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Coronatests für Rückkehrer aus Risikogebieten
Spahn (CDU): "Wir prüfen eine rechtliche Verpflichtung"

Im Zusammenhang mit der nach wie vor angespannten Pandemie-Lage hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erklärt, dass seine Behörde auch eine rechtliche Verpflichtung zu Corona-Tests für Reiserückkehrer aus Risikogebieten in Erwägung zieht. Es sei generell besser, einmal zu viel als zu wenig zu testen, sagte Spahn im Dlf.

Jens Spahn im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
Gesundheitsminister Jens Spahn auf einer Pressekonferenz in Berlin am 13. Juli
"Wir haben es bisher in Deutschland gut gemanagt, aber die Pandemie ist mehr denn je im Gange" - Jens Spahn im Deutschlandfunk (www.imago-images.de)
Zuvor hatte Jens Spahn zusammen mit den Gesundheitsministern der Ländern den Beschluss gefasst, dass sich alle Urlaubs-Rückkehrer aus Risikogebieten gratis auf das Virus testen lassen können – und zwar sofort nach ihrer Ankunft an Flug- und Seehäfen. Auf die Frage, ob dies auf freiwilliger Basis erfolge, weil es rechtlich keine anderen Handlungsmöglichkeiten gebe, sagte Spahn, dass er zunächst einmal auf die Eigentverantwortlichkeit der Reisenden setze. Die Testmöglichkeiten sollen dabei explizit verstärkt werden, sagte Spahn.
Aber auch eine rechtliche Verpflichtung zu Coronatests für Reiserückkehrer aus Risikogebieten seitens seiner Behörde werde geprüft. Generell gelte es zu verhindern, dass sich das Coronavirus in Deutschland wieder verstärkt ausbreite.
Dass man zeitlich mit den Testungen hinherhinke, sieht Jens Spahn nicht. Man könne immer sagen, wären zwei Wochen früher nicht besser gewesen, "aber ich denke, dass ist jetzt der richtige Zeitpunkt, wo wir noch jedenfalls sehr, sehr eingeschränkten Flugverkehr mit Drittstaaten außerhalb der EU haben", so der Gesunheitsminister.
Eine einsame Reisende mit zwei großen Koffern menschenleeres Terminal 1 in der Abflughalle B im Flughafen Frankfurt, Hessen, Deutschland
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Es ist ein schlechter Witz, kommentiert Frank Capellan, dass sich die Gesundheitsminister erst auf dem Höhepunkt der Reisewelle damit beschäftigen, wie mit Rückkehrern in der Krise zu verfahren ist.

Das Interview mit Jens Spahn in voller Länge:
Jürgen Zurheide: Herr Spahn, erst mal, kommen sie nicht reichlich spät – wobei "sie" habe ich jetzt klein geschrieben und nicht groß geschrieben – mit dieser Entscheidung?
Jens Spahn: Sie meinen bezüglich der Testung am Flughafen?
Zurheide: Richtig.
Spahn: Grundsätzlich gilt ja schon heute, dass jemand, der aus einem Risikogebiet einreist, also Länder, die ein hohes Ausbruchsgeschehen haben, wo das Robert-Koch-Institut eine entsprechende Einordnung vornimmt, dass auch heute natürlich schon getestet werden kann und soll und man ansonsten auch in Quarantäne muss – das ist auch heute schon Rechtslage in den Bundesländern. Wir sehen aber gleichzeitig, es macht Sinn, so ein Testangebot auch früh zu machen und niedrigschwellig zu machen. Das geht natürlich gut am Flughafen. Da kann man immer sagen, wären zwei Wochen früher nicht besser gewesen, aber ich denke, das ist jetzt auch der richtige Zeitpunkt, wo wir noch jedenfalls auch sehr eingeschränkten Flugverkehr, Reiseverkehr mit Drittstaaten außerhalb der EU haben.
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"Werden auch noch mal die Informationskampagnen verstärken"
Zurheide: Muss das freiwillig bleibt, oder bleibt es nur deshalb freiwillig, weil man im Moment rechtlich glaubt, das nicht anders hinzubekommen? Anders wäre besser.
Spahn: Zuerst einmal setze ich schon auch darauf, dass Reisende – und übrigens nicht nur aus Risikogebieten – einfach auch eigenverantwortlich wahrnehmen, dass Mobilität, das Reisen per se mit Risiko verbunden ist. Wir sehen, das, was wir an Ausbrüchen in Deutschland haben, das sind die Dinge, die wir kennen: Familienfeiern, Gottesdienste, Situationen, wo Menschen zusammen sind, meist in geschlossenem Raum, und nicht achtsam genug sind, ein Stück sorglos sind. Was wir zunehmend sehen, sind eben tatsächlich Reisende, Einreisende aus bestimmten Gebieten, und da setze ich schon darauf, dass man erst mal selber das wahrnimmt.
