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Coronahilfen für den Sport
Wie der DOSB mit Studien Politik macht

Der Deutsche Olympische Sportbund warnt seit Beginn der Coronakrise vor großen finanziellen Problemen im Sport. Belegen sollen das Erhebungen im Auftrag des DOSB. Ein wichtiges Ergebnis stellt der DOSB jedoch falsch dar - was wiederum einige Politiker und Politikerinnen nicht zu stören scheint.

Von Maximilian Rieger |
Alfons Hörmann wurde am 01.12.2018 in seinem Amt als DOSB-Präsident bestätigt - allerdings gab es einen Gegenkandidaten.
Alfons Hörmann ist seit Dezember 2013 Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes. (dpa / picture alliance / Guido Kirchner)
Das Tortendiagramm, das DOSB-Präsident Alfons Hörmann Ende Mai im Bundestags-Sportausschuss präsentiert, sieht dramatisch aus: Fast drei Viertel des Diagramms sind in rot gehalten. Rot steht für den Anteil der Sportverbände, die bis Ende des Jahres in ihrer Existenz bedroht seien. Hörmann stützt sich dabei auf eine Erhebung von Deloitte.
Die Unternehmensberatung verbindet seit einem Jahr eine Sponsoring-Partnerschaft mit dem DOSB – nun sollte Deloitte die Corona-Schäden bei allen DOSB-Mitgliedsorganisationen erheben. 54 Prozent antworten, Deloitte rechnet die Angaben auf alle Organisationen hoch.
Auszug einer Präsentation des DOSB vor dem Bundestags-Sportausschuss
Auszug aus der DOSB-Präsentation im Bundestag. Laut DOSB sind 73% der Spitzenverbände in ihrer Existenz bedroht. Dafür rechnet der DOSB die Angaben für eine "eventuelle", "starke" und "sehr starke" Gefährdung zusammen. (DOSB)
Falsche Wiedergabe des Deloitte-Ergebnisses
Das Ergebnis: Rund 18 Prozent fühlen sich "stark" oder "sehr stark" in ihrer Existenz bedroht. Knapp 55 Prozent geben an, "eventuell gefährdet" zu sein.
Der DOSB fasst diese Werte für sein Tortendiagramm zusammen, ohne diese Differenzierung anzugeben. Und bei der Präsentation geht der DOSB-Präsident noch einen Schritt weiter. Das Diagramm spreche ein "klares Bild", so Hörmann laut dem Kurz-Protokoll der Sitzung, das dem Deutschlandfunk vorliegt und in dem es weiter heißt:
"Bereits bis zum 30.06. sähen die Verbände in einer Größenordnung von 14 bis 16 Prozent ihre Existenz bedroht. Was viel mehr Sorge bereite, sei, dass bis zum 31.12. ungefähr drei Viertel aller Verbände von einer starken bzw. sehr starken Gefährdung ihres Verbandes und ihrer Organisation ausgingen."
Ergebnis einer Deloitte-Erhebung aus dem Frühjahr 2020 zur Existenzbedrohung von DOSB-Mitgliedsorganisationen
Das Ergebniss der Deloitte-Erhebung: Rund 18% der Organisationen fühlen sich "stark" oder "sehr stark" in ihrer Existenz bedroht. (Deloitte)
"Das bewerte ich als Lobbyismus"
Auch in der Pressemitteilung vom 27. Mai schreibt der DOSB, dass drei Viertel der Verbände "stark" beziehungsweise "sehr stark" gefährdet seien. Hörmann und der DOSB stellen das Ergebnis der Deloitte-Abfrage zur Existenzbedrohung also falsch dar – und zeichnen dadurch ein dramatischeres Bild.
"Das bewerte ich als Lobbyismus. Alarmismus", meint der sportpolitische Sprecher der AfD im Bundestag, Jörn König. Das Problem sei, dass schon die Kategorien "eventuell" oder "stark gefährdet" nicht objektiv seien.
Zu der Kommunikationsstrategie des DOSB passt auch der erste Satz aus besagter Pressemitteilung vom 27. Mai: "Der Deutsche Olympische Sportbund zieht nach einer aktuellen Schadenserhebung bei seinen 100 Mitgliedsorganisationen das Fazit, dass die Schäden im organisierten Sport in Deutschland durch die Corona-Pandemie Milliardenhöhe erreichen werden."
