Während in Deutschland inzwischen mehr als die Hälfte der Bevölkerung mindestens einmal gegen das Coronavirus geimpft wurde, steigen in vielen Ländern auf dem Kontinent Afrika die Corona-Infektionszahlen wieder an. Denn es fehlt an Geld, aber auch an Impfstoffen. Im globalen Wettlauf, möglichst schnell viele Menschen gegen COVID-19 zu impfen, hängt der Kontinent daher hinterher. Dabei hat seit einigen Wochen eine neue Corona-Welle verschiedene Länder erfasst - und sie ist ungleich verheerender und tödlicher als die bisherigen.
Roland Hansen leitet die Abteilung Afrika bei der Hilfsorganisation Malteser International. Bisher seien nur 1,5 Prozent der Menschen auf dem Kontinent geimpft worden, sagte er im Dlf. Er befürchtet, dass sich dort auch weitere Mutationen entwickeln könnten: "Denn die entwickeln sich ja offenbar dann, wenn da kein Schutz ist und die Bevölkerungsgruppe sehr groß ist, die nicht geimpft ist, sodass wir da von weiteren Mutanten - sogar Entwicklungen - ausgehen müssen, die letztendlich ja dann auch uns in Europa und Amerika wieder bedrohen wird", so Hansen.
Der afrikanische Kontinent sei von der Covax-Initiative, die ärmeren Staaten Impfstoff zur Verfügung stellt, abhängig. Doch bis die zugesagten Impfdosen ankämen, könnte es noch dauern. Daher müsse man in der Zwischenzeit das Augenmerk auf die Krankenhäuser richten. Dort würden die Menschen auch sterben, weil es an Sauerstoff mangelt.
Das Interview im Wortlaut:
Jasper Barenberg: Herr Hansen, in welchen Ländern, in welchen Regionen Afrikas ist die Entwicklung denn gerade besonders dramatisch?
Roland Hansen: Abgesehen von Südafrika, wo es ja auch in der Tat schon relativ früh dramatisch wurde, ist jetzt im Augenblick Uganda und der Kongo, die Demokratische Republik Kongo, sehr stark betroffen und offensichtlich auch aufgrund der Delta-Variante.
Barenberg: Andere Regionen, die noch betroffen sind: Ich lese von Sambia zum Beispiel.
Hansen: Ja, es sind insgesamt 12 bis 14 Länder, wo jetzt die Delta-Variante nachgewiesen wurde. Es entwickelt sich wirklich sehr, sehr unterschiedlich von Land zu Land, aber offenbar ist es ein bisschen am dramatischsten, wie gesagt, jetzt gerade auch Uganda, wo eine extrem niedrige Impfrate auch besteht, allerdings auch in Namibia hört man Ähnliches. Das wird sich so zusammenbrauen, und ein Land wird sicherlich auf das andere dann seine Auswirkung haben durch den Reiseverkehr. Da ist von auszugehen, dass das nicht bei diesen wenigen Ländern bleibt.
"Nur 1,5 Prozent sind durchschnittlich geimpft"
Barenberg: Zunächst hatte es ja so ausgesehen – ich hatte das angedeutet –, als würde Afrika glimpflicher davonkommen, sagen wir mal, als manch andere Region in der Welt. Warum gilt das nicht mehr? Sie haben gerade ein Stichwort genannt, Delta, ist das das entscheidende Stichwort?
Hansen: Das ist sicherlich die akut dazukommende Erklärung, aber grundsätzlich ist einfach, wenn wir nur 1,5 Prozent durchschnittlich in Afrika an Bevölkerung geimpft haben, ist das eigentlich fast zu erwarten. Nachdem jetzt bei uns – wir haben es eben gehört von Ihnen – 50 Prozent wenigstens eine Impfung hatten, ist das in Afrika eine ganz andere Geschichte. Das heißt, die Wahrscheinlichkeit dann, dass das sich dort weiter auch mit Mutanten entwickelt, denn die entwickeln sich ja offenbar dann wirklich, wenn da kein Schutz ist und die Bevölkerungsgruppe sehr groß, die nicht geimpft ist, sodass wir da von weiteren Mutanten - sogar Entwicklungen - ausgehen müssen, die letztendlich ja dann auch uns in Europa und Amerika wieder bedrohen wird.
