Die Europäische Union hat sich vor rund einem Jahr auf den Corona-Wiederaufbaufonds mit einem Gesamtvolumen von 750 Milliarden Euro geeinigt. Das Geld soll den Mitgliedsstaaten helfen, die Folgen der Pandemie abzufedern, gleichzeitig aber auch Impulse für wichtige Zukunftsinvestitionen und Reformmaßnahmen setzen. Bis Ende der Woche müssen alle EU-Länder offenlegen, wie sie das Geld verwenden wollen. Deutschland rechnet mit 25,6 Milliarden - und will diese hauptsächlich in zwei Bereiche investieren: in den Klimaschutz und die Digitalisierung.
Das Bundeskabinett hat den "Deutschen Aufbau- und Resilienzplan" von Bundesfinanzminister Olaf Scholz bereits beschlossen. Oppositionspolitiker und Umweltschützer werfen Scholz vor, dass wirkliche Reformen ausblieben und, dass der Großteil der Gelder bereits im nationalen Corona-Konjunkturpaket eingepreist sei.
Im Deutschlandfunk wies Scholz den Vorwurf von sich, dass das deutsche Wiederaufbauprogramm eine Mogelpackung sei. "Wir haben das Europäische Wiederaufbauprogramm wesentlich mitkonzipiert und sehr darauf bestanden, dass zum Beispiel Fragen des Klimaschutzes und der Digitalisierung eine große Rolle spielen, dass man sich orientiert an den Empfehlungen der Kommission für die Länder, die ohnehin existieren", sagte er. Daran habe Deutschland sich auch gehalten. Deutschland sei ein Land, das genau das, was es für Europa vorgeschlagen hat, auch für sich selber richtig finde. "Wir hatten ganz schön viele Dinge vor im Bereich Klimawandel und Digitalisierung und deshalb ist es kein Zufall, dass wir das alles gut zusammengefügt haben", so Scholz.
Digitalisierung voranbringen
Auch den Vorwurf, Deutschland würde Haushaltslöcher mit dem Geld aus dem Wiederaufbaufonds stopfen, wies der Bundesfinanzminister zurück. Die Digitalisierung müsse vorangebracht werden, damit Europa in diesen Infrastrukturen nicht abhängig von anderen Kontinenten werde. Genau das sei jetzt jetzt alles dort aufgeschrieben und werde Teil einer europäisch mitfinanzierten Politik. "Wir haben richtig was davon unmittelbar. Noch mehr haben wir allerdings davon, dass ganz Europa gut durch diese Krise kommt. Als exportstarkes Land sind wir sehr darauf angewiesen, dass das auch anderswo funktioniert", so Scholz.
Man habe ausdrücklich dafür gesorgt, dass es nicht darum gehe, Budget-Finanzierung für laufende Haushaltsaufgaben zu betreiben: "Sondern wir haben das an die Kriterien des sogenannten Europäischen Semesters geknüpft, in denen ausdrücklich drinsteht, welche Reformvorhaben man für die Zukunft vorhaben muss." Er sei froh darüber, dass das Geld, das eingesetzt wird, dazu beitragen werde, die Zukunft zu verbessern. Denn wenn nun so viele Kredite in der EU aufgenommen werde, "dann muss das auch einen Sinn für die Zukunft machen", betonte Scholz.
Philipp May: Ist das eine Mogelpackung, die Sie da vorlegen?
Olaf Scholz: Von wegen! Wir haben das Europäische Wiederaufbauprogramm ja wesentlich mitkonzipiert und sehr darauf bestanden, dass zum Beispiel Fragen des Klimaschutzes und der Digitalisierung eine große Rolle spielen, dass man sich orientiert an den Empfehlungen der Kommission für die Länder, die ohnehin existieren. Daran haben wir uns auch gehalten.
Nun ist Deutschland allerdings ein Land, das genau das, was es für Europa vorgeschlagen hat, auch für sich selber richtig findet. Wir hatten ganz schön viele Dinge vor im Bereich Klimawandel und Digitalisierung und deshalb ist es kein Zufall, dass wir das alles gut zusammengefügt haben.
May: Aber wenn selbst der CDU-Chefhaushälter, Ihr Koalitionspartner, Eckhardt Rehberg sich freut, dass das Geld aus dem Wiederaufbau-Fonds jetzt den Haushalt deutlich entlastet, dann heißt das doch im Prinzip genau das: In Wahrheit stopfen Sie Haushaltslöcher.