Wir werden auch noch mal die Informationskampagnen verstärken, aber wir wollen eben auch die Testmöglichkeiten verstärken. Und ja, Herr Zurheide, wir prüfen auch, ob es rechtlich möglich ist, das ist ja ein Eingriff in die Freiheit, jemanden zum Test zu verpflichten. Wir sehen, dass Gerichte sehr genau schauen – zu Recht übrigens in einem freien Rechtsstaat – dass jeder Eingriff verhältnismäßig ist. Wir prüfen also auch eine rechtliche Verpflichtung.
Ein Mann mit Koffer geht durch die Halle eines Flughafens.
Mediziner Nagel: "Tests sollten kostenlos durchzuführen sein"
Nur ein Coronatest für Reiserückkehrer bei der Ankunft in Deutschland sei unsinnig, sagte Mediziner Eckhard Nagel im Dlf. Denn trete eine Infektion erst im Flugzeug auf, sei diese kurze Zeit später am Flughafen nicht feststellbar.
Zurheide: Auf der anderen Seite, das eine sind jetzt Risikogebiete und das andere sind andere Gebiete. Menschen kommen jetzt aus den Niederlanden möglicherweise zurück, nicht an Flughäfen, deshalb sind wir ja bei der Grundfrage: Ist das Bewusstsein im Moment ausreichend da? Jede Reise, muss man doch heute Morgen klar sagen, ist ein Risiko, und jeder, der reist, muss sich darüber vorher im Klaren sein. Richtig oder falsch?
Spahn: Ja, jedes Mal, wenn ich Menschen begegne, insbesondere im geschlossenen Raum, insbesondere Menschen, die ich nicht kenne, denen ich nicht täglich begegne, dadurch kann ein Risiko entstehen. Deswegen gilt ja gerade auch im Urlaub, achtsam bleiben, Abstand halten, wo es geht, Hygieneregeln einhalten, Alltagsmaske, insbesondere im geschlossenen Raum, tragen und tatsächlich eben auch, wenn auch nur ein Verdacht da ist, ein ungutes Gefühl, im Zweifel testen lassen. Wir werden es möglich machen, dass jeder Reiserückkehrer sich testen lassen kann.
Ich bin sehr dafür, dass bei Reiserückkehrenden sich im Zweifel einer zu viel testen lässt als einer zu wenig, aber im Kern gilt das Gleiche wie auch zu Hause im Urlaub: Aufeinander aufpassen, darum geht’s. Es ist nur die Herausforderung – ich bin selbst gerade im Urlaub in Bayern –, dass man natürlich im Urlaub erstens mehr fremden Menschen begegnet, das ist ja ganz normal, auch beim Reisen, und zum Zweiten, ich sehe das ja auch, wie so alle miteinander umgehen, man natürlich ausgelassener ist im Urlaub. Da muss man sich immer wieder dran erinnern, ja, Urlaub heißt, sich erholen, Urlaub heißt manchmal auch, die Dinge des Alltags hinter sich lassen, aber Urlaub in Corona-Zeiten heißt eben, weiterhin aufeinander aufpassen, weil wir sehen in der Welt – nehmen Sie die USA, Brasilien, Russland –, diese Pandemie ist noch da, und sie ist mehr denn je im Gange.
Wir haben ja in Deutschland manchmal den Eindruck, wir haben die Dinge bis hierhin gut geschafft – ja, das haben wir –, und damit sind wir irgendwie durch. Nein, das sind wir ausdrücklich nicht. Wir sehen, wir sind noch mitten in der Pandemie, vor allem eben auch in vielen Ländern der Welt.
Hohe Zahlen auf niedrigem Niveau
Zurheide: Wir haben 815 Neuinfektionen gestern, und der Herr Kretschmer meint, das ist schon die zweite Welle, RKI ist beunruhigt. Wie beunruhigt sind Sie?
Spahn: Ich bin schon wachsam mit diesen Zahlen. Wir hatten so eine hohe Zahl wie lange nicht, das ist noch auf niedrigem Niveau, aber sie steigt. Sie hat vor allem zu tun eben mit Reiseaktivitäten, Reiserückkehrern aus bestimmten Regionen – zum Teil dem Westbalkan, der Türkei –, wo wir eben auch sehen, dass insbesondere auch die Landreisen, das sind ja gar nicht nur die Flugreisen, entsprechende Risiken mit sich bringen, wenn wir es nicht erkennen.
