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Coronavirus
Fiebrige Mythen verbreiten sich

Viel schneller als das Virus selbst verbreiten sich Verschwörungsmythen über SARS-CoV-2. Denn in Krisenzeiten seien Menschen besonders anfällig für Irrationalität, sagt der Religionswissenschaftler Michael Blume. Er sei entsetzt, wie viele Menschen an solche Mythen glauben würden.

Von Christian Röther |
Touristen gehen mit Mundschutz bekleidet und einem Regenschirm über die Piazza del Duomo vor dem Mailänder Dom.
Wegen des Coronavirus bleiben die Kirchen in Italien geschlossen, so auch der Mailänder Dom (LaPresse via ZUMA Press)
Die Maori in Neuseeland glauben, dass der Gott Tane den Menschen einst den Atem eingehaucht hat. Daraus hat sich ein Begrüßungsritual entwickelt: Traditionellerweise drückt man in Neuseeland die Nasen aneinander, um den Lebensatem des anderen zu spüren. Zumindest in gesunden Zeiten. Jetzt, da sich das Coronavirus ausbreitet, sollten die Maori auf den Nasengruß besser verzichten, sagte ein Stammeschef.
Nur ein Beispiel von vielen dafür, dass religiöse Rituale oft unhygienisch sind und ein potentielles Gesundheitsrisiko. Doch auf die Corona-Epidemie reagierten viele Religionsgemeinschaften schnell und besonnen: Aus deutschen Kirchen verschwand zuerst das Weihwasser. Beim Abendmahl gibt es keinen gemeinsamen Kelch mehr, und beim Friedensgruß reicht man sich nicht mehr die Hände. In Italien wurden die Kirchen gleich ganz geschlossen – und auch die Geburtskirche in Bethlehem.
Aus jüdischen Gemeinden heißt es, man solle darauf verzichten, Gebetsbücher zu küssen – und die Mesusot, die Schriftkapsel am Türrahmen. Und in der islamischen Welt wurden Freitagsgebete und Pilgerfahrten abgesagt.
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"Durch Predigten zum Tod von Menschen beigetragen"
Doch nicht jeder religiöse Entscheidungsträger reagiert so vernünftig auf das Virus, beobachtet der Religionswissenschaftler Michael Blume:
"Wir haben natürlich im religiösen Bereich auch fundamentalistische Gruppen und Sekten. Also in Südkorea ist eine christliche Kirche, eine christliche Sekte ganz entscheidend daran beteiligt gewesen, dass sich leider nicht alle an die Anweisungen der Gesundheitsbehörden gehalten haben und sich das Coronavirus in Südkorea ausgebreitet hat. Der Anführer dieser Sektengruppe steht jetzt unter Mordanklage in Südkorea, weil man ihm vorwirft: Durch dein Verhalten und durch deine Predigten hast du zum Tod von Menschen beigetragen."
Michael Blume, der Antisemitismusbeauftragte des Landes Baden-Württemberg, sitzt in einem weißen Hemd vor weißem Hintergrund und gestikuliert mit der rechten Hand.
Religionswissenschaftler Michael Blume warnt vor Verschwörungsmythen, die sich rund um das Coronavirus verbreiten ( Bernd Weissbrod/dpa)
Die Gemeinde bestand darauf, ihre Rituale wie gewohnt beizubehalten - trotz Corona. Und das ist nicht das einzige Beispiel für einen unvernünftigen Umgang mit der Virusgefahr im religiösen Bereich: Im Iran etwa wurden zwei Männer dabei gefilmt, wie sie an einem heiligen Schrein leckten. Ein beliebtes Ritual, das gesund machen soll. Im Moment ist es aber verboten, und den Männern droht nun Gefängnis.
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Die Zahl der Infizierten mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 steigt trotz Gegenmaßnahmen vieler Regierungen weiter – auch in Deutschland. Die Weltgesundheitsorganisation hat Ende Januar den "internationalen Gesundheitsnotstand" ausgerufen.
"Wie kann ich das in mein Weltbild einfügen?"
Auch eine evangelikale Gemeinde in Brasilien bekam es mit der Polizei zu tun. Sie soll Salbungen angeboten haben mit "geweihtem Öl", das angeblich gegen das Virus schützt.
Und man muss auch nicht lange suchen, um im Internet Menschen zu finden, die in der Epidemie eine Strafe Gottes sehen oder ein Anzeichen für das Ende der Welt.