Scholz: Nein! Wir haben im Frühjahr des letzten Jahres das ehrgeizigste und umfassendste Stabilisierungsprogramm Europas auf den Weg gebracht. Das gleiche galt für unser Konjunkturprogramm, für all die Maßnahmen, die wir seither organisiert und diskutiert haben, und die folgen genau dieser gesamteuropäischen Strategie. Wir müssen was tun, um den Klimawandel aufzuhalten. Wir müssen die Digitalisierung voranbringen, damit Europa souverän bleibt in diesen Infrastrukturen und nicht abhängig von anderen Kontinenten. Genau das ist jetzt alles dort aufgeschrieben und wird Teil einer europäisch mitfinanzierten Politik, wie ich finde ein großer Fortschritt und übrigens auch ein gutes Argument für Europa. Wir haben richtig was davon unmittelbar. Noch mehr haben wir allerdings davon, dass ganz Europa gut durch diese Krise kommt. Als exportstarkes Land sind wir sehr darauf angewiesen, dass das auch anderswo funktioniert.
"Eine nicht ganz sachlich zu Ende bedachte Argumentation der Opposition"
May: Ich möchte trotzdem noch mal bei dem Punkt bleiben. Es ist klar, das ist unstrittig: Ein Großteil von dem, was Sie jetzt vorlegen, das haben Sie schon einmal vorgestellt im deutschen …
Scholz: Schon einmal ist nicht 1955, sondern wir haben im Frühjahr letzten Jahres, im Sommer letzten Jahres, im Laufe der ganzen Zeit genau viele Pläne zum Klimaschutz und zur Digitalisierung auf den Weg gebracht, und genau das ist auch vorgesehen worden. Übrigens in den europäischen Richtlinien steht das wörtlich drin. Es ist, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf, eine ganz typische, nicht ganz sachlich zu Ende bedachte Argumentation, die man als Opposition vielleicht machen kann, aber es ist flapsig und nicht richtig.
May: Aber es ist ja schon so, dass die Schulden, die jetzt dafür aufgenommen werden, im Vergleich zum deutschen Konjunkturpaket im Zweifel teurer sind, weil die EU als Ganzes höhere Zinsen an den Kapitalmärkten zahlt.
Scholz: Nein! Wir haben eine Möglichkeit, das hier zu finanzieren, und die Europäische Union profitiert sehr davon, dass das jetzt eine gemeinsame europäische Sache ist. Die EU kann die gute Zinssituation, die auch Deutschland hat, bei ihrer Kreditaufnahme ebenfalls nutzen, und das ist, glaube ich, eine sehr, sehr gute Sache. Im Übrigen wird das bezahlt aus eigenen Einnahmen der Europäischen Union, die wir in den nächsten Jahren entwickeln. Auch das ist Bestandteil dieser klugen langfristigen Beschlüsse Europas, wie wir so etwas wie eine fiskalische Union hinkriegen. Das, glaube ich, ist schon der große Durchbruch für Europa, dass die EU in der Lage ist, so was zu tun, auch sehr langfristig in dieser konkreten Krise.
"Wir haben einen Teil ausdrücklich den Fragen Verwaltungsmodernisierung gewidmet"
May: Die Franzosen machen es dennoch ganz ähnlich wie Sie: Viele Programme und Vorhaben sind schon da, die sie jetzt vorstellen, und entsprechen den Kriterien für den Recovery-Fonds. Die werden jetzt in die Pläne reingeschrieben, damit es Geld gibt. Das klingt ja irgendwie pfiffig, aber noch mal: Wenn das alle so machen, wird der eigentliche Zweck des Ganzen, nämlich mit EU-Geld nachhaltige Reformen anzuschieben, nicht total verwässert?
Scholz: Nein. Es ist ja so, dass wir ausdrücklich dafür gesorgt haben, dass es nicht darum geht, Budget-Finanzierung zu betreiben für laufende Haushaltsausgaben, sondern wir haben das an die Kriterien des sogenannten Europäischen Semesters geknüpft, in denen ausdrücklich drinsteht, welche Reformvorhaben man für die Zukunft vorhaben muss. Wenn Sie ein bisschen das verfolgt haben, dann haben Sie gemerkt, in allen Ländern sind heftige Debatten entstanden, weil es natürlich tatsächlich um diese Reformen ging. Ich bin deshalb sehr froh, dass wir jetzt nicht nur eine Situation haben, in der gewissermaßen Geld fließt, sondern in der sich auch alle darauf konzentrieren, dass sie mit dem Geld, was sie einsetzen, dazu beitragen, dass die Zukunft besser wird. Das halte ich für einen sehr, sehr guten Fortschritt. Ich glaube, dass man genau so vorgehen sollte. Ich will das nachdrücklich unterstreichen. Denn wenn wir sagen, es werden jetzt so viele Kredite aufgenommen in der EU – ein Teil sind ja nur Kredite, die die Länder selbst zurückzahlen müssen, aber ein Teil sind ja direkte Zuschüsse, von denen wir auch in Deutschland profitieren -, dann muss das auch einen Sinn für die Zukunft machen. Genau das ist in jedem Einzelfall vorgesehen.
