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Coronavirus
Dahmen (Grüne): "Im Herbst wird die Delta-Variante in Deutschland dominant sein"

Die Ausbreitung der Delta-Variante des Coronavirus sei nicht mehr zu verhindern, sagte der Arzt und Grünen-Politiker Janosch Dahmen im Dlf. Entscheidend sei nun, dass die Impfkampagne schneller sei als die Verbreitung der Mutation. Die schlechten Zwischenergebnisse des Impfstoffkandiaten von Curevac seien da ein weiterer Rückschlag.

Janosch Dahmen im Gespräch mit Philipp May |
Computergenerierte Darstellung zweier Coronaviren in Rot und Grün
Die Delta-Variante des Coronavirus hat ihren Anteil in Deutschland in den vergangenen Wochen verdoppelt (imago / Science Photo Library)
Das Tübinger Biotech-Unternehmen Curevac musste melden, dass sein Impfstoff-Kandidat in Zwischenergebnissen nur eine Wirksamkeit von 47 Prozent erzielt hat. Die Wirksamkeit des Mittels namens CVnCoV hänge dabei sowohl von den Coronavirus-Varianten als auch vom Alter der Geimpften ab. Sicherheitsbedenken wurden allerdings nicht festgestellt.
Die Hoffnung, dass Curevac sehr wirksam sei und im August zugelassen werde, sei damit hinfällig, ordnete Nadine Linder aus dem Dlf-Hauptstadtstudio die Nachricht ein. Die vorgegebenen statistischen Erfolgskriterien seien nicht erfüllt. Curevac gebe die große Bandbreite an Mutationen, gegen die sich der Impfstoff inzwischen behaupten müsse, als zentralen Grund an. Bei der Zulassung bisheriger Impfstoffe hatten diese noch keine Rolle gespielt. Die in New York notierte Aktie von Curevac war nach der Nachricht um mehr als die Hälfte eingebrochen.
Die Nachricht sei ein weiterer Rückschlag für die Impfkampagne, sagte Janosch Dahmen (Grüne), Gesundheitspolitiker und Arzt, im Deutschlandfunk. Die Bundesregierung habe Impfangebote in Aussicht gestellt, die nun schwer einzuhalten seien. Das liege nicht nur an Curevac, auch Biontech liefere nun weniger als geplant und von Johnson & Johnson seien Lieferungen ausgefallen. Es brauche ein besseres "Erwartungsmanagment" der Bundesregierung.
Injektionsflaschen mit dem Corona-Impfstoff des Tübinger Herstellers Curevac (Symbolbild)
Die Probleme von Curevac bei der Impfstoff-Zulassung
Das Tübinger Biopharmaunternehmen Curevac war 2020 im Rennen um einen Corona-Impfstoff dabei, aber ins Ziel kamen andere. Viele kleine Probleme verstärkten sich gegenseitig, die entscheidende Zulassungsstudie begann spät – und lieferte enttäuschende Zwischenergebnisse.
"Es ist sicherlich so, dass man bis zum Oktober den überwiegenden Menschen in Deutschland ein Impfangebot wird machen können", sagte Dahmen im Interview. Die zentrale Hürde sei dabei der Impfstoffmangel. Es zeige sich dabei nun auch, dass die Aufhebung der Priorisierungen zu früh erfolgt sei. Man werde jetzt Menschen, die auf Impfstoff gehofft hatten, sagen müssen, dass es noch dauern wird.

Dahmen: Wettlauf zwischen Impffortschritt und Delta-Variante

Außerdem müsse man die Menschen angesichts der nahenden Schulferien und der problematischen Delta-Variante zur Vorsicht mahnen. Schutzmaßnahmen und Reisemobilität bräuchten große Achtsamkeit. Sonst bestehe das Risko, dass die großen Fortschritte bei den Fallzahlen wieder kaputt gemacht würden.
Dass die Delta-Variante, die ihren Anteil an den Infektionen in Deutschland in den vergangenen Wochen von drei auf sechs Prozent gesteigert hat, dominant wird, sei nicht mehr zu verhinden. Spätestens im Herbst werde das der Fall sein. Es gehe nun um die Frage, ob die Dominanz der Delta-Variante und damit auch die Gefahr für viele Menschen schneller eintrete als der Impffortschritt. Dafür sei es zentral, das Einhalten von Quarantäneregeln und Testregeln nachzuverfolgen und durchzusetzen.

