Vor den anstehenden Bund-Länder-Beratungen am 3. März wird der Ruf nach Öffnungen - trotz steigender Infektionszahlen lauter. Dabei könnte es sich um kontrollierte Öffnungsschritte ohne Fokussierung auf Inzidenzwerte handeln, verbunden mit einen klaren Testkonzept.
Susanne Johna, Vorsitzende des Marburger Bundes, warnte vor übereilten Lockerungen der Corona-Auflagen: "Es ist wichtig, kleine Schritte zu gehen und deren Wirkung auch abzuwarten", sagte sie im Dlf. So habe Österreich in die dritte Welle hinein gelockert und habe jetzt stark steigende Infektionszahlen.
In Österreich steigen die Zahlen - trotz vieler Tests
"Die Ministerpräsidenten müssen sich an der regionalen Lage der Pandemie orientieren und nicht die anstehenden Wahlen im Hinterkopf haben", sagte Johna. Man müsse jetzt die Zeit bis zum nächsten Quartal überbrücken, denn dann stünden deutlich mehr Impfdosen parat als momentan. "Im zweiten Quartal wird diese Mangelsituation deutlich geringer sein, dann kann man auch in der Impfreihenfolge etwas lockern", so Johna.
Bevor weitere Lockerungen vorgenommen würden, müsse sich jeder aber auch bewusst machen, dass die wichtigen Abstand- und Hygenieregeln weiter eingehalten werden, dies sei oft nicht mehr überall der Fall.
Die Zielinzidenz von 50 oder 35 zu verlassen, funktioniere nur in Verbindung mit einem ausgeweiteten Testkonzept, so Johna. Doch auch eine Teststrategie sei kein Allheilmittel, wie die Situation in Österreich zeigen würde: "Auch in Österreich wird sehr viel getestet, trotzdem steigen die Zahlen."
Lagerung von Impfdosen müssen schnell verimpft werden
Schnelltests in Eigenregie benötigen aber ein gutes Konzept, eine gute Schulung sowie Aufklärung, so Johna. Dies sei aber ein kleiner Schritt. Entscheidend seien pragmatische Schritte für eine schnellere Impfung. Dazu müsse man beispielsweise die Hausärzte stärker miteinbinden.
Die Ärztevertreterin plädierte im Dlf auch für eine Erhöhung des Impftempos: "Es geht nicht an, dass wir in Deutschland Impfstoffdosen im Kühlschrank liegen haben. Wir müssen den so schnell wie möglich an die Impfwilligen bringen", so Johna. Die Impfzentren bräuchten jetzt schon Nachrückerlisten. Auch die Betriebsärzte sollten miteinbezogen werden.
Sandra Schulz: Es ist gestern ja schon der Vorschlag von Wirtschaftsminister Altmaier bekannt geworden – ein Öffnungskonzept, das "das Erreichen einer generellen bundesweiten oder regionalen Inzidenz von 35 oder darunter für nicht erforderlich hält bei zusätzlichen Sicherungsmaßnahmen." Was sagen Sie dazu?
Susanne Johna: Zunächst mal ist das Wichtige, dass die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten sich tatsächlich an der regionalen Lage der Pandemie orientieren und nicht so sehr die anstehenden Wahlen im Hinterkopf behalten. Wir müssen jetzt überbrücken ins zweite Quartal hinein. Im zweiten Quartal erwartet die Bundesregierung knapp 80 Millionen Impfdosen. Insofern kann man leider auch aus Österreich lernen, die in die dritte Welle hineingelockert haben und jetzt stark steigende Infektionszahlen haben. Es ist wichtig, kleine Schritte zu gehen und deren Wirkung auch abzuwarten.
Abstands- und Hygieneregeln müssen weiter eingehalten werden
Schulz: Kleine Schritte hieße was?
Johna: Hieße zum Beispiel: Die ersten kleinen Schritte sind wir zum 1. März schon gegangen. In vielen Bundesländern sind neben Friseuren auch Baumärkte oder größere Blumenmärkte geöffnet worden. Das ist durchaus schon ein Schritt. Wir sind ja auch den Schritt gegangen – und den halte ich für sehr wichtig -, Grundschulen zu öffnen.
Auch das ist wichtig. Bevor man jetzt den nächsten Schritt geht und den Einzelhandel öffnet, wäre es gut, dass wir auch tatsächlich uns an die wichtigen Abstands- und Hygieneregeln beim Einkaufen halten. Ich denke, jeder von uns wird sich in den letzten Wochen daran erinnern können, dass er irgendwo im Supermarkt oder Drogeriemarkt war, der einem dann doch relativ voll erschien. Da werden auch nicht immer die Abstandsregeln eingehalten, die nötig wären.
