Die "epidemische Lage von nationaler Tragweite" gilt nach einem Beschluss des Bundestages bis zum 25. November. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will sie dann auslaufen lassen. Auch die Koalitionspartner SPD, Grüne und FDP wollen die Rechtsbasis für weitgehende Corona-Einschränkungen in Deutschland nicht weiter verlängern. Grünen-Politiker Janosch Dahmen sagte am 1.11. im Dlf, die mögliche Ampel-Koalition wolle zukünftig Schutzmaßnahmen über ein geändertes Infektionsschutzgesetz statt über den epidemischen Ausnahmezustand regeln.
Was regelt die epidemische Notlage?
Die "epidemische Lage von nationaler Tragweite" wurde eingeführt, damit die Regierungen in Bund und Ländern auf die Situation reagieren und bindende Verordnungen erlassen können. Sie bildet die rechtliche Grundlage für viele der Coronabeschränkungen.
Die Notwendigkeit ergab sich zum einem aus dem hohen Risiko - es gab noch keine Impfung - und aus der Unübersichtlichkeit der Lage, die sich schnell veränderte. Inzwischen gibt es sowohl die Impfungen als auch Erfahrungen im Umgang mit Infektionswellen. Daher könnte der Ausnahmezustand auslaufen und die eigentlich zuständigen Institutionen würden wieder übernehmen - die Parlamente.
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Wie ist die aktuelle Coronalage in Deutschland?
Das Robert Koch-Institut verzeichnet seit Ende Juli 2021 einen langsamen Anstieg der Infektionszahlen. Im Oktober lag die Sieben-Tage-Inzidenz erstmals seit Mai bei über 100 Ansteckungen pro 100.000 Einwohnern. Das wirkt sich auch auf die Situation in Krankenhäusern aus: Auch hier steigt die Zahl der Covid-19-Patienten in Intensivbehandlung wieder, sie liegt allerdings noch immer unter 2.000 und damit weit unter der Kapazitätsgrenze; zum Vergleich: Ende des vergangenen Jahres waren es mehr als 5.700.
Aktuell sind bei den Infektionen besonders Grundschulkinder betroffen, bei den Erwachsenen insbesondere die über 80-Jährigen.
Experten rechnen im Winter mit einem deutlichen Anstieg der Infektionszahlen und in der Folge mit mehr Krankenhauseinweisungen und Todesfällen. Das Coronavirus verbreite sich deutlich schneller, weil es kälter wird und sich das Leben zunehmend in Innenräumen abspielt. "Im Moment stehen die Zeichen auf Sturm und ich gehe davon aus, dass die Inzidenzen in den nächsten Wochen deutlich steigen werden", sagte der Modellierer und Pharmazie-Professor Thorsten Lehr im Dlf (23.10.2021).
Wäre ein Ende der epidemische Lage zu verantworten?
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und auch Deutsche Krankenhausgesellschaft verweisen auf die in Deutschland inzwischen hohe Impfquote. Aus der repräsentativen COVIMO-Umfrage geht hervor, dass bei den über 60-Jährigen fast 90 Prozent und bei den Zwölf- bis 59-Jährigen fast 75 Prozent geimpft sind.
Allerdings gibt es regional noch große Unterschiede. Sachsen etwa hinkt deutlich hinterher. Dennoch geht auch das Robert Koch-Institut davon aus, dass sich bei diesen durchschnittlichen Impfquoten eine Überlastung des Gesundheitswesens vermeiden lässt, wenn weiterhin Vorsichtsmaßnahmen wie Abstandhalten und Masketragen beachtet werden.
SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach meint: Die Menschen könnten fälschlicherweise annehmen, dieser Vorstoß leite das weitgehende Ende aller Corona-Maßnahmen ein. Intensivmediziner Christian Karagiannidis warnte am 23.10.2021 im Dlf, es sei noch zu früh, die epidemische Lage auslaufen zu lassen. Er rechne mit einem stetigen Anstieg der Coronazahlen und einer Belastung für die Intensivstationen.
Auch Professor
Heyo Kroemer, Vorstandsvorsitzender der Berliner Charité, mahnte im Dlf (20.10.2021)
zur Vorsicht. Die Situation sei im Moment sicherlich numerisch nicht dramatisch, aber man müsse abwarten, in welche Richtung sich das Infektionsgeschehen bewege. Letztendlich sei die Impfquote nicht so hoch, dass man jetzt völlig beruhigt in den Winter gehen könne. Auch wegen der mangelnden Informationsübertragung in Deutschland seien die Zahlen nicht so verlässlich, dass sich darauf eine Strategie aufbauen lasse.