"Immer dann, wenn Ereignisse auftreten, die gedeutet werden müssen - das können ganz positive Ereignisse sein, aber natürlich auch beängstigende, negative - dann besteht beim Menschen ein Deutungsbedarf. Wie kann ich das in mein Weltbild einfügen?"
"Die Verschwörungsverkünder"
Und das Ergebnis sind dann eben oft auch irrationale Deutungen, sagt Michael Blume. Und das nicht nur bei religiösen Menschen, sondern auch bei solchen, in deren Leben Religion eigentlich gar keine Rolle spielt. In Krisenzeiten sei der Mensch für irrationales Verhalten besonders anfällig, meint der Religionswissenschaftler:
"In der uralten Auseinandersetzung von Mythos und Logos, hat der Logos - die Vernunft, die Ratio - eigentlich immer dann Oberwasser, wenn die Dinge geordnet ablaufen. Dann sagen die Leute: Ja, warum brauchen ich denn da eigentlich noch irgendwelche Götter oder Dämonen oder so? Das erklärt mir ja gar nichts. Ist ja lächerlich. Aber wenn dann Krisen auftreten - Naturkatastrophen, Kriege, Epidemien - dann kippt es wieder in Richtung Mythos. Dann muss es gedeutet werden, und die Menschen beginnen auf der einen Seite, über Gott und ein Leben nach dem Tod nachzudenken. Aber eben auf der anderen Seite auch - die Verschwörungsverkünder sagen auch, wir können euch sagen, wer da schuld ist. Und beschuldigen dann immer die gleichen. Also heute vor allem Amerikaner und Juden."
"Nichts davon stimmt"
Michael Blume ist in Baden-Württemberg Beauftragter der Landesregierung gegen Antisemitismus. Nicht nur deshalb beobachtet er mit großer Sorge, dass sich viele Verschwörungsmythen über Corona verbreiten – und zwar noch schneller als das Virus selbst:
"Weil es nur wenige Tage gedauert hat, bis das Auftreten vom Coronavirus dann auch in Deutschland damit verknüpft wurde, dass da ja eine jüdische Weltverschwörung dahinterstecken müsste. Das war in nur drei Schritten, dass man gesagt hat: In Wuhan gibt es ein Biolabor, Bill Gates und Melinda Gates, die entwickeln Impfstoffe und verdienen also Geld, und die seien ja Juden. Nichts davon stimmt."
Besonders kritisch sieht Blume einen deutschen YouTuber. Der nennt sich Mazdak, hat über 200.000 Abonnenten – und verbreitet gefährlichen Unsinn wie diesen hier:
"… dass der Westen (USA) dafür zuständig ist, dass dieser Virus zurzeit in Umlauf ist in China, dass das, was ihr im Fernseher übermittelt kriegt, nicht immer der Wahrheit entspricht. Die Kurzfassung: China hat es selbst gemacht. Viele, viele meiner Zuschauer glauben an diese Theorie."
Blume: "Ich bin entsetzt, wie viele Menschen so etwas glauben. Gerade dann, wenn es doch darauf ankäme, einen kühlen Kopf zu bewahren."
"Glauben Sie nicht alles, was Ihnen im Internet gepredigt wird"
Doch in Krisenzeiten bewahren Menschen eben oft keinen kühlen Kopf. Es scheint, als habe das Virus in vielen Menschen die Unvernunft geweckt. Und das Internet kann das sogar noch verschlimmern, meint Michael Blume, weil hier jeder ganz leicht jede Art von Unwahrheiten und Mythen verbreiten kann:
"Wer da einmal in die Richtung Verschwörungsglauben abdriftet, der findet halt heute mit drei Klicks hunderte und tausende andere, die ihm beipflichten. Und das macht das Ganze noch viel gefährlicher, als es in der Geschichte gewesen ist. Deswegen, wenn man den Computer hochfährt oder sein Smartphone anmacht, bitte auch den Kopf anschalten!"
Allerdings fürchtet der Religionswissenschaftler und Antisemitismusbeauftragte, dass Irrationalität und Verschwörungserzählungen weiter an Zulauf gewinnen könnten, wenn sich das Coronavirus weiter ausbreitet.
"Das scheint mir in den nächsten Wochen und Monaten ein wichtiger Rat der Religionswissenschaft zu sein: Glauben Sie nicht alles, was Ihnen im Internet angeboten und gepredigt wird. Halten Sie sich durchaus an die Institutionen - ob das Medien oder Religionsgemeinschaften oder was auch immer sind - die auch in der Vergangenheit Ihr Vertrauen verdient haben. Und nicht an irgendwelche Scharlatane, die letztendlich Ihre Angst verstärken und manipulieren wollen."