Der Ökonom Peter Bofinger lobte die wirtschaftlichen Maßnahmen der Bundesregierung zur Bekämpfung der Coronakrise. Insgesamt zielten die beschlossenen Maßnahmen darauf ab, "dass es erst gar keinen zweiten Lockdown gibt. Die Wahrscheinlichkeit, dass es so kommt, ist somit nicht so hoch", sagte Bofinger im Dlf. Für den Fall, dass doch ein zweiter Lockdown käme, sei man aber mit dem Kurzarbeitergeld sehr gut aufgestellt. Es entlaste Unternehmer und sichere Einkommen. "Damit könnten wir auch einen zweiten Lockdown durchstehen", so Bofinger. Auch die Verlängerung der Betriebskostenzuschüsse für Unternehmen seien zielführend.
Bofinger: Könnten auch einen zweiten Lockdown durchstehen
Die Verschuldung Deutschlands sei mit 70 Prozent der Wirtschaftsleistung auch im Vergleich mit anderen europäischen Ländern "extrem gering, da ist noch Luft drin", so Bofinger. Doch auch wenn die Hilfen insgesamt gut angelegt seien, habe er einige Kritikpunkte. So kritisierte er die Mehrwertsteuersenkung. Die Mittel dafür hätten gezielter im investiven Bereich eingesetzt werden sollen und einige Branchen, etwa die Baubranche, brauchten die Unterstützung gar nicht.
Bofinger kam auch auf den sogenannten Verlustrücktrag zu sprechen. Diese Maßnahme sei administrativ einfach, erfordere keine Zustimmung aus Brüssel und sei gerade für mittlere Unternehmen wichtig. Wenn man den Verlustrücktrag ergänze durch eine Sofortabschreibung für Investitionen für neue Technologien, wäre das eine starke Liquiditätsunterstützung vor allem für mittlere Unternehmen, die umrüsten müssten, um zukunftsfähig zu sein.
Bofinger lobt Betriebskostenzuschüsse für Soloselbstständige
Bofinger nannten auch die Prognose der Bundesbank zu kommenden Insolvenzen realistisch. Es sei nicht überraschend, dass es Insolvenzen gebe. Derzeit komme das Bankensystem aber gut damit zurecht. Wichtig sei, dass es nicht noch zu einer Krise im Finanzbereich komme. Dass die Antragspflicht für Insolvenzen derzeit ausgesetzt sei, sei richtig. Denn im Moment sei es schwierig, Unternehmen zu bewerten.
Bofinger prognostizierte einen Strukturwandel: "Wir werden nicht zu hundert Prozent zu dem zurückkehren, was wir vorher hatten", so Bofinger. Für die Reisebranche werde es "nicht ohne Schrammen abgehen", doch für die Gastronomie zeigte er sich zuversichtlich. Die Betriebskostenzuschüsse für Soloselbstständige durch Bund und Länder zeigten zudem, dass sich die Politik auch dieses Problems bewusst sei.
Münchenberg: Herr Bofinger, gestern das Treffen im Kanzleramt. Da gab es drastische Worte von Kanzlerin Merkel. Es gehe jetzt auch um die Zukunft der deutschen Wirtschaft. Ein zweiter Lockdown sei wirtschaftlich kaum zu verkraften. Aus Sicht des Ökonomen: Sehen Sie das auch so?
Bofinger: Zunächst zielen die Maßnahmen, die beschlossen worden sind, darauf ab, dass es ja keinen Lockdown gibt, und ich denke, die sind auch sehr zielgerichtet. Von daher ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Entwicklung kommt, ja nicht so hoch.
Aber jetzt lassen Sie uns mal darüber nachdenken, wenn tatsächlich noch einmal ein Lockdown käme. Was würde das bedeuten? – Da, denke ich, sind wir ja mit dem Kurzarbeitergeld sehr gut aufgestellt. Das ist ja eine Maßnahme, die sehr direkt wirkt, die Unternehmen mit Kosten entlastet, den Arbeitnehmern die Nachfrage und das Einkommen stabilisiert. Das Kurzarbeitergeld ist ja auch verlängert worden. Es geht dann bis 80 Prozent. Von daher haben wir da eine Maßnahme, mit der wir auch einen solchen Lockdown durchstehen könnten. Auch was jetzt von Wirtschaftsminister Altmaier in Aussicht gestellt wurde, dass die Betriebskosten-Zuschüsse für Selbstständige verlängert werden bis Mitte nächsten Jahres, auch das ist eine Maßnahme, die in meinen Augen zielführend ist.
Und was ja wichtig ist: Nach dem, was bisher der Staat eingesetzt hat an Mitteln, ist unsere Verschuldung, bezogen auf die Wirtschaftsleistung, mit etwas mehr als 70 Prozent nach wie vor extrem gering im Vergleich zu anderen Ländern. Das heißt, da ist auch noch Luft drin. Klar: Wenn der Staat aktiv wird, das bedeutet natürlich auch, dass er mehr Schulden machen muss.