Was sollen nach dem 25. November für Regeln gelten?
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn plädierte am 24.10.2021 im Dlf erneut dafür, dass nach dem erwarteten Ende der "epidemischen Lage" bestimmte Corona-Maßnahmen auf Landesebene weiter angeordnet werden können. Die Ministerpräsidenter der Länder forderten den Bund auf, dass es weiterhin einheitliche Regeln für die Bekämpfung der Corona-Pandemie geben soll. Nach der Konferenz am 21.10.2021 in Königswinter plädierten die Ministerpräsidenten weiter für einheitliche Regeln, etwa für das Nachverfolgen von Kontaktdaten oder die AHA-Regeln.
Spahn hatte zuvor zwei Wege skizziert, wie dies rechtlich umgesetzt werden könnte: Zum einen könnte das Infektionsschutzgesetz so geändert werden, dass Schutzmaßnahmen künftig nicht mehr an das Bestehen einer bundesweiten epidemischen Lage geknüpft wären. Damit hätten die Landesregierungen freie Hand, ihre Corona-Verordnungen wie bisher regelmäßig fortzuschreiben. Alternativ könnten die Länder über ihre Landesparlamente die weitere Anwendbarkeit der Maßnahmen feststellen lassen.
Das Bundesgesundheitsministerium hatte in dem Papier "Sicher durch Herbst und Winter 2.0" konkrete Vorschläge für weitere Coronaregelungen erarbeitet. Zum Beispiel sollten weiter Masken im öffentlichen Nahverkehr oder im Einzelhandel getragen werden und 2G- oder 3G-Regelungen in Innenräumen beziehungsweise bei Großveranstaltungen gelten, zumindest bis in das Frühjahr hinein.
Außerordentlich wichtig sei es, zu vermeiden, dass in der Bundesrepublik ein länderabhängiger Flickenteppich entstehe, sagte
Heyo Kroemer von der Berliner Charité im Dlf (20.10.2021)
. "Sie hätten enorme Schwierigkeiten, in den Krankenhäusern zu argumentieren, in Berlin bestimmte Maßnahmen einzuhalten, wenn wenige Kilometer weiter in Brandenburg anders verfahren werden würde."
Die möglichen künftigen Regierungspartner SPD, Grüne und FDP sprachen sich wie Spahn am 27.10.2021 gemeinsam dafür aus, die epidemische Notlage nicht weiter zu verlängern. Als Hauptgrund nannten die drei Fraktionen den Fortschritt der Impfungen. Eine ernste Gefahr für die öffentliche Gesundheit in der gesamten Bundesrepublik bestehe nicht mehr.
Für eine Übergangszeit bis zum 20. März 2022 sollen den Ländern aber weniger umfassende Vorgaben ermöglicht werden. "Schulschließungen, Lockdowns und Ausgangssperren wird es jedenfalls mit uns nicht mehr geben und sind auch in der aktuellen Situation unverhältnismäßig", sagte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese. Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Marco Buschmann, stellte den Ländern über den Herbst und Winter einen "überschaubarer Katalog wenig eingriffsintensiver Maßnahmen" in Aussicht.
Weiter anordnen können die Länder: Maskenpflicht, Zugangsregeln nur für Geimpfte, Genesene und Getestete, Hygienekonzepte, Abstandsgebote, Kontaktdaten-Erfassung. Insbesondere für die Kinder und diejenigen, die sich nicht impfen lassen könnten, brauche es angesichts der problematischen Coronalage weiter Schutz, betonte die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Schulschließungen sollten möglich bleiben, falls es zum Schutz der Kinder notwendig sei, sagte der Grünen-Politiker Janosch Dahmen. Auch die Maskenpflicht und 3G-Regel würden zunächst nicht fallen.
Auch in der Union sei man sich einig, dass die epidemische Lage zum 25. November auslaufen solle,
sagte Erwin Rüddel (CDU) im Dlf (27.10.2021)
. Er war in der letzten Legislaturperiode Vorsitzender des Gesundheitsausschusses im Deutschen Bundestag. "Wir brauchen keine bundeseinheitliche Regelung, sondern wir haben ein unterschiedliches Infektionsgeschehen in Deutschland", so Rüddel. Deshalb sei es richtig, den Ländern jetzt die Verantwortung übertragen. Der Paragraph 28 ermögliche ihnen, hier eigene Regelungen zu treffen.
Quellen: Vokart Wildermuth, Paul Vorreiter, Bundesgesundheitsministerium, Forschung aktuell, dpa, og, ikl