Das vollständige Interview im Wortlaut:

Philipp May: Ist das Ende der Pandemie doch weiter weg als gedacht?
Janosch Dahmen: Tatsächlich, also nicht nur, weil weltweit Impfstoff fehlt, weil neue Virusvarianten Erfolge, die wir bereits erzielt haben, bedrohen, und natürlich weil auch insgesamt selbst hier in Deutschland der Impffortschritt, das Impftempo noch zu wünschen übrig lässt und wir deshalb auf einem guten Wege sind, aber jetzt Vorsorge insbesondere für den Herbst treffen müssen.
May: Der Sommer wird gut, das war das Mantra der meisten Gesundheitspolitiker – ist das noch haltbar?
Janosch Dahmen, Bündnis 90/Die Grünen
Janosch Dahmen, Bündnis 90/Die Grünen (picture alliance/dpa/Kay Nietfeld)
Dahmen: Man darf sich nicht davon täuschen lassen, dass die niedrigen Fallzahlen, die Erfolge der letzten Wochen unter gemeinsamen Anstrengungen sind, nicht abdecken können, dass es eine ganze Reihe besorgniserregender Entwicklungen gibt. Das sind einerseits die ausbleibenden Lieferungen an Impfstoffen, mit denen wir gerechnet haben, die wir dringend bräuchten, das sind andererseits neue Virusvarianten wie die Delta-Variante, von der Sie gerade gesprochen haben, und natürlich auch die Frage, wie gehen wir eigentlich mit Menschen um, bei denen es offensichtlich so ist, dass zwei Impfungen nicht ausreichen, um einen ausreichenden Impfschutz herzustellen, und die gerade bei neu ansteigenden Infektionszahlen im Herbst dann besonders bedroht sein könnten.

Dahmen: "Bei mehreren Impfstoffen absehbar weniger Lieferungen"

May: Jetzt haben Sie die Punkte schon angesprochen, lassen Sie uns das der Reihe nach abarbeiten. Hat die Bundesregierung zu große Hoffnungen auf Curevac gesetzt? Insgesamt hat die EU ja 405 Millionen Dosen bestellt.
Dahmen: Insgesamt zeigt sich, dass im Versprechen für die gesamten Impfstofflieferungen die Bundesregierung wieder beim Erwartungsmanagement nicht ehrlich war und man Dinge schon als gesetzt kommuniziert hat und Impfangebote in Aussicht gestellt hat, die man jetzt schwer einhalten kann. Neben dem Ausfall von Curevac und den geringeren Lieferungen von Biontech sind es ja zusätzlich ausfallende Lieferungen bei dem Impfstoff von Johnson & Johnson, der aufgrund von Verunreinigungen in großem Stil zurückgehalten werden muss. Das heißt, wir haben bei mehreren Impfstoffen absehbar weniger Lieferungen, als wir zunächst erhofft hatten, und hier wird die Impfkampagne deutlich ausgebremst werden.
Fünf Spritzen liegen nebeneinander, die Nadeln in Dosen eines Corona-Impfstoffes, 2. April 2021, USA
Corona-Impfstoffe in der Übersicht
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May: Sehe ich das richtig, Sie werfen der Bundesregierung nicht vor, dass der Impfstoff jetzt nicht kommt, sondern nur, dass sie sozusagen die Erwartung zu hoch gehängt hat, Hoffnungen geschürt hat, die sie nicht erfüllen kann.
Dahmen: Absolut, und es zeigt sich, dass dadurch, dass Impfstoff fehlt, auch weiter Priorisierungen notwendig bleiben. Hier war es sicherlich falsch, dass man die Priorisierungsliste zu schnell aufgegeben hat und jetzt dem ein oder anderen, der gedacht hat, er kann sich jetzt schnell impfen lassen, wird sagen müssen, es wird noch dauern.

Dahmen: Bundesregierung muss realistische Erwartungen an die Impfkampagne kommunizieren