May: Wo Sie das Europäische Semester beziehungsweise die Empfehlung des Europäischen Semesters ansprechen. Es fällt ja schon auf, dass es in Ihrem Paket viel um Investitionen geht, aber wirkliche strukturelle Reformen, die in diesen Empfehlungen des Europäischen Semesters auch an Deutschland angemahnt werden, beispielsweise im Bereich Soziales, die sind nicht enthalten im Konjunkturpaket.
Scholz: Wir haben einen Teil dieser Reformen ausdrücklich den Fragen Verwaltungsmodernisierung und Digitalisierung der Verwaltung gewidmet, was ich auch richtig finde. Aber wir konzentrieren uns auf die Sachen, die jetzt anstehen und die dringend notwendig sind, und das ist aus unserer Sicht genau das, was wir machen. Ich will noch mal sagen: Es geht um die Frage, wie wir den menschengemachten Klimawandel bekämpfen können. Es geht um die Frage der Digitalisierung. Das finde ich genau die richtige Schwerpunktesetzung.
May: Es geht nicht, was die EU-Kommission auch anmahnt, um die Reduzierung der hohen Abgabenlast für Gering- und Zweitverdiener. Das wären ja schwierigere strukturelle Reformen, die Sie auch hätten angehen können.
Scholz: Wir haben in dieser Legislaturperiode eine weitreichende Entscheidung getroffen für über 90 Prozent derjenigen, die damals den Soli gezahlt haben, und haben ihn zum Anfang diesen Jahres abgeschafft. Wir haben gleichzeitig dafür Sorge getragen, dass wir eine große Erleichterung zustande bringen durch mehrere steuerliche Maßnahmen zu Gunsten von Familien. Wir haben eine große Verbesserung für Geringstverdiener geschaffen, indem wir sichergestellt haben, dass die Sozialversicherungsbeitragsbelastung in den untersten Einkommensgruppen nicht gleich steigt, sondern dass sie etwas entlastet wird. Auch das ein großer Fortschritt, der denjenigen, die sehr wenig verdienen, sehr wohl geholfen hat und den sie auch bemerkt haben.
"Das ist eine große Veränderung, ja, ein Fortschritt für Europa"
May: Die EU-Kommission muss Ihr Paket jetzt noch prüfen, weil die Investitionen ja an Bedingungen geknüpft sind, die Sie auch gerade genannt haben. Haben Sie schon Signale erhalten?
Scholz: Wir haben das so gemacht wie alle anderen auch, nämlich in den letzten Wochen und Monaten sehr sorgfältig mit der Kommission gesprochen, unsere Pläne ein bisschen mit einem Schulterblick betrachten lassen, so dass wir alle jetzt etwas nach Brüssel schicken, von dem wir glauben, dass es auch den Vorstellungen dort entspricht. Deshalb bin ich da ganz zuversichtlich.
May: Herr Scholz, ich habe es in meiner Anmoderation schon gesagt. Es ist ein ziemlich großer Schritt für die EU, gemeinsame Schulden aufzunehmen, für die auch dann alle haften. Deutschland beispielsweise, habe ich gelesen, korrigieren Sie mich, könnte allein für 88 Milliarden Euro geradestehen. Sie gelten als maßgeblicher Architekt des Wiederaufbau-Fonds. Ist das für Sie eine einmalige Sache, Corona geschuldet, oder doch der Startschuss für mehr finanzielle Verzahnung?
Scholz: Wir haben jetzt eine konkrete Maßnahme ergriffen, die sehr groß ist, die dazu dient, dass wir diese Krise bekämpfen, die Corona-Krise miteinander, und aus ihr rauskommen. Die Mitgliedsstaaten haben ihre fiskalischen Antworten gegeben und viel Geld eingesetzt, aber auch die Union. Das ist neu. Was wir – darauf haben ich auch geachtet – gleichzeitig vereinbart haben ist, dass das zurückgezahlt werden muss bis 2058 und dass das refinanziert werden soll aus eigenen Einnahmen der Europäischen Union, und genau das ist jetzt alles zusammen der Schritt, in dem wir dafür sorgen, dass die Europäische Union handlungsfähiger wird. Das ist eine große Veränderung, ja, ein Fortschritt für Europa.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.