Landesweite Ausgangsbeschränkungen, geschlossene Schulen und Kindergärten, Hamsterkäufe in Apotheken, Drogerien und Supermärkten. Aufgrund des Coronavirus ist auch in Österreich das öffentliche Leben stark eingeschränkt.
Das passierte deutlich früher als in Deutschland und die knapp neun Millionen Einwohner haben den Deutschen einige Erfahrung voraus. Die Stimmung bei diesen Wienern ist unterschiedlich.
Stimmungsbild: Von "So muss es halt sein" bis "das ist nicht leiwand"
Die Rentnerin in der U-Bahnstation: "Also, ich habe nicht übertrieben Angst. Wenn man sich halt danach richtet, was man tun soll und was nicht, dann ist es relativ gefahrlos. Wahrscheinlich ist es notwendig. Unter anderen Umständen würde ich es nicht gutheißen, im Gegenteil, da würde ich protestierten. Aber so muss es halt sein."
Der Mann ohne Obdach: "Ja, in der Zeitung steht was und in den Nachrichten, was man tun und was man lassen soll oder so. Aber wenn ein Mensch nirgendwohin kann. Wo soll er denn woanders hingehen? Ich muss ja auf der Straße bleiben. Ich muss ja spazieren gehen und irgendwohin. Wenn alles zu ist und man darf nirgendwohin. Das ist nicht leiwand."
Der Geschäftsführer der Wiener Caritas: "Wir alle können Überträger sein, Sie, ich. Und das hat nichts damit zu tun, aus welcher sozialen Schicht jemand kommt. Ich warne dringend davor, Menschen zu stigmatisieren, auszugrenzen gerade da, wo es um Menschen geht, die in der aktuellen Situation unsere große Aufmerksamkeit und Hilfsbereitschaft brauchen."
Die Balkonsängerin auf Abstand durch die Gegensprechanlage: "Ich bin Musikerin und ich kann grad keinen einzigen Auftritt spielen bis Mai. Das ist alles ziemlich traurig, aber ich muss trotzdem Musik machen. Ich fand die Idee mit den Balkonkonzerten einfach so schön. Und das machen bei uns in der Gasse seit ein paar Tagen alle – ich find das superschön".
Die Frau im Homeoffice: "Also ich bin dann oft den ganzen Tag im Pyjama oder in der Jogginghose. Ich mach allerdings einen Unterschied zwischen der Schlafjogginghose, beziehungsweise der Pyjamajogginghose und der Arbeitspyjamahose."
Bleiben Sie zuhause - das hört Österreich schon länger und zwar von Prominenz, Wirtschaft und Politik.
"Es ist nicht sinnvoll, in Panik zu verfallen, es ist nicht sinnvoll, sozusagen jetzt sofort seine Lebensgewohnheiten umzustellen, sondern es ist wichtig, wenn Symptome auftreten, zu agieren."
"Es wird nicht das Leben von heute auf morgen wieder so sein, wie es war. Und wir werden wahrscheinlich nach Ostern, soviel kann ich auch schon verraten, in einer Phase sein, die der heutigen mehr ähnelt als dem Normalzustand."
Die Zeit der Exekutive
Ein Monat liegt zwischen diesen beiden Äußerungen des österreichischen Bundeskanzlers - als am 26. Februar die vorübergehende Schließung einer Wiener Schule wegen Corona-Verdachts für panische Reaktionen bei Eltern, Schülern und Lehrern führte, schien alles noch fern und fremd, was in den folgenden Wochen neuer Alltag werden sollte.
Am 24. März dann eine vorsichtige Prognose von Sebastian Kurz, dass sich das Alltagsleben nach Ostern nicht sehr rasch verändern dürfte.
Dossier - Was man zum Coronavirus wissen muss
Wie gefährlich ist das Virus? Welche Rechte haben Verbraucher und Arbeitnehmer? Und welche Folgen hat das Virus für die Wirtschaft? Wir klären die relevanten Fragen.
