am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.
Georg Ehring: Was haben der Klimaschutz und der Kampf gegen die Pandemie denn gemeinsam?
Sabine Gabrysch: Einmal, dass beides sozusagen Notfälle sind, und dann sind die auch ein bisschen verwandt in ihren Ursachen. Zum Thema Notfall, Englisch Emergency, das heißt ja, dass irgendwie ein hohes Risiko, eine hohe Gefahr da ist, und dafür betrachtet man sozusagen die Größe des Schadens und die Wahrscheinlichkeit, dass der eintritt, und zugleich bedeutet Notfall, dass eine hohe Dringlichkeit besteht, also die Zeit ist knapp, um den Schaden abzuwenden. Bei beiden – Corona und Klima – kommt der Schaden mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung. Die Infektionen von heute sind dann die Intensivpatienten mehrere Wochen später, die Treibhausgase von heute wirken noch Jahrzehnte in der Atmosphäre, und wenn man erst reagiert, wenn der Schaden da ist, dann ist es schon zu spät. Wir haben uns jetzt angeguckt die Reaktionszeit von Gesellschaft und Politik, sozusagen der Bremsweg – es geht ja nicht über Nacht alles. Bei Corona müssen wir erst die Testkapazität, die Gesundheitsämter, mussten die Fallverfolgung hinkriegen, die Krankenhausbetten und so, und beim Klima müssen wir im Prinzip unser Energiesystem, Verkehr, Landwirtschaft alles umbauen. Und dann eben die Interventionszeit, also wie weit sind wir vom Schaden entfernt, sozusagen vom Abgrund, wenn man jetzt beim Bremswegbild bleibt, und reicht es dann noch. Bei Corona war es sozusagen, bis wann geht es, wo dann das Gesundheitssystem überlastet ist, dass wir mehr Intensivfälle haben als Betten, und beim Klima ist es sozusagen der Temperaturanstieg, bei dem dann katastrophale Folgen eintreten.
Georg Ehring: Aber die Zeitspannen, über die wir reden, sind doch sehr unterschiedlich – bei Corona relativ kurz und beim Klima ziemlich lang.
Gabrysch: Genau, das ist richtig, ja. Aber bei beiden, was denen auch wieder gemeinsam ist, dass sie komplizierter sind, weil das eben nicht linear ist. Das heißt, am Anfang sieht das Problem klein aus, und dann wächst es plötzlich sehr rasch oder das System kippt – bei Corona ist ja dieses exponentielle Wachstum, dass jeder mehr als einen anderen ansteckt, und beim Klima gibt es Kipppunkte, dass uns beispielsweise das Grönlandeis ab einem bestimmten Punkt abschmilzt. Das macht es so ein bisschen komplizierter, das vorauszurechnen.
Einzelne und Politik müssen agieren
Ehring: Ist denn die Reaktionsweise, die erforderlich ist, vergleichbar?
Gabrysch: Die Maßnahmen, die man jetzt treffen muss, sind natürlich total unterschiedliche, aber was wir sozusagen an Parallelen gezogen haben, was die Wissenschaft sozusagen beitragen kann zu beiden, dass man eben die Reaktionszeit einschätzen kann, die Maßnahmen ausarbeiten und eben auch, wie weit sind wir noch entfernt, wie groß ist der Schaden und so weiter.
Ehring: Bei beiden Krisen spielt der Staat eine Rolle und der Einzelne spielt eine Rolle. Wie bewerten Sie das?
Gabrysch: Genau, da hat man auch gesehen jetzt, es ist eben beides wichtig. Die Summe von vielen kleinen Handlungen, von Einzelnen bei Corona, und gleichzeitig brauchen wir Vorgaben aus der Politik und staatliches Handeln, damit es funktioniert. Genauso ist es auch beim Klimaschutz, man braucht beides. Das ist vielleicht auch eine gute Lehre aus der Pandemie, dass es geht.
Ehring: Wie steht es denn um die Rolle der Wissenschaft bei beiden Krisen?
