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Coronavirus in Venezuela
Kampf um die Macht statt gegen das Virus

Unerschwingliche Lebensmittel und Medikamente, Stromausfälle, Wassermangel: Bereits vor der Coronakrise kämpfte die Bevölkerung von Venezuela ums Überleben. Um so härter trifft die Menschen die seit dem 16. März geltende Quarantäne. Der amtierende Präsident Maduro kämpft unter dessen an ganz anderen Fronten.

Von Burkard Birke |
Eine Schlange vor einem Supermarkt - Lebensmittel sind Mangelware und bei galoppierender Inflation vor allem fast unerschwinglich
Das Coronavirus breitet sich in Venezuela rasend schnell aus (deutschlandradio/Burkhard Birke)
"Wir stehen erst am Anfang der Pandemie in Venezuela, aber sie breitet sich extrem schnell aus, schneller als in Italien, Spanien, Argentinien oder Brasilien. Das ist eine riesige Herausforderung für eine verarmte Bevölkerung ohne funktionierende Strom- und Wasserversorgung. Es fehlt an Grundnahrungsmitteln und Medikamenten."
Ein ganzes Land unter Quarantäne
Jose Felix Oletta war früher Gesundheitsminister. Jetzt ist der Mediziner Chef der venezolanischen Beobachtungsstelle für Gesundheit und Epidemien und extrem besorgt. Nicht von ungefähr hat der amtierende Präsident Nicolas Maduro letzte Woche noch vor dem ersten bestätigten Coronafall Alarm geschlagen und am Montag das ganze Land quasi unter Quarantäne gestellt.
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"Wenn wir uns nicht schützen und zu sicher fühlen, könnten die Völker Lateinamerikas und der Karibik von einer schrecklichen Pandemie heimgesucht werden. Deshalb schreitet Venezuela voran und erklärt die totale Quarantäne, die soziale Quarantäne in allen Staaten und im Hauptstadtdistrikt."
Flüge aus dem Ausland wurden weitgehend gestoppt. Schulen und Unis sind dicht, das öffentliche Leben ruht, nur die Menschen in Schlüsselfunktionen dürfen zur Arbeit, um ein Minimum an Versorgung zu gewährleisten. Die 35.000 CLAP genannten lokalen Versorgungskomitees sollen wieder verbilligte Lebensmittelpakete verteilen, kündigte Vizepräsidentin Delcy Rodriguez an. Denn in den Geschäften reicht der Mindestlohn gerade einmal für ein Kilo Fleisch, wenn überhaupt.
Der Hunger treibt die Menschen auf die Straße
Eier versucht diese Frau zu kaufen. Die Schlange ist lang – trotz offiziell verordneter Quarantäne. Immerhin tragen einige einen Mundschutz: "Ich habe mir einen Mundschutz aus Stoff und Baumwolle gebastelt, weil ich weiß, dass jetzt mit Atemschutzmasken wieder spekuliert wird."
Der Hunger treibt die Menschen auf die Straße. In Venezuela ist der Kampf ums Leben jetzt ein doppelter. Die Corona-Epidemie trifft auf eine ausgehungerte Bevölkerung im ständigen Überlebenskampf. Schon seit Jahren sind Lebensmittel und Medikamente unerschwinglich. Die Lage in den offiziellen Krankenhäusern ist erschütternd: Viele verfügen weder über Desinfektionsmittel noch Seife, geschweige denn Schutzanzüge oder Atemmasken für das Personal.
Jose Felix Oletta von der Beobachtungsstelle für Gesundheit: "Die Regierung hatte nur 45 große Krankenhäuser geplant. Dort gibt es nur 206 Intensivbetten und davon haben nur 102 Beatmungsgeräte, um Patienten mit Atemnot zu behandeln."
Es fehlt an allem
Venezuelas Gesundheitssystem stand schon vor der Corona-Epidemie vor dem Kollaps: Kaum Medikamente, selten Strom, und laut einer Umfrage von Medicos Unidos unter Ärzten verfügten nur ein Viertel der Befragten in ihren Hospitälern über genügend Wasser. Wassermangel ist derzeit das größte Problem.
"Wie können wir ohne Wasser hygienisch sein und die Präventionsmaßnahmen umsetzen?", fragt dieser Mann, der mit vielen anderen im Stadtteil Los Mangos von Caracas Schlange steht und den Wassertankwagen herbeisehnt.
Der selbsternannte venezolanische Interimspräsident Juan Guaidó spricht zu seinen Unterstützern
Krise in Venezuela: Ein ungleicher Kampf um die Macht
Venezuela hat die größten Erdölreserven weltweit, doch es fehlt an allem: Wasser, Lebensmittel, Medikamente, Strom. Der Kampf um die Macht blockiert das Land. Im schlimmsten Fall droht ein Bürgerkrieg.
Die Regierung ist sich der Brisanz bewusst. Nicht von ungefähr hat Präsident Maduro beim ungeliebten Internationalen Währungsfonds IWF einen fünf Milliarden Dollar Kredit beantragt. Dieser wurde negativ beschieden. Denn viele IWF Mitglieder haben Parlamentspräsident Guaido als Präsident anerkannt und wollen – so heißt es hinter vorgehaltener Hand – der kleptokratischen Regierung Maduro kein Geld zukommen lassen.
Kampf um die Macht in Venezuela geht weiter
Guaido hat indes ein Corona-Expertenteam einberufen und eine Internetseite zur Information der Bevölkerung eingerichtet, die umgehend von staatlicher Seite blockiert wurde. Der Kampf um die Macht in Venezuela tobt weiter, obwohl es wohl besser wäre sämtlichen Kräfte für den Kampf gegen Corona zu bündeln.