Wie gefährlich ist das Virus? Welche Rechte haben Verbraucher und Arbeitnehmer? Und welche Folgen hat das Virus für die Wirtschaft? Wir klären die relevanten Fragen.
Es ist die Zeit der Exekutive. Wie in allen Ländern richtet sich das Augenmerk der Bevölkerung auf die Entscheidungen der Regierung, auf deren Kommunikation in Krisenzeiten, auf die Maßnahmen, die wie nie zuvor in die demokratischen Grund- und Freiheitsrechte einschneiden - durchgeführt von einer Koalitionsregierung aus Konservativen und Grünen, die erst seit Anfang Januar im Amt ist und hinter der, je länger und einschneidender die buchstäblichen Einschränkungen das Leben verändern, Politik, Wirtschaft und Bevölkerung zum ganz überwiegenden Teil steht.
Kritik wird nur in kleineren Dosierungen geübt, an den grundlegenden Entscheidungen nicht.
Neue Gesetze einstimmig verabschiedet
Die ehemalige Gesundheitsministerin und SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner: "Diese Einschränkungen sind notwendig, um die Geschwindigkeit der Ausbreitung zu reduzieren, um den Gipfel zu drücken, und die Gesundheitssysteme nicht zu überfordern, aber kein Mensch kann jetzt sicher sagen, wie lang wir diese Maßnahmen noch brauchen."
Flächendeckende Tests seien unverzichtbar, verlangt die Chefin der Sozialdemokraten Österreichs Anfang dieser Woche im ORF. Einstimmig hatten alle Fraktionen im Nationalrat die neuen Gesetze an einem Sonntag, den 15. März, verabschiedet, mit denen die türkis-grüne Regierung die Auswirkungen der Corona-Pandemie eindämmen will.
FPÖ-Chef Norbert Hofer, der ehemalige Koalitionspartner von Sebastian Kurz, meldet sich nur fragmentarisch mit leichter Kritik zu Wort.
Etwa dass die Grenzschließungen zu Italien früher hätten geschehen müssen, so Hofer am vergangenen Sonntagabend in einer Schalte mit dem ORF aus seinem Homeoffice: "Aber jetzt geht es nicht darum, mit dem Finger auf andere zu zeigen, sondern zu versuchen, einen Schulterschluss zu kriegen. Über Tirol wird man noch gesondert sprechen müssen, weil dort, glaube ich, ist der größte Schaden hier entstanden."
Es ist signifikant für den von Hofer postulierten innenpolitischen Schulterschluss, dass Opposition wie Regierung in Wien erst sehr viel später über Tirol sprechen wollen, über das Bundesland, in dem die höchsten Infizierungen in ganz Österreich vermeldet werden und dass erst am 15. März die Skilifte einstellte.
Gastronomie in Wien für unbestimmte Zeit in Zwangspause
Der Tourismus ist wichtig für Österreich, wo Arbeitnehmer, Unternehmer und Konzerne um die Zukunft bangen Das begrifft den Linzer Stahlriesen Voest Alpine genauso wie winzige Betriebe, die teilweise schon zu machen mussten.
In der Parfümerie-Bar im siebten Wiener Bezirk geht noch einmal das Licht an und unzählige Spirituosenflaschen reflektieren die Strahlen der Deckenleuchter um die Wette.
Barbesitzer Gilles Reuter schaut heute nach dem Rechten, bevor er die Bar für eine ungewisse Zeit schließen muss: "Umsätze abholen, der Barchef kommt noch mal reinigen und alle Geräte ausschalten, schauen, dass im Lager nichts rumliegt, das schlecht wird."
Gilles Reuter ist es nicht anzumerken, dass seine Existenzgrundlage gerade in Gefahr ist. Der 33-jährige Gastronom trägt seine Baseballkappe mit Schirm nach Hinten, lacht viel und ist trotz allem noch ein guter Gastgeber: "Magst du was trinken?"
