Es ist eine Rechnung mit vielen Unbekannten. Zwar haben inzwischen mehrere Hersteller die Zulassung ihrer Impfstoffe beantragt – und in Großbritannien wurde dem Vakzin von Biontech und Pfizer bereits eine Notfallzulassung erteilt. Doch wann die ersten Menschen in Deutschland geimpft werden können und wie viele Impfstoffdosen am Anfang zur Verfügung stehen werden, ist unklar. "Wir vermuten, dass es, wenn es gut geht, in diesem Jahr etwa fünf Millionen Dosen sein werden und im vielleicht im ersten Quartal dann noch mal acht Millionen Dosen", sagt Thomas Mertens, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission STIKO. "Aber diese Zahlen sind mit Vorbehalt." Für die ganze Bevölkerung werden die verfügbaren Impfdosen noch nicht reichen.
Zahl der Impfungen hängt von zahlreichen Faktoren ab
Ein anderer begrenzender Faktor sind die Kapazitäten der Impfzentren. Wenn im besten Fall 150.000 Menschen täglich geimpft werden können, würde es rein rechnerisch rund eineinhalb Jahre dauern, alle Bundesbürger ein erstes Mal zu impfen. Für einen wirksamen Schutz vor COVID-19 müssen aber zwei Impfdosen verabreicht werden – je nach Impfstoff im zeitlichem Abstand von wenigen Wochen.
Wirkung von Impfstoffen auf Infektionsgeschehen noch unklar
Unklar ist auch, ob geimpfte Menschen das Virus nicht mehr übertragen, warnt Mertens. Bei Impfstoffen stehe die Vermeidung von Krankheit im Vordergrund. In der Regel erreichten sie keine ganz sterile Immunität. "Mit anderen Worten: Sie vermeiden nicht 100-prozentig die Infektion."
Wie schnell eine wachsende Impfquote das Infektionsgeschehen abklingen lassen könnte, lässt sich deshalb noch schwer beziffern. Klar ist aber schon jetzt: Ältere Menschen, Kranke und Pflegebedürftige haben Vorrang. Neben systemrelevanten Berufsgruppen wie Ärzten, Pflegekräften und Polizisten dürfen diese Risikogruppen sich als erste impfen lassen. Das hat die STIKO gemeinsam mit dem deutschen Ethikrat und der Leopoldina in einem Positionspapier empfohlen. Die vulnerablen Personen vor einer SARS-CoV-2 Infektion zu schützen, sei der wichtigste Schritt auf dem Weg zurück zur Normalität, sagt Thomas Mertens: "Wenn die Risikogruppen durchgeimpft sind, dann kann man sich überlegen, ob und welche Restriktionen man zurücknehmen kann, weil dann ein Teil der Gründe für die Vermeidung von Kontakten wegfällt, nämlich die Gefährdung der vulnerablen Menschen."
Rückkehr zur Normalität frühestens Ende 2021
Da in Deutschland über 20 Millionen Menschen zu diesen vulnerablen Gruppen zählen, werden aber sicher noch Monate vergehen, bis es soweit ist und Lockerungen der Infektionsschutzmaßnahmen möglich werden. Etwa ein dreiviertel Jahr, vorausgesetzt, es können täglich 150.000 Menschen geimpft werden.
Wirklich vorbei wäre die Corona-Pandemie in Deutschland erst, wenn die sogenannte Herdenimmunität erreicht wäre, das heißt, wenn so viele Menschen immun sind, dass sich das Virus nicht mehr in der Bevölkerung ausbreiten kann. Berechnungen zufolge müssen dazu etwa 60 bis 70 Prozent der Bundesbürger immun sein gegen das neuartige Coronavirus. Dieses Ziel könnte bei Impfbeginn im Januar wohl frühestens Ende 2021 erreicht sein, schätzen Fachleute – aber auch nur, wenn wirklich alles optimal läuft.
STIKO-Chef Mertens betont deshalb, dass wir die Schutzmaßnahmen noch längere Zeit zusätzlich brauchen werden, damit die Infektionszahlen zumindest nicht exponentiell ansteigen. Seiner Ansicht nach ist die spannendere Frage, ob wir den nächsten Winter anders verleben werden als diesen Winter: "Vorher ist eh nichts los mit Herdenimmunität."
Trotz vielversprechender Entwicklungen bei den Impfstoffen – der Kampf gegen die Corona-Pandemie wird uns allen wohl noch das ganze nächste Jahr allerhand abverlangen.