Die Stimmung ist gereizt abends um halb acht vor der Notunterkunft der Stadtmission am Hauptbahnhof.
"Einfach hinten anstellen, dann können Sie auch rein". "Let me go, no food, no nothing, just sleep." "Ja aber Sie müssen trotzdem warten wie alle anderen."
Über zwei Dutzend Obdachlose stehen in einer langen Schlange und warten, denn bevor es eine warme Suppe und ein Bett für die Nacht gibt, ist hier ein Coronaschnelltest obligatorisch, jeden Tag aufs Neue.
Und das bedeutet anstehen und warten. Auf eine Wartenummer, dann auf den Test, der unangenehm ist und dann auf das Ergebnis. Für gute Laune sorgt das nicht: ″Na da jeden Tag mit 'nem Stäbchen in den Hals zu gehen, das ist überflüsssig. Das kann man mal ab und zu machen, aber doch nicht jeden Tag.″
″Aggression und die Gewalt steigt″
Dennoch stehen nun jeden Abend am Eingang der Notunterkunft vier Menschen mit blauen Plastikkitteln, Mundschutz und Visier vor dem Gesicht und entscheiden per Teststäbchen über ihr Schicksal, so sehen das die Obdachlosen, sagt der Leiter der Kältehilfe Ulrich Neugebauer. Wegen der Coronabestimmungen musste er die Anzahl der Schlafplätze um knapp die Hälfte reduzieren.
″Ich habe das Gefühl, es ist wie ein Pulverfass, das merken wir eben, wie die Leute mit uns umgehen, wie die Aggression und die Gewalt gegenüber Mitarbeitenden steigt. Die stehen alle freundlich vor einem, lächeln einen an und sagen, wieder testen, ja. Und in ihnen kocht es, ich habe doch gestern getestet, aber du kommst nur rein, wenn du testest, sonst gehst du weg. Und früher war die Lehrter Straße immer ein Ort, du konntest vier oder fünf Promille haben, du konntest vorher jemanden umgebracht haben, du kamst immer hier rein, immer, die ganze Nacht. Und jetzt dürfen nur noch 80 Leute rein. Und jetzt stehen die hier und wissen, wenn ich nicht rechtzeitig dastehe, bekomme ich keinen Platz. Und das macht total Druck. Und dann stehen da noch diese Gespenster in den blauen Kitteln.″
So wie Doktor Andreas Lindner von der Charité. Er wertet heute die Proben aus. Sorgfältig verteilt er je einen Tropfen Testflüssigkeit auf kleine Plastikträger, die so ähnlich funktionieren wie ein Schwangerschaftstest: ″Die sind wirklich klasse und nett in der Handhabung und nicht kompliziert. Und eine erfahrene Person schafft so 20 pro Stunde. Und das ist ja genau das, was wir heute hier brauchen, wir haben hier 80 Leute zu testen und die sollen jetzt nicht fünf, sechs Stunden warten, sondern die sollen in zwei bis drei Stunden fertig sein.″
Anstehen und warten
Dennoch wird die Schlange draußen immer länger. Viele der Männer sprechen kein Deutsch, immer mal wieder müssen Betreuer der Stadtmission an den Mundschutz erinnern, eine Frau sitzt auf einem kleinen Mäuerchen, neben ihr ein stark alkoholisierter Mann. Es ist jetzt schon kalt, aber noch ist es nicht Winter. Einige Testergebnisse waren bereits positiv, sagt Anna Behnke von der Stadtmission:
″Wenn es ein Verdacht ist, dann werden sie isoliert alleine, im Einzelzimmer mit eigenem Bad. Und wenn wir den zweiten Test gemacht haben, den PCR-Abstrich und wissen, die Person hat Corona, dann kommt sie auf die Quarantänestation, da können sie auch in Gruppen miteinander. Also wenn alle Corona haben, dann können sie sich nicht mehr anstecken, dann sind sie da gemeinsam 14 Tage. In der Quarantänestation sind sie medizinisch betreut, da arbeiten auch Ärzte, die regelmäßig gucken.″
Und dennoch ist diese Aussicht für die Obdachlosen die Hölle, sagt Katrin Liebscher vom Arbeiter-Samariter-Bund. Sie betreibt eines der Hostels, die im Rahmen der Kältehilfe jetzt zusätzlich für Obdachlose zur Verfügung stehen und hat Gäste und Mitarbeiter ebenfalls bereits getestet. Sie befürchtet, dass die Coronaschnelltests dazu führen, dass die Menschen lieber wieder im Freien übernachten
″Weil sie das eben hören, das spricht sich rum, dass eben getestet wird oder werden soll. Und die haben eben Angst, dass sie dann irgendwo festgehalten werden. Die wollen ihre Freiheit. Deswegen sind sie auf der Straße oft.″
Politik hat keine Alternative zu Schnelltests
Bei der Stadtmission sind einige positiv Getestete bereits geflohen. Eingesperrt wird niemand. Eine Lösung für das Problem ist nicht in Sicht. Sorge bereitet Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach auch die Tatsache, dass die Tests laut Gesetz nur von ausgebildeten Ärzten und Pflegern durchgeführt werden dürfen. Viele Hilfseinrichtungen könnten deshalb gar nicht testen - das müsse vom Gesetzgeber geändert werden: ″Weil wir finden keine Ärzte, die sich von 17 bis 23 Uhr vor eine Kältehilfeeinrichtung stellen. Und wir sind darauf angewiesen, dass wir da jetzt Unterstützung kriegen. Weil das ist tatsächlich noch mal ein ziemlich hoher Schutz. Wenn wir testen und feststellen, wo Leute positiv sind, weil da ja auch durchaus die Symptome unterschiedlich sind oder auch gar nicht sind.″
Von den Obdachlosen hat kaum jemand Angst vor dem Virus. Sie kennen das Leben draußen und manch einer hat eigene Strategien entwickelt und ertränkt Sorgen einfach in Alkohol: ″Schlechte Idee, Coronavirus no. What ist Corona Virus. Three bottles vodka, is no Corona virus.″
Auf drei Flaschen Wodka will sich die Stadtmission bei der Bekämpfung des Virus lieber nicht verlassen. Eine bessere Lösung als die Anwendung der Corona Schnelltests bei den Obdachlosen ist von politischer Seite aus allerdings auch nicht in Sicht.