Aber jetzt lassen Sie uns mal darüber nachdenken, wenn tatsächlich noch einmal ein Lockdown käme. Was würde das bedeuten? – Da, denke ich, sind wir ja mit dem Kurzarbeitergeld sehr gut aufgestellt. Das ist ja eine Maßnahme, die sehr direkt wirkt, die Unternehmen mit Kosten entlastet, den Arbeitnehmern die Nachfrage und das Einkommen stabilisiert. Das Kurzarbeitergeld ist ja auch verlängert worden. Es geht dann bis 80 Prozent. Von daher haben wir da eine Maßnahme, mit der wir auch einen solchen Lockdown durchstehen könnten. Auch was jetzt von Wirtschaftsminister Altmaier in Aussicht gestellt wurde, dass die Betriebskosten-Zuschüsse für Selbstständige verlängert werden bis Mitte nächsten Jahres, auch das ist eine Maßnahme, die in meinen Augen zielführend ist.
Und was ja wichtig ist: Nach dem, was bisher der Staat eingesetzt hat an Mitteln, ist unsere Verschuldung, bezogen auf die Wirtschaftsleistung, mit etwas mehr als 70 Prozent nach wie vor extrem gering im Vergleich zu anderen Ländern. Das heißt, da ist auch noch Luft drin. Klar: Wenn der Staat aktiv wird, das bedeutet natürlich auch, dass er mehr Schulden machen muss.
Münchenberg: Sie haben gerade die Maßnahmen aufgezählt und sagen, das sind alles gute Maßnahmen und die würden auch helfen, wenn jetzt doch noch mal die Auflagen deutlich verschärft werden würden. Das heißt, Deutschland hat da durchaus eine ausgeprägte Widerstandsfähigkeit, was die Wirtschaft angeht?
Bofinger: Ich denke mal, die Welt würde nicht untergehen. Aber natürlich wäre es besser, wenn man an diesem Lockdown vorbei käme.
Kritik: "Mehrwertsteuersenkung war sehr ungezielt"
Münchenberg: Nun haben Bund und Länder viel Geld in die Hand genommen. Sie haben auch mehrere Maßnahmen aufgezählt, das Kurzarbeitergeld zum Beispiel. Aus Ihrer Sicht: Sind diese Hilfen insgesamt gut investiert, gut angelegt?
Münchenberg: Ich würde sagen, insgesamt ja. Wenn man genauer hinsieht, dann gibt es sicher auch Punkte, bei denen man Kritik anbringen könnte. Ich denke, die Mehrwertsteuersenkung war sehr ungezielt, begünstigt jetzt auch viele Bereiche wie die Bauwirtschaft, wo überhaupt kein Nachfrageproblem war.
Münchenberg: Und hat ja auch sehr viel Geld gekostet, nämlich 20 Milliarden Euro.
Bofinger: Genau. – Ich hätte mir gewünscht, dass man die Mittel gezielter im investiven Bereich einsetzt, dass man den Unternehmen hilft, durch diese Krise zu kommen. Ein Modell, das ich und was auch viele andere Ökonomen vorschlagen, ist, den Verlustrücktrag, den es ja bereits für Unternehmen gibt, auszuweiten, so dass es keine quantitative Begrenzung mehr gibt. Bisher ist der Verlustrücktrag auf fünf bis zehn Millionen Euro begrenzt. Und man könnte sich auch überlegen, diesen Verlustrücktrag nicht nur für ein Jahr rückwärts, sondern sogar für zwei Jahre zu machen. Dann würde man vielen mittleren Unternehmen helfen, die ja jetzt sich doch sehr schwer tun, nicht nur wegen Corona, sondern auch wegen der Transformation, der sich die deutsche Wirtschaft entgegensieht, insgesamt.
Münchenberg: Das würde aber auch natürlich bedeuten, dass der Staat deutlich weniger Steuern einnimmt.
Bofinger: Bei dem Verlustrücktrag kommt es darauf an, denn man kann eventuell auch Verluste nach vorne tragen. Das wäre dann nicht 100 Prozent Ausfall. Aber diese Maßnahme hat den Vorteil, dass sie administrativ sehr einfach ist, dass sie auch keine Genehmigung aus Brüssel braucht. Und wie gesagt: Gerade im Bereich der mittleren Unternehmen, denke ich, wäre das doch eine sehr, sehr wichtige Maßnahme.
Verlustrücktrag mit Sofortabschreibung für Investitionen ergänzen
Münchenberg: Nun gab es auch deutliche Hilfen zum Beispiel für die Exportindustrie, die Industrie insgesamt, auch die Automobilwirtschaft. Die stehen ja auch besonders stark unter Druck. Ist es aber so sinnvoll, hier anzusetzen, weil das ja nicht unbedingt jetzt auch alles Zukunftstechnologien sind?