May: Sie haben es gesagt, der Impfstoff bleibt knapp, auch Biontech liefert weniger. Wie sehr wird das jetzt die Kampagne in Deutschland konkret verzögern?
Dahmen: Die große Herausforderung ist ja, dass wir sowohl in den Priorisierungsgruppen noch Menschen, die bisher nicht geimpft sind, dringend schnell nachimpfen müssen, und dann vor allem die gesamte Eltern- und Lehrergeneration impfen müssen, um sicher die Schulen nach den Sommerferien aufmachen zu können. Es ist so, dass hier viele der jüngeren Menschen noch kein Impfangebot hatten und auch keine Chance auf einen Termin hatten, das wird sicherlich jetzt unter diesen geringeren Mengen noch mal schwieriger werden. Man kann nur an einerseits Geduld appellieren und andererseits an Ehrlichkeit der Bundesregierung, hier in der weiteren Planung auch so zu kommunizieren, was dann am Ende realistisch ist.
May: Das heißt, das Versprechen, dass jedem Erwachsenen in Deutschland bis Ende des Sommers ein Impfangebot gemacht werden kann – dieses Versprechen ist ja sowohl von Jens Spahn als auch von Angela Merkel getroffen worden –, steht das noch, ist das noch haltbar Ihrer Meinung nach?
Dahmen: Im Kern wird hier die Deutungshoheit darum gehen, wann denn das Ende des Sommers ist. Es ist sicherlich so, dass man bis zum Oktober den überwiegenden Menschen in Deutschland ein Impfangebot wird machen können, allerdings ist es so, dass bis zum Beginn der Schulferien – das ist ja schon deutlich früher – das sehr, sehr schwierig werden wird aus organisatorischen Gründen, aber in allererster Linie aufgrund des Mangels an Impfstoff. Ich glaube, hier wäre es wichtig, die Menschen deshalb insbesondere zur Vorsicht zu mahnen, dass Schutzmaßnahmen, dass Reisemobilität immer mit großer Achtsamkeit eingegangen werden muss, damit wir uns nicht durch das Einschleppen neuer Virusvarianten und Fallzahlen aus dem Ausland alle Erfolge, die wir uns in den letzten Wochen gemeinsam erarbeitet haben, dann kaputt machen.

"Spätestens im Herbst wird die Delta-Variante in Deutschland dominant sein"

May: Können wir den Eintrag der Delta-Variante, die ja aktuell als die gefährlichste oder besorgniserregendste gilt, können wir den überhaupt noch verhindern, wenn wir jetzt sehen, dass laut Robert Koch-Institut sich der Anteil der Delta-Variante in Deutschland allein verdoppelt hat in den letzten Wochen, von drei auf sechs Prozent?
Dahmen: Ich gehe nicht davon aus. Ich bin mir relativ sicher, dass spätestens im Herbst die Delta-Variante in Deutschland dominant sein wird, und wir sind halt jetzt in einem Wettlauf mit dieser Mutation. Schaffen wir es, bis zum Herbst schnell genug eine große Anzahl an Menschen zu impfen und damit dann auch weniger vulnerabel als Gesellschaft zu sein, oder werden wir so langsam sein, dass am Ende des Tages die Dominanz einer solchen Variante und damit auch die Gefahr für viele Menschen schneller eintritt als der Impffortschritt.
Zwei Fläschchen der Impfstoffe von Biontech/Pfizer und von AstraZeneca
Immunologe: Zweite Impfdosis gerade wegen Delta-Variante relevant
Eine Infektion mit der Delta-Variante des Coronavirus verdoppelt das Risiko, im Krankenhaus behandelt werden zu müssen. Vor diesem Hintergrund sei es zentral, die zweite Impfdosis verabreicht zu bekommen, sagte der Immunologe Carsten Watzl im Dlf.
May: Wovon hängt es am Ende ab, ob wir diesen Wettlauf gewinnen oder nicht?
Dahmen: Das hängt in allererster Linie davon ab, dass wir neben dem Impftempo Schutzmaßnahmen, die uns jetzt ein Sicherheitsgeländer bilden, dringend aufrechterhalten. Das ist einerseits das Testen, das ist andererseits insbesondere das Maskentragen in Innenräumen oder wenn Menschen eng zusammenkommen. Und was die Reisemobilität als wichtigen Risikofaktor der Pandemie angeht, müssen wir dringend Quarantäneregeln und Testregeln jetzt nicht grundsätzlich nur aussprechen, wir müssen sie auch einhalten und nachverfolgen und durchsetzen, damit wir eben verhindern, dass dieser Zeitpunkt der Dominanz der Delta-Variante zu schnell oder zu früh eintritt.
May: Ich frage das auch, weil jetzt steht die Reisezeit an. Spanien beispielsweise verlangt von Großbritannien-Urlaubern, glaube ich, nur einen Negativtest und keine weiteren Quarantänemaßnahmen, das heißt, in Mallorca, wenn dann der Deutsche mit dem Briten Seite an Seite sitzt, dann ist die Gefahr eines Eintrags besonders hoch beispielsweise, oder?
Dahmen: Es ist so, dass diese ja sehr bilateral ausgesprochenen Reisewarnungen oder auch Reisebeschränkungen natürlich gerade jetzt mit Urlaubsreiseverkehr und den Reiserouten quer durch Europa kaum verhindern können, dass hier Menschen aufeinandertreffen und entsprechende Infektionsketten entstehen. Gerade deswegen ist es halt wichtig, dass jetzt nicht nur die Bundesregierung selbst, sondern auch jeder Einzelne im Urlaub darauf achtet, eben hier nicht in Risikosituationen zu geraten und aufzupassen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.