Lennart Pyritz: Gestern haben wir hier in Forschung aktuell über die Entwicklung eines Impfstoffs gegen das neue Coronavirus berichtet. Ebenso wie eine solche Prophylaxe fehlen bislang auch Medikamente, um bereits Erkrankte zu behandeln. Rolf Hilgenfeld forscht seit Jahren an Wirkstoffen gegen Corona-Viren, seit der SARS-Pandemie. Er ist Biochemiker an der Universität Lübeck und derzeit in China, um mit Kollegen dort Substanzen gegen die Viren, einschließlich des neuen Virus, weiter zu erforschen. Dabei geht es erstmal um Tierversuche, der Einsatz bei Menschen ist noch nicht absehbar. Das musste er nach seiner Ankunft in China erst einmal klarstellen, weil Falschmeldungen die Runde machten, er wolle Wirkstoffe an Menschen testen. Wie es dazu kam? Das war meine erste Frage, als ich Rolf Hilgenfeld gestern Abend in China erreicht habe.
Rolf Hilgenfeld: Ja, es gab sehr viele Fake News, die dadurch entstanden sind, dass ein Interview von mir mit einer kleinen Radiostation in Lübeck falsch ins Chinesische übersetzt wurde. Da wurde dann aus zwei Hemmstoffen, die ich erwähnt habe, die ich mitnehme, um sie testen zu lassen gegen das neue Virus, wurden dann zwei Medikamente, die ich in Wuhan an Patienten testen möchte. Das hat sich über WeChat wie ein Lauffeuer verbreitet, und seitdem gebe ich viele Interviews, um dieses zu korrigieren. Es war also wirklich erschreckend, wie innerhalb kürzester Zeit diese Falschnachrichten 500.000mal gelesen wurden.
Suche nach breit angelegten Wirkstoff gegen Corona-Viren
Pyritz: Dann wollen wir jetzt auf jeden Fall noch mal richtige Nachrichten verbreiten. Sie forschen seit geraumer Zeit an einem breit angelegten Wirkstoff gegen Corona-Viren. Der ist aber noch nicht einsetzbar, sondern in einer experimentellen Phase. Das haben Sie auch gesagt, dass Sie den da gerne noch mal getestet hätten. Dabei nutzen Sie auch Erkenntnisse über SARS- und MERS-Viren. Vielleicht können Sie kurz nachzeichnen die Entwicklung dieses Wirkstoffs bis zum jetzigen Zeitpunkt.
Hilgenfeld: Wir versuchen breitspektrum-antivirale Wirkstoffe zu entwerfen und zu synthetisieren und dann zu testen. Das Konzept ist, dass man mit ein- und demselben Wirkstoff nicht nur die Beta-Corona-Viren SARS-Corona-Virus und MERS-Corona-Virus hemmt und dann hoffentlich auch Wuhan-Virus, sondern dass man auch die Alpha-Corona-Viren, die medizinisch jetzt keine so große Rolle spielen, auch hemmen kann, und dass man vor allen Dingen die Enteroviren hemmen kann.
Pyritz: Wenn wir auf das Wirkprinzip dieser Substanzen schauen, an denen Sie arbeiten, dann müssen Sie sich dann sozusagen konservative Regionen dieser Viren heraussuchen, die bei allen diesen Krankheitserregern gleich sind, damit so ein Breitspektrum-Wirkstoff eben gegen verschiedene Virustypen wirken würde. Oder wie muss man sich das vorstellen?
Hilgenfeld: Genauso ist es. Da ist unser Zielprotein die Protease, die heißt bei den Corona-Viren Hauptprotease und bei den Entereo-Viren 3-C-Protease. Die haben bestimmte Gemeinsamkeiten in ihrem aktiven Zentrum, und sie haben auch die Gemeinsamkeit, dass sie die Spezifität miteinander teilen. Das heißt, unsere Hemmstoffe sind dann auch sehr spezifisch, und wir erwarten wenig Nebenwirkungen.
Nächste Schritte mit dem Mausmodell
Pyritz: Versuche mit Mäusen haben bis jetzt gezeigt, dass diese Wirkstoffe, an denen Sie arbeiten, zumindest verträglich sind. Was wären denn jetzt die nächsten Etappen? Welche Schritte fehlen noch, um dieses Medikament oder Wirkstoffe tatsächlich beim Menschen anzuwenden?