Dabei trifft es ihn hart, dass die Gastronomie in Wien für unbestimmte Zeit in Zwangspause muss. Gilles Reuter besitzt neben der Parfümeriebar noch zwei Cafes und beschäftigt insgesamt zehn Mitarbeiter. Jetzt brechen dem zweifachen Vater von heute auf morgen die Einnahmen weg.
"Alle Catering-Aufträge sind weg, alle großen Aufträge sind weg, der Andrang in der Bar ist bei null. Und unser großes Problem ist – wir haben keinen Garten. Und wenn das hier alles länger dauern sollte, ist unsere Saison vorbei."
38 Milliarden für die österreichische Wirtschaft
Zu dem Zeitpunkt ist bereits klar, dass die österreichische Regierung Geld in die Hand nehmen wird, um der Wirtschaft durch die Coronakrise zu helfen. Vier Milliarden Euro heißt es zunächst, kurz darauf wird auf 38 Milliarden aufgestockt.
Doch was genau bei ihm ankommen wird, weiß Gilles Reuter nicht genau: "Wir sind noch gerade im engen Kontakt mit dem Buchhalter, weil die ganzen Maßnahmen ja noch etwas schwammig sind. Deswegen wissen wir noch nicht, ob wir die Leute quasi entlassen müssen. Wobei wir jedem eine Wiedereinstellungsgarantie versuchen zu geben. Blöd ist es für die Leute, die bei uns geringfügig beschäftigt sind. Da schauen wir, dass wir einen kleinen Fond intern einrichten, damit die über die Runden kommen."
Gilles Reuter will sich nicht geschlagen geben und hat einen Plan für die Zwangspause. Im Lager der Bar, einer alten Garage im Hinterhof, schaut er gerade nach, ob er ihn auch umsetzen kann: "Ich sehe schon, dass ich meine Moscow Mule und Gin-Tonic-Packages machen kann. Ich kann Campari-Apperitiv-Geschichten machen. Genug Whiskey, genug Rum. Eis ist noch wichtig."
Die Lagerbestände sehen vielversprechend aus und Gilles Reuter kann durchstarten. Damit seine Bar nicht in Vergessenheit gerät, will er einen Lieferservice starten und Stammkunden und andere, die es vielleicht werden wollen, mit Cocktails und Spirituosen beliefern: "Einmal, zweimal die Woche liefere ich einfach aus, wenn es Anfragen gibt und fertig."
Es ist ein Blick in eine ungewisse Zukunft. Ob er nun auf die Solidarität der Nachbarschaft und seiner Stammkunden baut? Gilles Reuter winkt ab. Gerade ist ihm etwas anderes wichtiger: "Wer uns helfen will, soll zuhause bleiben, Kontakt vermeiden und schauen, dass es so schnell wie möglich abflacht – damit schnell wieder normales Leben einkehren kann."
Lebensmittel werden gespendet
"Ich schau mal aufs Ablaufdatum: 27.3. Das geht noch, das können wir im Kühlhaus lassen." - An diesem ersten Montag der neuen Ausgangsbeschränkungen in Österreich steht Christina Gök im Verkaufsraum der "Käsehütte" auf dem Wiener Naschmarkt. Sie trägt eine weiße Schürze und hat ihre lockigen schwarzen Haare nach hinten gebunden und sortiert Weichkäse nach Ablaufdatum.
Schweren Herzens begutachtet die 31-Jährige die teuren Sorten: verschiedene Ziegenkäse, Frischkäse aus der Slowakei, französischer Weichkäse wie Vacherin Mont d'Or oder Brie de Meaux mit weißen oder schwarzen Trüffeln. "Den müssen wir wegschmeißen, komplett wegschmeißen."
Christina Gök kann es immer noch nicht so richtig glauben. Die Osterbestellung war schon rausgegangen und das kleine Kühllager ist voll. Ein Eldorado für Fans von Käseplatten oder Käsefondue. Doch an diesem Vormittag finden nur noch vereinzelt Kunden den Weg in die Käsehütte.
