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Coronakrise und Subkultur
Verschwindet das alte New York?

New York ist derzeit besonders stark betroffen von der Corona-Epidemie. Das sei auch verheerend für die Subkultur der Stadt, fürchtet der Aktivist Jeremiah Moss. Seit Jahren kämpft er gegen Verdrängungen und Gentrifizierung. Jetzt hat er kaum noch Hoffnung.

Von Christian Röther |
Eine Frau mit Schutzkleidung, Plexiglasmaske und gelbem Helm steht auf der Straße.
Sonst tummeln sich im Big Apple Touristen und Theatermacher (imago / ZUMA Wire / Prentice C. James)
"What's been actually interesting in this time of the coronavirus is that in some strange ways New York feels again a little bit more like New York."
New York fühlt sich wieder ein bisschen mehr an wie New York, sagt Jeremiah Moss. Aber das sei seltsam, denn der Grund dafür ist ausgerechnet das Coronavirus. Seit Jahren kämpft Moss gegen den rasanten Wandel in der Weltstadt, gegen die Gentrifizierung. Er kämpft für die Subkultur und die Gegenkultur, die "Counter Culture". Für die kleinen Bars, Buchläden oder Kinos, die sich die teuren Mieten nicht leisten können und dicht machen. Und für ihre Menschen. Die "alten New Yorker", wie er sie nennt.
Neu-New-Yorker fremdeln mit der Großstadt
"Als ich aus einer Kleinstadt nach New York kam, wollte ich, dass die Stadt mich zu einem New Yorker macht. Viele der neuen Leute wollen aber, dass New York so wird, wie die Kleinstädte und Vororte, aus denen sie gekommen sind. Sie mögen gar keine Großstädte."
Mit den "neuen New Yorkern" meint Jeremiah Moss Menschen mit oft gut bezahlten Jobs, die seit den 2000ern in die Stadt kommen, um dort zu arbeiten und Geld zu machen. Aber nicht, weil sie von New York überzeugt sind als Stadt, als Lebensentwurf. Deswegen wollen sie aus der Weltstadt wieder ein Dorf machen, fürchtet er. Aber wie hat ausgerechnet das Coronavirus diese Dynamik gestoppt?
"A lot of those people, when the virus came, they fled New York."
Viele "Neu-New-Yorker" seien aus der Stadt geflohen, als das Virus kam. In ihre Heimatorte oder in ihre Wochenendhäuser im Umland, weil sie es sich leisten können, und weil sie glauben, dass es dort sicherer ist. Freuen kann sich Jeremiah Moss über diese Massenflucht aber nicht. Zum einen, weil die Krankenhäuser in New York überlastet sind und viele Menschen an Covid-19 sterben. Zum anderen, weil die Krise auch das "alte New York" bedroht, für das Jeremiah sich einsetzt. Für viele kleine Läden sei die Krise verheerend. Sie würden wohl pleite machen.
Kleinode und Originale leiden unter dem Virus
"I'm afraid that it will be devastating for small businesses. It's almost too heartbreaking to think about for me."
Es breche ihm das Herz, darüber nachzudenken, sagt Moss. Und er habe Angst vor der Zeit nach dem Virus.
"I'm terrified to see what it's gonna be like on the other side of this virus."
Eigentlich wollten Jeremiah und ich uns dieser Tage zum Interview treffen – an einem seiner Lieblingsläden: dem Gem Spa, eine Art Kiosk in Manhattan, fast 100 Jahre alt. Früher hingen hier Beatniks ab und die Hippies. Heute ist das Gem Spa berühmt für seine "Egg Cream", eine New Yorker Spezialität. Doch die kann ich jetzt nicht probieren, stattdessen unterhalten wir uns über das Internet. Und im Internet versucht Jeremiah auch, Spenden für den Kiosk zu sammeln und für die vielen anderen New Yorker Kleinode und Originale, die unter der Corona-Krise leiden. Er nennt das:
"A quarantine cash mob."
Einen "Quarantäne Cash Mob." Doch er fürchtet, dass auch die Spenden viele Läden nicht retten werden. Läden, die er kennt, seit er in den 90ern nach New York gekommen ist. Seit 2007 bloggt er darüber, wie die Stadt nach und nach verschwinde – und immer mehr aussehe wie jede andere Stadt – mit den gleichen Geschäften und austauschbarer Architektur.
"Whats happening to the city is that it's becoming like everywhere else. And everywhere else is looking the same."
"Vanishing New York" heißt sein Blog – "Verschwindendes New York". Er hat auch ein gleichnamiges Buch veröffentlicht. Untertitel:
"How a great city lost it's soul."

"In der Krise stehen die New Yorker zusammen"
"Wie eine großartige Stadt ihre Seele verloren hat" – an die großen Ketten und internationalen Konzerne. Und jetzt könnte alles also noch schlimmer kommen. Hat Moss trotzdem auch noch Hoffnung für sein "altes New York", für die "Counter Culture"?
"New Yorkers really do come together in crisis. And it's not just New Yorkers, it's people all over the world. Humanity is often at its best in the worst of times."
"In der Krise stehen die New Yorker zusammen, so wie die Menschen auf der ganzen Welt. In den schwersten Zeiten zeigt sich die Menschheit oft von ihrer besten Seite. Menschen spenden. Sie wollen etwas von sich geben, trotz der ganzen Verzweiflung. Denn, wenn wir geben, fühlen wir uns menschlicher. Deshalb habe ich noch Hoffnung für New York. Ich hoffe, dass wir durch diese Krise verstehen werden: Die Stadt muss für die Menschen da sein. Nicht für die Banken oder für die Tourismusindustrie. Sondern für die Bürgerinnen und Bürger. Das ist meine größte Hoffnung."