Ende Mai 2021 forderte das indische Informations- und Technologieministerium Online Plattformen dazu auf, den Ausdruck "indische Variante" im Zusammenhang mit der in Indien entdeckten Coronavirus-Mutante B.1.617 nicht zu gebrauchen. Begründet wurde dies unter anderem damit, dass die Weltgesundheitsorganisation WHO die Variante B.1.617 nicht mit einem bestimmten Land in Verbindung brächte.
Abgesehen davon, dass es in jedem Fall und schon immer ein nicht unerheblicher Akt ist, wenn eine Regierung zur Löschung von Inhalten auf Onlineplattformen auffordert, stellt sich die Frage, warum diese Begrifflichkeit problematisch sein sollte - also diese "indische Variante". Immerhin wurde diese Mutante doch zuerst in Indien entdeckt. Warum sollte man sie nicht so nennen?
Begriffe wie "China-Virus" schüren Ressentiments
Natürlich wissen wir mittlerweile, dass solche regionalen Zuschreibungen in einer Pandemie unweigerlich Ressentiments schüren. Im vergangenen Jahr sprach der ehemalige Präsident der Vereinigten Staaten vom vermeintlichen "China-Virus" und von der "Kung Flu". Und auch in einigen anfänglichen Berichterstattungen in Deutschland wurde das Corona-Virus gelegentlich als "chinesisches Virus" bezeichnet. In Anbetracht des aufflammenden antiasiatischen Rassismus war es geboten, solch ein landesspezifisches Framing des Erregers, der keine nationalen Grenzen kennt, zu verhindern.
Wieso "britische Variante", aber nicht "indische"?
Und warum macht es einen Unterschied, ob man vom "chinesischen Virus" oder von der "britischen Mutante" spricht? Nun - dass die eine Formulierung für manche Menschen gefährlich sein kann und für andere nicht, liegt daran, wie Rassismus historisch betrachtet, aber auch praktisch im Alltag funktioniert. Denn Menschen können asiatisch gelesen werden und werden aufgrund ihrer äußerlichen Merkmale rassistisch diskriminiert. Jemanden jedoch rein phänotypisch als "britisch" zu lesen und ihn deshalb zu diskriminieren - das ist schwer möglich.
Aufgrund der naheliegenden Gefahr, dass solche Benennungen und ihre Assoziationen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit kultiviert, ist es also abzulehnen, die Corona-Mutante B.1.617 zu einer "indischen" zu erklären.
Mutante als Zeichen gescheiterter Pandemie-Politik
Für die indische Regierung hängen damit aber mutmaßlich auch weitere politische Interessen zusammen: denn mit dieser Mutante ist auch ein mögliches Scheitern der Pandemie-Politik verbunden; ein Regierungsversagen, das durch diesen Begriff in den sozialen Medien permanent ins Bewusstsein gerückt wird.
Wie wichtig der Zusammenhang von Erfolg oder Misserfolg mit der Nennung des eigenen Landes oder des eigenen Namens in der politischen Kommunikation ist, das hat der amerikanische Kognitionsforscher Georg Lakoff sehr verständlich an dem Beispiel des sogenannten "Obama Care"-Gesetzes veranschaulicht.
Erst tappte der ehemalige Präsident der Vereinigten Staaten in die Framing-Falle, die ihm die Republikaner gestellt hatten, indem sie in ihren Programmen Gesundheit als ein Luxugut definierten. Dementsprechend nannte er sein neues Bundesgesetz, welches jedem Zugang zu einer Gesundheitsversorgung ermöglichen sollte, "Patient Protection and Affordable Care Act". Das fatal Schlüsselwort ist hierbei affordable – also erschwinglich. Er hätte es zum Beispiel auch "Medical Care for All Act" nennen können, dann hätte er mit dem Framing die Gesundheitsfürsorge als Grundrecht für alle rausgekehrt.
Als Barack Obamas "Affordable Care Act" dann in "Obama Care" umbenannt wurde, war das für die Republikaner ein perfektes Framing: Alles, was im Gesundheitswesen nicht funktionierte, konnte und wurde Obamacare zugeschrieben. Wodurch der Name Obama mit Krankheit und Scheitern assoziiert wurde.
Framing durch Assoziation wirkt. Es ist also innen- wie außenpolitisch für eine Regierung, aber auch aufgrund von Diskriminierung und Rassismus ratsam, wenn wir Länder nicht mit Krankheiten in Verbindung bringen. B.1.617 ist als Bezeichnung zwar sperrig - aber präzise.