Zu dem kleinen Stand am Naschmarkt gehört noch ein kleines Lokal, das ebenfalls geschlossen. Geschälte Zwiebeln oder Gemüse werden also auch nicht mehr gebraucht. Lebensmittel dürfen auf Märkten zwar weiterverkauft werden, doch das habe die Regierung nicht ausreichend klargemacht, findet Christina Gök. Noch hat sie die leise Hoffnung, dass es in der Käsehütte trotz Corona weitergehen könnte.
"Schauen wir mal, wann wir das nächste Mal wieder offen haben. Wir hoffen natürlich, dass das am Samstag ist oder am Freitag, so dass man wenigstens ein bisschen was verkauft, aber es wird sich zeigen, wir können das jetzt noch nicht sagen."
Den wertvollen Käse und weitere Lebensmittel möchte die Käsehütte nun spenden: "Gemeinnützigen Vereinen beziehungsweise der Wiener Tafel oder Seniorenheimen. Wir schauen, dass wir alles so gut wie möglich spenden. Hauptsache, es wird aufgegessen und nicht weggeschmissen."
Fahrlässiger Umgang mit dem Coronavirus in Tirol?
"Liebe Tirolerinnen und Tiroler! Die aktuelle Corona-Krise stellt unser Land auf eine harte Probe. Ein Blick nach Italien zeigt, welch dramatische Folgen es hat, wenn die Ausbreitung des Virus nicht gestoppt oder zumindest deutlich verlangsamt werden kann." - Es ist Mittwoch, der 18. März. Kurz vor 22 Uhr postet der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter, ÖVP, ein sechs minütiges Statement auf Facebook, in dem er der Bevölkerung mitteilt, dass sich das gesamte Bundesland ab Mitternacht in Isolation, in Quarantäne begeben wird.
Bis zum Wochenende zuvor liefen noch viele Skilifte ein letztes Mal, bevor die Saison vorzeitig beendet wurde. Zu diesem Zeitpunkt steht Tirol mit seinen populären Skigebieten wie Ischgl, Lech, St. Anton am Arlberg bereits massiv in der Kritik, national wie international. Viel zu spät habe Tirol auf die Ausbreitung des Virus reagiert, offenbar sei den kommerziellen Interessen der regionalen Tourismusindustrie höherer Stellenwert eingeräumt als dem unmittelbaren Schutz der Feriengäste, Angestellten und Einwohnern.
Tagelang stellen Landesregierungschef Platter und die ÖVP-Landesminister auf stur. Tirol habe alles richtig gemacht - für den Tiroler Gesundheitsminister Bernhard Tilg gerät am Montagabend, den 16. März, ein Fernsehinterview mit ORF Moderator Armin Wolf zum Desaster: "Ich glaube, dass die Behörden in Tirol sehr richtig agiert haben. Die ausländischen Medien machen den Eindruck, dass das Coronavirus in Ischgl entstanden ist. Das ist aber nicht so."
Fahrlässiger Umgang mit dem Coronavirus? Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft Innsbruck Ermittlungen aufgenommen. Ein möglicher Coronafall in Ischgl sei der Gesundheitsbehörde nicht gemeldet worden. Ende Februar hatte das ZDF bei der Gemeinde Ischgl angefragt, wonach in einem Gastronomiebetrieb ein positiver Fall bekannt gewesen sei, aber nicht als Verdachtsfall gemeldet worden sei.
Landeshauptmann Platter: "Wenn es irgendwelche Verdachtsmomente gibt, weil es gilt ja die Unschuldsvermutung, und auch Medien, die hier eine Recherche machen, wobei ich sagen muss, da sind wir sogar dankbar dafür, dass recherchiert wird, damit wir dann auch schauen können: Sind diese Verdachtsfälle tatsächlich ernst zu nehmen. Wir nehmen gar alles ernst und die Behörden sind ja auch gefordert, ja hier die Befragungen vorzunehmen, bis hin auch zu Anzeigen an die Staatsanwaltschaft."