Bofinger: Na ja. Deswegen meine ich ja, dieser Verlustrücktrag wäre ja flächendeckend. Aber was ich mir vorstellen könnte ist, dass man ihn ergänzt mit einer Sofortabschreibung für Investitionen. Das heißt: Unternehmen, die jetzt in neue Technologien investieren – und das müssen ja viele -, die könnten dann diesen Betrag, den sie einsetzen, sofort abschreiben. Wenn man das noch mit dem Verlustrücktrag kombiniert, wäre das eine starke Liquiditätsunterstützung für genau die Unternehmen, die dann auch ihre Unternehmen umrüsten, damit sie auch unter den geänderten Bedingungen erfolgreich sind.
Münchenberg: Wenn wir mal bei den bisherigen Maßnahmen bleiben, die da erfolgt sind. Nun stehen ja bestimmte Branchen massiv unter Druck, die Reisebranche zum Beispiel, die Fluggesellschaften, Flughäfen, die Gastronomie, Veranstalter, Dienstleister und viele mehr. Sind das am Ende die großen Verlierer dieser Pandemie, trotz des vielen Geldes, das hier eingesetzt worden ist?
Bofinger: Wir werden da sicher einen Strukturwandel erleben und wir werden, wenn diese Corona-Pandemie abgeklungen ist, nicht 100 Prozent zu dem zurückkehren, was wir vorher hatten. Für die Gastronomie bin ich eigentlich relativ zuversichtlich, dass die Menschen auch weiterhin dann wieder und vor allem, wenn das Gesundheitsproblem weg ist, in Restaurants gehen. Aber natürlich: Im Reisebereich insgesamt wird es eine Änderung geben und da wird man nicht ganz ohne Schrammen dran vorbei kommen.
Münchenberg: Es gibt zum Beispiel auch einen Kritikpunkt, dass die Solo-Selbstständigen hinten runterfallen könnten, weil sie wenig profitieren von den Hilfen. Fallen die ein bisschen durch den Rost?
Bofinger: Ja! Das ist genau das, was Altmaier jetzt anstrebt, diese Betriebskostenzuschüsse. Das ist ja speziell für diese Solo-Selbstständigen gedacht. Die Idee ist ja auch, dass sie jetzt einen Zuschuss bekommen, der auch ihren Lebensunterhalt einigermaßen deckt, und es gibt auch auf Ebene der Bundesländer einiges, was noch draufgelegt wird. Ich denke, die Politik ist sich des Problems schon bewusst.
Anstieg von Insolvenzen: "Berechnung der Bundesbank ist realistisch"
Münchenberg: Auf der anderen Seite: Die Bundesbank war ja nicht ganz so optimistisch. Die rechnen mit einem deutlichen Anstieg der Insolvenzen im kommenden Jahr. 6000 – das wäre ein Plus von 35 Prozent. Kommt das dicke Ende vielleicht doch noch?
Bofinger: Ich meine, das ist ja nicht überraschend bei dem, was wir erlebt haben, dass es auch Insolvenzen gibt. Die Berechnung der Bundesbank, denke ich, ist auch realistisch. Was hier wichtig ist, was die Bundesbank dazu gesagt hat, ist, dass das Bankensystem mit einem solchen Anstieg der Insolvenzen auch zurechtkommt. Ich denke, das ist sehr wichtig, dass es nicht aufgrund des Einbruchs im realwirtschaftlichen Bereich dann nicht auch noch zu einer Krise im Finanzsystem kommt.
Münchenberg: Aber wenn jetzt immer mehr Firmen wackeln, dann sind auch zum Beispiel die Kredite in Gefahr, die die Banken vergeben haben.
Bofinger: Keine Frage! Die Bundesbank sagt, diese 6000, das kann man verkraften. Das kriegen die Banken gut hin. Wenn es mehr wird, wird es schwieriger, weil das auch an das Eigenkapital der Banken dann geht und weil dann auch die Kreditvergabe der Banken eingeschränkt wird.
Münchenberg: Herr Bofinger, nun sind auch die Insolvenzregeln außer Kraft gesetzt worden. War das eine sinnvolle Maßnahme?
Bofinger: Das wird ja sehr unterschiedlich diskutiert. Verlängert wurde ja nur die Aussetzung dieser Antragspflicht für Insolvenzen für Unternehmen, die zahlungsfähig sind, aber möglicherweise überschuldet sind, und das finde ich keine so schlechte Idee, denn die Zahlungsfähigkeit ist ja relativ klar erkennbar. Und wer zahlungsunfähig ist, der illiquide wird, der muss ja auch Insolvenz anmelden. Ausgesetzt ist die Pflicht für Unternehmen, die überschuldet sind, und da muss man sagen, in einer Situation wie im Augenblick ist es natürlich sehr schwer, Unternehmen zu bewerten, Forderungen zu bewerten, und dann ist es vielleicht nicht so klar, wann tatsächlich ein Unternehmen überschuldet ist. Deswegen: In Anbetracht dieser Unsicherheit in diesem Bereich die Antragspflicht auszusetzen, ist in meinen Augen keine schlechte Idee.
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