Gabrysch: Ja, ich glaube, das ist vielen klar geworden, die Bedeutung der Wissenschaft in der Coronakrise jetzt, dass das Ignorieren von Tatsachen und Evidenz, wie jetzt der Trump in den USA oder der Bolsonaro in Brasilien, dass das bitter bestraft wurde und dass auch das Verständnis gewachsen ist für die Rolle der Wissenschaft und für gute Wissenschaftskommunikation, also dass die Wissenschaft helfen kann bei dem Verständnis der Risiken und Gefahren, sozusagen bei der Diagnose der Krise, und gleichzeitig bei den Zeitfaktoren, bei der Prognose und dann auch bei der Therapie und den Anpassungsmaßnahmen, wie wir umgehen können, und eben auch den Präventionsmaßnahmen, um Katastrophen zu vermeiden.
"Der Klimawandel ist schon da"
Ehring: Außerhalb der Wissenschaft gehen die Ansichten in der Bevölkerung ja sehr weit auseinander, etwa wie schlimm sowohl die Klimakrise als auch die Coronakrise ist und wie wichtig es ist, darauf zu reagieren. Sind solche Meinungsverschiedenheit fruchtbar, oder sollten wir alle einfach auf die Wissenschaft hören in dieser Frage?
Gabrysch: Ich denke, es ist immer wichtig, die verschiedenen Prämissen auszutauschen, also warum hat jemand eine andere Meinung, unterscheidet sich das bei den Fakten oder bei der Interpretation und so weiter. Eine zentrale Lehre vielleicht aus der Coronakrise, die auch für die Klimakrise nützlich ist, ist dieses Motto, das Unbeherrschbare vermeiden und das Unvermeidbare zu beherrschen versuchen. Das heißt, bei Corona ist ja das Unbeherrschbare, wo man sich wahrscheinlich einig ist, wir wollen nicht x-fach mehr Intensivpatienten als Betten haben, weil dann das Gesundheitssystem in die Knie geht. Um das zu vermeiden, müssen wir die Epidemie eben irgendwie eindämmen durch Abstand, Hygiene, Test, Kontaktverfolgung mit Quarantäne. Das Unvermeidbare beherrschen heißt dann sozusagen, wir haben ja schon eine gewisse Zahl an Patienten, die kommt, weil wir haben schon Infektionen, wir haben ja nicht alles vermieden, und da müssen wir dann die Krankenhauskapazitäten erhöhen. Übertragen auf den Klimawandel heißt das auch, der Klimawandel ist schon da. Wir habe Hitzewellen, Überschwemmungen, Dürren, Feuer, Meeresspiegelanstieg und so weiter, das ist unvermeidbar, an das müssen wir uns anpassen. Das gelingt uns eigentlich nur, wenn wir das Unbeherrschbare vermeiden, also Klimaschutz machen und die katastrophalen Folgen, die wir eben nicht mehr managen könnten, verhindern, was ja das Ziel ist des Paris-Abkommens, an der 1,5 Grad Erwärmung zu bleiben.
Ehring: Im Moment redet kaum jemand über das Klima, viele reden über Corona – macht Sie denn die Reaktion auf Corona für den Klimaschutz eher optimistisch oder eher pessimistisch?
Gabrysch: Na ja, einerseits ist die Lage auch wirklich faktisch schwieriger geworden, weil wir haben jetzt noch mehr Probleme. Gleichzeitig haben wir auch erlebt, wie so Krisenhandeln aussieht, wie es aussieht, wenn eine Krise ernst genommen wird, dass dann Unmögliches plötzlich möglich ist, dass es ein schnelles, mutiges Handeln gibt trotz der Ungewissheit, die man dann mithilfe der Wissenschaft zu navigieren versucht. Und was mich auch eher so ein bisschen hoffnungsvoll stimmt, ist, dass man jetzt irgendwie erkannt hat vielleicht, wie global vernetzt wir alle sind, wie stark alles zusammenhängt auf der Welt – einmal Mensch und Natur, dass eben auch diese Ausbeutung der Natur auf uns wieder Folgen hat. Wir sind ja ein Teil von der Natur. Und auch die Weltwirtschaft, die vernetzt alles – mit Lieferketten, Wanderarbeitern und auch alle Menschen miteinander, dass wir aufeinander angewiesen sind und dass wir sozusagen diese grenzüberschreitende Herausforderung von Corona vielleicht auch die grenzüberschreitende, noch größere Herausforderung Klimawandel anwenden können und verstehen, dass wir diesen einmaligen Planeten zusammen bewohnen und da irgendwie zusammen sinnvoll handeln müssen.
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