Barenberg: Das heißt, wenn ich es richtig verstehe, fehlende oder geringere Mobilität war ein Argument, das immer genannt wurde, warum das in Afrika nicht ganz so hart einschlug, die Corona-Pandemie, wie bei uns. Und jetzt müssen wir sagen, das wird jetzt mit einiger Verzögerung den Kontinent genauso hart treffen wie bei uns?
Hansen: Das hatte ich in der Tat auch immer so schon vorausgesehen. In der Tat gibt es nicht ganz so viel Mobilität wie bei uns, wir sind natürlich hoch komplett globalisiert, und in Afrika leben halt viele Menschen tatsächlich noch auf dem Land. Aber man konnte sehr schön sehen, in den Slums, in den richtig dicht besiedelten Großstadtrandbezirken der Armutsbevölkerung, dort war die Rate schon immer höher. Und ich muss sagen, einige Länder, unter anderem Uganda, haben es durch radikale Lockdowns geschafft, zunächst mal die erste und teilweise auch die zweite Welle dann gering zu halten. Jetzt gibt es in Uganda übrigens wieder 42 Tage Lockdown, was natürlich auch zu weiteren Problemen wie letztendlich bis hin zu Hunger und auf jeden Fall aber Arbeitslosigkeit und zu einer Bildungslücke führt, weil die Schüler haben seit über einem Jahr keinen Unterricht mehr.
"Sie sind von Covax abhängig"
Barenberg: Sie haben den Lockdown erwähnt, eine Methode, sich dem Virus entgegenzustemmen, was haben die Staaten der Welle entgegenzusetzen?
Hansen: Im Augenblick sind sie im Grunde genommen wirklich total abhängig. Weil sie sich selbst keine Impfstoffe, fast keine Impfstoffe selbst leisten können, sind sie von Covax abhängig. Uganda hatte um die 900.000 Impfdosen bekommen, die sind aber jetzt verimpft.
Barenberg: Das müssen wir kurz erklären vielleicht, die internationale Initiative Covax, die gerade dafür sorgen soll, dass die ärmsten Staaten der Welt auch Impfstoff zur Verfügung gestellt bekommen.
Hansen: Grundsätzlich eine gute Idee, aber viel zu langsam angelaufen. Es ist viel zu wenig verteilt worden, und jetzt gibt es eine größere Lücke, wo einfach jetzt im Grunde genommen die Bereitschaft auch bei der Bevölkerung wächst, sich impfen zu lassen. Auch das war am Anfang nicht so leicht, auch in Deutschland gibt es ja viele Impfgegner, das gab’s dort auch anfangs, weil es hieß, es ist eine westliche Krankheit, man will uns sozusagen damit nur noch Schlimmeres. Aber jetzt ist die Impfbereitschaft da, und da tun wir auch unseren Teil zu. Wir sind zum Beispiel im Kongo dabei, eine große Impfkampagne zu unterstützen, wir verimpfen dort so 10.000 Menschen auch, die wir erst sehr intensiv aufklären müssen, aber es fehlt jetzt an Impfstoff, und das ist genau das Problem.
Wenn es jetzt in Massen wirklich auch ähnlich wie bei uns im Millionenbereich pro Land wirklich Impfstoffe gäbe und entsprechend auch die Unterstützung hinzukäme, die Impfkampagnen durchzuführen – denn das schafft der kongolesische oder der ugandische Staat alleine nicht - wir müssen dabei helfen. Dabei ist auch eine Organisation wie Malteser gut aufgestellt, diese Impfkampagnen durchzuführen.