Wackelige Milliarden-Schätzung des DOSB
Das kann man so lesen, als ob die Erhebung von Deloitte ergeben hätte, dass der Schaden im Sport mehr als eine Milliarde Euro betrage. In Wahrheit stammt diese Zahl aus einer Schätzung, die der DOSB selbst durchgeführt hat, ohne auf Daten von Deloitte zurückzugreifen.
Grundlage sind stattdessen Schadensmeldungen, die Vereine aus vier Regionen Deutschlands an ihre Landessportbünde übermittelt haben. Was folgt, ist eine doppelte Hochrechnung: Erst rechnen die Sportbünde die Zahlen auf ihre jeweiligen Bundesländer hoch. Dann nutzt der DOSB diese Ergebnisse für eine Schätzung für ganz Deutschland. Heraus kommt ein möglicher Schaden von mehr als einer Milliarde Euro.
Düsseldorf: Alfons Hörmann, Präsident DOSB, spricht nach seiner Wiederwahl auf der Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes.
Sportvereine in der Coronakrise - Braucht der Sport wirklich eine Milliarde Euro?Mehr als eine Milliarde Euro – so groß soll der finanzielle Schaden für die deutschen Sportvereine sein. Zumindest behauptet das der Deutsche Olympische Sportbund. Ein genauer Blick zeigt aber, dass die Zahlen kaum belastbar sind und für Verwirrung in der Sportpolitik sorgen.
(Deutschlandfunk, Sport am Wochenende, 20.06.2020)
Antwort per Anwaltskanzlei
Viele Fragen zu dieser Schätzung beantwortet der DOSB trotz Deutschlandfunk-Anfragen seit Monaten nicht. Stattdessen lässt der DOSB über eine Anwaltskanzlei ausrichten, dass alle Zahlen nur Prognosen gewesen seien und dies auch deutlich gemacht wurde. Auf weitere Detailfragen auch zur Deloitte-Erhebung und der Darstellung der Ergebnisse könne man nicht eingehen. "Aus Zeitgründen", wie es heißt.
Sportwissenschaftler zweifeln die Schätzung allerdings an. Und auch die Vorsitzende des Sportausschusses, Dagmar Freitag (SPD), hat schon während der Anhörung Ende Mai die Hochrechnung für nicht seriös gehalten.
"Ich hatte mir erlaubt, die ein oder andere Nachfrage im Ausschuss zu stellen. Die hat Herr Hörmann dann echt unwirsch mit dem Satz beantwortet, ich soll das Gegenteil beweisen. Das spricht eigentlich für sich", so die SPD-Politikerin.
Andere Politiker im Sportausschuss sind weniger kritisch. Der sportpolitische Sprecher der Linkspartei, André Hahn, meint zwar auch, dass die Milliarden-Schätzung keine wirklich glückliche Rechnung gewesen sei. Er habe trotzdem Verständnis, dass der DOSB auf die großen Probleme im Sport hinweise.
"Insofern kann ich die so scharfe Kritik, die es damals auch von der Ausschussvorsitzenden gegeben hat, nicht teilen", sagt Hahn. "Der DOSB hat die Aufgabe, sich für seine Vereine stark zu machen. Und sollte er dabei auch mal über das Ziel hinausschießen, dann wird das in der Folge, wenn es um die konkreten Ausfälle geht und die Nachweise geht, auch wieder zurechtgerückt werden."
"Mir fehlt als Sportpolitiker die Zeit, das zu kontrollieren"
Selbst als der Deutschlandfunk Hahn darauf anspricht, dass der DOSB-Präsident das Ergebnis zur Existenzbedrohung der Verbände verkehrt dargestellt hat, bleibt der Sportpolitiker bei seiner Meinung: Hörmann habe nichts falsch dargestellt.
Die Verantwortlichen der CDU und FDP äußern sich nicht, aus dem Büro der Grünen-Abgeordneten Monika Lazar heißt es, man habe keine Zeit, sich in die Zahlen einzuarbeiten. Das geht auch Jörn König von der AfD so.
"Und da muss ich jetzt sagen, da fehlt mir als Sportpolitiker die Zeit, um das wirklich richtig zu kontrollieren. Und wenn das jemand bezweifelt, sollte dieser jemand in der Bringpflicht sein zu zeigen, wo der Fehler liegt."