Hilgenfeld: Der nächste Schritt ist, dass man sie untersucht in Mausmodellen für die jeweilige Krankheit. Wir gehen als nächstes in das Mausmodell von MERS, welches von Kollegen an der Uni Marburg konstruiert wurde, und dann müsste man anschließend noch in ein Mausmodell gehen für Entero-Virus-Infektionen. Ich würde dann auch gerne kooperieren mit jemanden, der ein Mausmodell entwickelt für das neue Wuhan-Corona-Virus, aber die Entwicklung eines solchen Mausmodells dauert auch mehrere Monate.
Pyritz: Sie haben jetzt mehrfach das Wort Mausmodell genannt. Was muss man sich da genau darunter vorstellen, und warum muss tatsächlich ein spezielles Modell für jede Viruserkrankung erstellt werden?
Hilgenfeld: Die Mäuse sind nicht einfach mit den jeweiligen Corona-Viren zu infizieren, sondern sie müssen den Rezeptor des Menschen tragen, der beim Menschen für das Eindringen der Corona-Viren in die Zelle verantwortlich ist. Man muss also die Maus engineeren genetisch, um diesen menschlichen Rezeptor dort sozusagen zu transplantieren.
Pharmaindustrie an Corona-Viren-Forschung nicht interessiert
Pyritz: Wenn wir auf die finanzielle Seite schauen, wie sieht es da aus? Was für Möglichkeiten oder auch was für Probleme warten da bei der Entwicklung von so einem Wirkstoff gegen ein neues Virus oder einem breitband-antiviralen Medikament?
Hilgenfeld: Nachdem man dann diese Mäuseversuche erfolgreich abgeschlossen hat, dann kann man daran denken, klinische Studien zu initiieren. Das kostet sehr viel Geld und dauert lange. Man braucht also idealerweise einen Partner aus der Pharmaindustrie, aber die Pharmaindustrie ist wegen der insgesamt doch geringen Fallzahlen an Corona-Viren nicht wirklich interessiert. Das andere Problem ist, dass, wenn man dann soweit ist mit der Entwicklung, und man hat die Mausmodelle erfolgreich absolviert, dann gibt es meistens keine Patienten mehr, weil die Epidemie inzwischen beendet ist, und dann kann man zehn Jahre warten auf den nächsten Ausbruch.
Pyritz: Das bedeutet aber auch, dass darin auch die Überlegung für Ihren Breitbandansatz steckt, dass Sie dann eventuell irgendwann einen Wirkstoff haben, der auch schon gleich für den nächsten neuaufkommenden Coronavirus anwendbar ist.
Hilgenfeld: Ja. Also unsere Strategie ist eben, dass wir die Familie der Enteroviren mit dazu nehmen, die ist viel größer, verursacht viel mehr Krankheitsfälle. In China allein gibt es jedes Jahr eine halbe Million Fälle von Hand-, Fuß- und Mundkrankheit bei Kleinkindern, und dafür hätte man gerne ein Medikament. Dann hat man auch einen Markt, dann könnte auch die Pharmaindustrie interessiert sein. Vor allen Dingen hat man dann auch eine viel größere Chance, klinische Versuche erfolgreich durchzuführen, weil man einen besseren Zugang zu Patienten hat.
Vorhandene Medikamente zeigen Wirkung
Pyritz: Das ist dann aber in gewisser Weise noch Zukunftsmusik. Vielleicht haben Sie da auch einen Überblick, mit welchen Wirkstoffen eigentlich jetzt gerade in China Erkrankte behandelt werden. Also gibt es schon zugelassene Medikamente, die eine Art von Wirkung zeigen, eine gewisse Wirkung zeigen, jetzt auch bei dem Wuhan-Virus, und dann sozusagen umgewidmet werden können?
Hilgenfeld: Es gibt keine Medikamente, die zur Behandlung von Coronavirus-Infektionen zugelassen sind, aber man kann in der Tat Medikamente, die für andere Viruserkrankungen schon zugelassen sind oder kurz vor der Zulassung stehen und von denen man weiß, dass sie menschen-sicher angewendet werden können, einsetzen. Da ist zum einen die Kombination aus Lopinavir und Ritonavir. Das sind zwei HIV-Protease-Inhibitoren, und die hat man schon recht erfolgreich beim SARS-Ausbruch eingesetzt, und die scheinen auch jetzt wieder zu wirken. Das andere ist ein Inhibitor, welcher gegen das Ebolavirus entwickelt wurde. Der Name ist Remdesivir, und Remdesivir hat auch Aktivität gegen das SARS-Coronavirus, und ich denke, man sollte oder man wird Remdesivir versuchen zur Therapie der Patienten einzusetzen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.