"Virus-Herd Tirol", titelte daraufhin die Kronenzeitung, "Anzeige gegen Platter und Co." Die Tiroler Behörden hätten die Sperren von Pisten und Hotels hinausgezögert. - Nachher, das klären wir nachher: So lautet die Devise der türkis-grünen Bundesregierung, jetzt könne man keine Zeit verlieren. Aufklärung könne man später.
Private Kredite, entlassene Mitarbeiter
Im Verkaufsraum der Käsehütte am Naschmarkt verpackt Christina Gök heute zusammen mit ihrer Chefin Safiye Papas den Käse, der nicht im Kühllager bleiben kann.
"Den Brie? Ja der ganze Brie muss raus. Soll ich den derweil rausnehmen? Ja, der Brie und der Camembert. Alles was abläuft, muss weg. Nächste Woche lauft alles ab. Alles raus."
Samstags schieben sich normalerweise viele Menschen durch die Gänge am Naschmarkt. Einige Gemüsestände, Fleischer, Blumen,- und Kandisverkäufer haben noch offen, doch bei vielen der dunkelgrünen Stände sind die Rollläden unten und der sonst quirlige Markt wirkt seltsam ruhig. Und fünf Tage nach der ersten Begegnung klingt auch Christina Gök ernüchtert.
"Wir haben vor zwei Tagen beschlossen, die Käsehütte zu schließen. Weil der Verbrauch einfach so hoch ist, so dass sich das Ganze nicht mehr auszahlt."
Die Käsehütte kostet weiter Strom und allein 5.000 Euro Miete im Monat Safiye Papas und ihr Mann wollen staatliche Unterstützung beantragen, doch bisher seien die Unterlagen nicht detailliert genug. nun haben sie erst einmal einen privaten Kredit aufnehmen müssen über 50.000 Euro. Die rund 20 Saisonmitarbeiter mussten entlassen werden. Doch das Kernteam erhält weiter Lohn und auch Christina Gök kann bleiben.
Nicht nur in der Coronakrise schätzt Safiye Papas ihr Team in der Käsehütte sehr: "Sind keine Mitarbeiter, wir sind alle hier Arbeiter. Es gibt keinen Chef es gibt keinen Mitarbeiter, das ist wie eine Familie."
Die Suppenküche ist geschlossen, Essen wird dennoch ausgegeben
Die zunächst anvisierte Wiener Tafel nimmt nur noch Konserven an und Christina Gök fährt den Käse und weitere Lebemsmittel deswegen ins Franziskanerkloster im ersten Wiener Bezirk: "Ja ich habe alles im Auto, soll ichs gleich herbringen?" - "Bitte, Bitte!"
Pater Elias trägt keine braune Kutte, sondern einen blauen Kapuzenpulli und eine Brille. Er freut sich die Kisten der Käsehütte. Wegen der Coronakrise ist die Suppenküche der Franziskaner zwar zu, aber sie geben von Armut Betroffenen weiter Essen aus.
"Ich glaube, die Menschen lernen jetzt, wieder mehr zusammenzustehen und auch wieder mehr füreinander da zu sein. Vorher hatte man ganz viele Kontakte und konnte alle ständig sehen, jetzt merkt man halt, welche Menschen einem auch fehlen und man freut sich besonders, wenn Menschen sich melden."
Vom Barbetreiber zum Lieferdienst
Barbesitzer Gilles Reuter hat seinen Plan inzwischen umgesetzt. Dienstags und freitags beliefert er Kunden mit Cocktails und Spirituosen. Der erste Kunde heute wohnt wenige hundert Meter von Gilles Reutes Bar entfernt, geliefert wird zu Fuß: "Bitte schön. Ich habs vor die Tür gestellt, viel Spaß damit!"