Bemerkenswerte Aussagen von einigen Mitgliedern des Sportausschusses, die mit darüber entscheiden, wie viel Steuergeld der Spitzensport in Deutschland bekommt. Das Vertrauen in den Sport ist aber bei vielen Abgeordneten groß. Von André Hahn in der Linkspartei: "Ich bin jemand, der den Sport sehr gerne unterstützen möchte."
Bis zu Jörn König von der AfD: "Ich bin Sportpolitiker und wenn es darum geht, dem Sport Mittel zukommen zu lassen, dann stelle ich mich im Zweifel auf die Seite des Sports."
Die goldenen Zeiten für Sport-Lobbyisten könnten also weitergehen.
Keine Kritik von anderen Sportorganisationen
Zumal auch aus dem Sport selbst praktisch keine Kritik am Vorgehen des DOSB oder dessen Präsidenten geübt wird. Auf die explizite Frage, ob es für die Landessportbünde kein Problem sei, dass der DOSB-Präsident vor dem Bundestag die Ergebnisse der Deloitte-Erhebung falsch dargestellt hat, antwortet die Sprecherin der 16 Landessportbünde, Elvira Menzer-Haasis:
"Bitte haben Sie Verständnis, dass wir keine Interpretation der von Ihnen genannten Zahlen vornehmen werden. In der aktuellen Lage der Pandemie sind feststehende Aussagen aufgrund der großen Dynamik nicht möglich."
Und auch aus den Verbänden für Basketball, Rudern, Hockey, Bobfahren und Leichtathletik kommt größtenteils Lob für die Arbeit des DOSB. Der DOSB und insbesondere der Präsident Alfons Hörmann hätten ihre Einschätzungen und Prognosen unter größtmöglicher Objektivität getroffen, schreibt zum Beispiel der Basketball-Bund. Der DOSB habe alles zum Wohle des gesamten Sports in Deutschland getan und tue dies auch weiterhin.
Eine Antwort, die der DOSB im Auftrag des Basketball-Präsidenten Ingo Weiß intern an alle Sportverbände weiterleitet. Das Signal: Sportdeutschland soll zusammenhalten.*
Und auch der Präsident des Deutschen Leichtathletik Verbandes, Jürgen Kessing, versucht Hörmann in Schutz zu nehmen: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Herr Hörmann bewusst mit falschen Tatsachen arbeitet. So habe ich ihn nicht kennengelernt. Er ist immer im Sinne des Sports positiv unterwegs."
Lobbyarbeit an Bundesliga orientieren
Die Milliarden-Schätzung sei für Kessing nur eine grobe Peilung gewesen, um in der Krise eine erste Orientierung zu bekommen. Zudem erwarte er vom DOSB, dass er das Maximum an möglichen Schäden auch darstellt – durch die Vergaberichtlinien für die Hilfsfonds bekomme ja schlussendlich keiner Geld, der das nicht auch tatsächlich benötige. Der DOSB als Vertreter des Breitensports und der Verbände könne aus seiner Sicht sogar noch etwas forscher auftreten.
"Da hat man manchmal den Eindruck, dass die Lautstärke eher in Richtung der Wirtschaftsunternehmen, die in der Bundesliga spielen, angepasst werden muss", so Kessing. "Denn die haben ja sehr laut agiert und die haben es auch geschafft, dass andere Sportarten auch wieder ausgeübt werden dürfen. Aber da ist eine ganz harte, knackige Lobbyarbeit getätigt worden. Und da erwarte ich auch von Herrn Hörmann, dass er das in diesem Stil auch durchaus tut."
Gefahr eines möglichen Vertrauensverlustes
Er glaube daher, dass die Arbeit des DOSB nicht schlecht sei. Auch Alfons Hörmann vertrete den Sport ordentlich und schlage nicht allzu sehr über die Stränge. "Wobei man manchmal auch pointiert überzeichnen muss, um auch Dinge zu verdeutlichen, wie schwierig eine Situation ist."
Ein zu laxer Umgang mit den Fakten könnte aber auf Dauer das Vertrauen in Sportorganisationen zerstören – wenn nicht bei den Sportpolitikerinnen und -politikern, dann zumindest in der Bevölkerung. Und wozu das führen kann, hat der DOSB bei den gescheiterten Olympia-Bewerbungen von Hamburg und München erlebt.
*Anmerkungen der Redaktion: In einer vorherigen Version hieß es: "Die Reihen von Sportdeutschland sollen fest geschlossen bleiben." Da dies als Anspielung auf das verbotene Horst-Wessel-Lied verstanden werden kann, haben wir diese Passage geändert.