Das ist jetzt ganz, ganz dringend erforderlich, zusätzlich, was wir jetzt im Augenblick machen müssen, sind lebensrettende Maßnahmen, mit denen wir schlichtweg Sauerstoff zur Verfügung stellen, mehr Sauerstoffflaschen und auch Aufbereitungsgeräte, weil in den Krankenhäusern zurzeit Menschen sterben, weil der Sauerstoff ausgeht und einfach von heute auf morgen. Zum Beispiel in einem Krankenhaus in Uganda sind 30 Menschen, die in den Intensivstationen lagen, von heute auf morgen gestorben, weil einfach kein Sauerstoff mehr da war.
Es fehlt auch an Sauerstoff
Barenberg: Wenn ich noch mal auf das Stichwort Impfstoff zurückkommen darf: Sie haben gesagt, es gibt diese Initiative Covax, aber die sei von Anfang an nicht ausreichend ausgestattet gewesen gewissermaßen. Nun haben ja viele Industrieländer, haben die G7, haben die USA, haben auch die EU und Deutschland Impfdosen gespendet, viele hundert Millionen, oder das zumindest angekündigt. Ich glaube, G7 hat insgesamt eine Milliarde binnen einem Jahr zugesagt. Wie kann das sein, dass es jetzt eine solche Lücke gibt?
Hansen: Ja, die Zusage, muss man sagen, kam ja erst vor – wann war das – vor zwei Wochen maximal, und bis das dann umgesetzt ist, das wird dauern. Es gibt tatsächlich ja auch teilweise wirklich große Engpässe, das merken wir auch bei uns ja, dass die Firmen nicht genügend liefern können. Ich gehe mal davon aus, dass es bestimmt einen Monat dauert, bis dann entsprechend das in den Ländern angekommen ist. Insofern müssen wir im Augenblick tatsächlich vorübergehend uns auf die Krankenhäuser konzentrieren, wo die Menschen ansonsten sterben. Da haben wir jetzt beispielsweise auch das Bundesgesundheitsministerium angeschrieben, weil da gibt es ja teilweise auf Halde liegend Gerätschaften, die hier nicht mehr gebraucht werden, weil man damals – sinnvollerweise muss ich sagen – auf Vorrat gekauft hat. Die werden jetzt womöglich freigegeben, und da versuchen wir auch dranzukommen. Wir brauchen also momentan wirklich jede Hilfe, um weitere Todesfälle zu vermeiden.
"Wir haben ein langfristiges Problem"
Barenberg: Wenn sich jetzt alle einen Ruck geben, sag ich mal, und es, sagen wir mal, mehr Impfstofflieferungen aus den reichen, aus den industrialisierten Ländern gibt, und wenn es weitere Unterstützung gibt, gibt es dann die Chance noch, jetzt, wo die Welle schon begonnen hat, die noch in Afrika zu brechen, oder sehen Sie da schwarz sozusagen?
Hansen: Ich sehe ähnlich schwarz wie insgesamt global. Wir haben ja gehört, dass im Grunde genommen wir in Zukunft mit dieser Viruserkrankung leben müssen. Das wird wahrscheinlich in Wellen immer wieder kommen. Insofern müssen wir uns drauf einstellen, ähnlich wie HIV – hat ja auch über Jahrzehnte wirklich auch gerade Afrika ja auch besonders betroffen gehabt. Das wird dauern, bis dann entsprechend auch Medikamente so entwickelt sind, dass die kostengünstig dann auch ärmeren Menschen zur Verfügung gestellt werden können und die Impfungen regelmäßig stattfinden können.
Nur einmal jetzt die Impfkampagne zu machen, das hilft wahrscheinlich dann nicht, wir gehen davon aus, dass wir das in den nächsten Jahren weitermachen müssen. Insofern haben wir wirklich ein längerfristiges Problem, und das ist sicherlich schwieriger zu bewältigen in einem Land, wo die Gesundheitssysteme komplett unterentwickelt sind, muss man einfach so sagen. Es ist leider auch zu wenig investiert worden, auch von den Staaten, auch die müssen sich an die Nase fassen, ist zu wenig in die Gesundheit investiert worden, und das zahlt sich jetzt leider negativ aus.
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