Der Kunde hat eine Flasche erlesenen Mezcal Tequila bestellt und bekommt sie coronasicher auf den Türvorleger gelegt. Bestellt und bezahlt hat er über das Internet. Kostenpunkt inklusive Lieferung: 64 Euro. Den Tequila hätte er auch günstiger bekommen können, sagt der junge Mann durch den Türspalt. Aber hier geht es schließlich um seine Lieblingsbar: "Und nach dem die jetzt gerade zu ist und ich da gerne in Zukunft auch weiter was trinken gehen möchte, ist das das Mindeste, was ich tun kann."
Das Handy von Gilles Reuter hört nicht auf zu klingeln. Eine Bestellung nach der anderen kommt rein, meist über Instagram oder Whatsapp: "Es sind heute 30 Stück. Und es sind jetzt nur noch schätze ich mal 20 Prozent Bekannte und 80 Prozent ist durch die Bank weg gemischt. Sprich: Es hat sich herumgesprochen und wir haben auch gute PR gekriegt. Und es haben jetzt Freunde von uns auch angefangen zu liefern, was ich sehr cool finde."
Den Lieferservice betreibt Gilles Reuter alleine. In seiner verwaisten Bar bereitet er die Bestellungen zunächst vor. Dann geht's ans Ausliefern – entweder zu Fuß oder mit dem Auto, denn auch aus den Nachbarbezirken kommen Bestellungen rein. Für Gilles Reuter ein strammer Arbeitstag, der allerdings wenig Geld einbringt: "Aber es bleibt ein bisschen was hängen. Wir sind im engen Kontakt mit der Buchhaltung. Der Traum wäre, dass es so gut rennt, dass wir zumindest mal wieder eine Person einstellen könnten. Aber momentan ist das nur Schadensbegrenzung. Also verdienen tun wir da jetzt nicht wirklich."
100.000 Österreicher durch Corona arbeitslos
Um seine Bar zu retten, hat Gilles Reuter seinen Vermieter gebeten, die Miete zu stunden oder eine Ratenzahlung zu ermöglichen. Ohne Erfolg. Jetzt hofft er auch er auf Hilfen vom Staat.
Zum Beispiel auf den Notlagefonds der Stadt Wien. Kleinbetriebe, die mindestens 50 Prozent Umsatzeinbußen haben können hier Mietzuschüsse oder Ausgleichzahlungen beantragen. Was ihm das bringen wird, weiß Gilles Reuter allerdings nicht, denn bearbeitet werden die Anträge erste ab dem 1. April. Und auch für seine zehn Mitarbeiter hat Gilles Reuter noch keine Lösung gefunden.
Sie gehören inzwischen zu den mehr als 100.000 Menschen in Österreich, die sich seit Beginn der Coronakrise arbeitslos melden mussten.
"Wenn ich mit wirklich was wünschen könnte von der Regierung, dann wäre es tatsächlich, dass meine Mitarbeiter geschützt sind. Weil wir kommen schon irgendwie durch. Ich habe ein extrem schlechtes Gewissen den Leuten gegenüber, weil ich das einfach nicht hinkrieg, beziehungsweise weil ich sie nicht durchbringen kann".
Der Café- und Barbesitzer Gilles Reuter und Christina Gök von der Wiener Käsehütte. Zwei aus Österreich deren Leben das Coronavirus von Grund auf umgekrempelt hat. Wie es mit ihnen weitergeht ist offen.
"Ich muss ehrlich gestehen, dass es derartige Einbußen gibt, habe ich nicht damit gerechnet. Ich war davon überzeugt, dass es schwierige wird, aber dass es schwieriger wird, aber dass unser Geschäft jemals würde schließen müssen, war mir nicht klar. Da arbeite ich schon seit zwölf Jahre immer wieder und dass es derart schlimm wird, dass es einen so schnellen Einbruch geben wird, hätte ich nicht erwartet."