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Coronakrise in Großbritannien
Junge Menschen leiden verstärkt unter Einsamkeit

Junge Menschen fühlen sich in Großbritannien laut einer Studie derzeit besonders isoliert. Das erst vor zwei Jahren geschaffene Einsamkeitsministerium müsse hier noch aktiver werden, fordert die Autorin der Studie. Zusätzliche Gelder an lokale Organisationen reichten allein nicht aus.

Von Marten Hahn |
Ein Schild am West Wittering Beach in West Sussex. Durch den Coronavirus-Lockdown ist in Großbritannien das öffentliche Leben weitgehend zum Erliegen gekommen.
West Wittering Beach (dpa / MATRIXPICTURES)
Ein Budget, eine Strategie und politische Verantwortlichkeit. Das versprach die damalige Premierministerin Theresa May 2018, um die zunehmende Einsamkeit in Großbritannien zu bekämpfen. Die Tory-Politikerin Tracey Crouch wurde damals zur ersten Einsamkeitsministerin des Landes ernannt. Doch seitdem hat sich das Personalkarussel drei Mal gedreht. Derzeit ist Baronin Diana Barran zuständig, die auch Ministerin für Zivilgesellschaft ist.
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"Würde man die Menschen auf der Straße fragen, wüssten sie sicher nicht, dass es einen Einsamkeitsminister gibt," sagt Tine Van Bortel. Die Wissenschaftlerin forscht zum Thema Gesundheit an der Universität von Cambridge.
"Es gibt Fortschritt, aber ehrlich gesagt, hätten wir uns da mehr gewünscht. Einige Berichte zeigen: Es fehlt immer noch an der Zusammenarbeit der Ministerien. Die Leute arbeiten weiterhin zu isoliert voneinander."
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Die Einsamkeitsministerin soll vor allem koordinieren. Sie soll darauf achten, dass politische Entscheidungen in anderen Ressorts das Problem nicht verschlimmern. Denn Einsamkeit hat viele Ursachen: Von fehlendem Nahverkehr bis zu sterbenden Dörfern. Doch die Pandemie stellt all das in den Schatten. Van Bortel und Kollegen führen derzeit eine Langzeitstudie durch. Sie untersuchen die geistige Gesundheit der Briten während des Lockdowns.
Am schwersten betroffen sind junge Menschen
"Wir sehen, dass die Menschen einsamer sind. Die Einsamkeit hat sich seit Beginn der Krise verdoppelt. Das ist sehr besorgniserregend."
Am schwersten betroffen sind junge Menschen. 44 Prozent der 18 bis 24-jährigen Briten fühlen sich derzeit einsam.
Junge Menschen befinden sich in einer Phase ihres Lebens, in der sie versuchen sich zu finden. Sie suchen nach ihrem Platz in der Gesellschaft und nach Zugehörigkeit. Da ist die Unterstützung von Gleichaltrigen besonders wichtig."
Doch die Pandemie schränkt den Kontakt zu Freunden ein. Dazu kommen unsichere wirtschaftliche Aussichten und zerrüttete oder weit verstreute Familien.
"All das trägt zur Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung der jungen Menschen bei, die nun ins Leben starten."
Lokale Initiativen gegen Einsamkeit
Die Regierung hat das Problem zumindest erkannt. Eine Kampagne aus dem Vorjahr wurde wiederbelebt und wirbt dafür, über Einsamkeit zu reden. Zudem fließen zusätzliche fünf Millionen Pfund an Organisationen, die die Einsamkeit im Land bekämpfen. Viel passiert jedoch auf lokaler Ebene, so Catherine Anderson, die Leiterin der Jo Cox Foundation. Die Stiftung hat deswegen die sogenannte Connection Coalition ins Leben gerufen.
"Es gibt viele Organisationen, die tagtäglich versuchen, Einsamkeit mit hyper-lokalen Initiativen zu bewältigen. Für die wollten wir mit der Connection Coalition einen Raum schaffen, um Ideen, Erfahrungen, Werkzeuge und Ressourcen auszutauschen."
Mittlerweile haben sich dem Verbund rund 300 Organisationen angeschlossen, von kleinen Nachbarschaftsinitiativen bis hin zu großen Wohltätigkeitsorganisationen. Anderson ist deswegen optimistisch.
Anderson: "Covid-19 hat Einsamkeit wieder ins Rampenlicht befördert. Noch nie hat das Thema so viele Menschen interessiert. Vor Covid-19 hielten 15 Prozent aller Bürger das Thema für wichtig, heute sind es 60 Prozent! Ich glaube also, dass die Regierung für ihre Strategie gegen Einsamkeit zukünftig stärker zur Rechenschaft gezogen wird."
Auch Tine Van Bortel hofft, dass die Regierung aus der Krise lernt. Man müsse in die Menschen und die Gemeinden investieren, sagt die Forscherin. Man müsse reparieren, was zehn Jahre Sparpolitik kaputt gemacht haben, damit eine einsame Insel nicht noch einsamer wird.