Was wir im Moment haben, sind viele kleinere Ausbrüche. Das ist so – ich schaue gerade auf einen See –, als ob das Wasser sich kräuselt, und die Frage ist, ob daraus jetzt eine Welle wird oder ob es uns gemeinsam gelingt, sie rechtzeitig zu brechen, also Infektionsketten schnell zu erkennen und schnell zu unterbrechen. Dafür braucht es eben gezieltes, aber auch umfangreiches Testen.
Zurheide: Jetzt haben Sie das Reisen angesprochen, das ist das eine, andere Bilder aus Frankfurt, aus der Düsseldorfer Altstadt, ich könnte das jetzt endlos weiter aufzählen, da sieht man zum Teil Bilder, wo der Staat irgendwie versucht, aber wo der Staat offensichtlich nicht wirkmächtig genug ist. Was müsste denn da passieren?
Spahn: Das, was jetzt ja auch passiert in Frankfurt und in Stuttgart, dass der Staat – und der Staat sind ja wir alle gemeinsam auch – eben durch die Zuständigen, nämlich Polizei und Justiz, sehr, sehr klar macht, dass wir das nicht akzeptieren, nicht als Gesellschaft akzeptieren, nicht als Staat akzeptieren, dass Regeln gelten und dass sie durchgesetzt werden und dass sich so was eben weder in Frankfurt noch in Stuttgart nicht wiederholt. Das ist ja genau das, was eben auch passiert.
Wir müssen natürlich auch tiefer gehen und über die Hintergründe reden, wie es passieren kann, dass bestimmte Gruppen jedenfalls junger Menschen Respekt vor Polizei, vor Staat, vor Ordnung, auch vor anderen offenkundig verloren haben. Wenn da grölende Mengen sind, die jubeln, wenn die Polizei mit Steinen beworfen wird, dann geht das tiefer in die Gesellschaft hinein, und darüber muss gesprochen werden.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Parteivorsitz? "Laschet und ich haben entschieden, im Team ein Angebot zu machen"
Zurheide: Jetzt rede ich heute Morgen natürlich mit Ihnen, wo andere Themen auch mit Ihrem Namen ganz eng verbunden sind, Herr Spahn. Die Frage ist, treten Sie noch an für die Wahl des Parteivorsitzenden neben Herrn Laschet – also nicht neben Herrn Laschet, sondern statt Herrn Laschet?
Spahn: Herr Zurheide, Herr Laschet und ich, wir haben entschieden, im Team ein Angebot an die Partei zu machen, und zwar aus gutem, wohlüberlegtem Grund.
Zurheide: Und das haben Sie bei Ihrem Spaziergang, jetzt, wo wir die Bilder gesehen haben, auch noch mal bekräftigt, trotz der Rufe, die da kommen?
Spahn: Ja, weil wir können ja nicht über Zusammenhalt viel reden und ihn nicht dann auch leben. Mein Eindruck ist, mein Gefühl ist auch aus der Zeit vor Corona, aber durchaus auch mit dem, was wir jetzt wieder sehen, dass es sehr darum geht, zusammenzuführen, und zwar in der Gesellschaft wie auch in der Partei. Sie haben gerade Stuttgart angesprochen, das gilt aber auch für andere Themen.
Wir müssen miteinander dialogfähig bleiben, im Gespräch bleiben und nicht sehen, dass immer mehr auch in so Echokammern kommt, wo man nur noch die eigene Meinung bestätigt bekommt. Das haben wir in der Gesellschaft sehr viel, bei verschiedenen Themen – übrigens auch rund um Corona –, das haben wir aber auch in der Partei in Teilen. Das kann man nur überwinden, wenn tatsächlich eben Zusammenhalt auch an der Spitze gelebt wird, als Team gelebt wird, und deswegen ist das schon eine bewusste Entscheidung fürs Team gewesen und weiterhin.
Zurheide: Das heißt, Sie rufen den Freunden, die Sie da gerade promoten, seid mal ein bisschen stiller.
Spahn: Ich rufe uns allen zu in der Christlich-Demokratischen Union, jetzt auch zu Beginn der Sommerpause, dass mein Eindruck ist, dass die Bürgerinnen und Bürger vor allem mit uns darüber reden wollen, was wir tun, damit es eben keine zweite Welle gibt – genau das, was wir besprochen haben –, was wir tun, damit Alltag in Corona-Zeiten möglich ist, was wir tun, damit wir aus dieser Krise in gute 20er-Jahre hineinkommen, dass wir sozusagen mit dem, was wir gelernt haben, aber auch mit dem, was wir gesehen haben, wo Deutschland stark ist, die nächsten zehn Jahre gestalten und sie besser werden lassen, noch besser als die letzten zehn. Über all das, hab ich den Eindruck, wollen die Bürgerinnen und Bürger reden, aber jetzt nicht monatelang über Personalfragen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.