Schulz: Wir sehen jetzt, oder das scheint sich so abzuzeichnen, mehr und mehr einen Abschied von der alten Währung Sieben-Tage-Inzidenz. Wie schauen Sie darauf?
Johna: Das sehe ich schon mit Sorge. Wir haben immer wieder über die Ziel-Inzidenz von 50 gesprochen, dann über die Ziel-Inzidenz von 35. Die jetzt zu verlassen geht nur, wenn man sie mit einem weiteren Konzept versieht. Das tut man ja jetzt und sagt, man will die Teststrategie ausweiten.
Gleichzeitig aber müssen wir sehen, auch in Österreich wird sehr viel getestet. Trotzdem steigen die Zahlen. Das Testkonzept liegt ja noch dezidiert nicht vor. Es soll ja eine Kombination aus Antigen-Tests, Schnelltests in Testzentren oder Apotheken und bei Ärzten sein, und eine Kombination aus Selbsttests, Spucktests bei den Menschen. Das erfordert eine sehr gute Anleitung. Das erfordert auch, dass die Menschen einschätzen können, was sie mit einem positiven oder negativen Ergebnis machen, welchen Wert dieses Ergebnis hat.
"Ich halte es für sinnvoll, vermehrt auch in Schulen zu testen"
Schulz: Was würden Sie denn den Menschen empfehlen, die einen Selbsttest zuhause machen, die dann ein positives Ergebnis bekommen? Soll man denen Empfehlungen an die Hand geben, oder müssen die richtig harte Vorschriften kriegen?
Johna: Bei einem positiven Test muss es eigentlich Vorschriften geben. Die Vorschrift sowohl bei einem positiven Selbsttest als auch Antigen-Test kann nur heißen, sofort einen sogenannten PCR-Test, diese sehr spezifischen Testverfahren durchführen zu lassen. Nun ist es aber ja so, dass das trotzdem bei einem Selbsttest eine Empfehlung bleiben muss, denn man kann das ja nicht überprüfen. Da muss an die Verantwortung eines jeden einzelnen appelliert werden.
Gleichzeitig, wenn wir mit negativen Tests Konsequenzen verbinden, das heißt Menschen, die einen negativen Test vorweisen, mehr ermöglichen als anderen, dann müssten wir das ja auch hinterlegen im Sinne von einer Überprüfungsmöglichkeit, dass der Test auch tatsächlich an diesem Tag bei dieser Person stattgefunden hat.
Schulz: Auch für Schulen, für Schülerinnen und Schüler sind diese Schnelltests im Gespräch. Da gibt es heute Morgen die Warnung vom Präsidenten des Berufsverbandes der Kinder und Jugendlichen. Er warnt davor, dass die hohe Zahl an falschen negativen oder auch falschen positiven Ergebnissen aus Sicht dieses Verbandes, aus Sicht von Thomas Fischbach viel mehr schaden würde als nutzen. Muss man das noch mal neu denken?
Johna: Ich glaube schon, dass zusätzliches Testen sinnvoll ist, wissend aber dann, dass wir etwa zum Beispiel ein Prozent falsch positive Ergebnisse haben. Deswegen ist es so wichtig, ein positives Ergebnis sofort mit einer Kontrolle durch einen sogenannten PCR-Test zu hinterlegen. Ich halte es trotzdem für sinnvoll, vermehrt auch in Schulen zu testen. Wir testen ja in den Krankenhäusern auch asymptomatisches Personal häufiger und stellen gelegentlich dann doch fest, dass man noch jemanden herausfindet und damit ja auch das andere Personal und Patientinnen und Patienten schützt. Das ist sinnvoll. Es braucht aber ein gutes Konzept. Es braucht eine gute Schulung und Aufklärung.
Die Menschen müssen sich genau anschauen können, wie so ein Test funktioniert. Aber das ist nur ein kleiner Schritt. Ich glaube, der entscheidende Schritt sind jetzt pragmatische Schritte, um schneller zu impfen und vor allen Dingen den Fokus auf die erste Impfung zu setzen.
Schulz: Was sind diese pragmatischen Schritte für eine schnellere Impfung? Hausärztinnen und Hausärzte ranlassen?
Johna: Definitiv! Sobald genug Impfstoff da ist, also spätestens ab April, ist das sinnvoll. Und ich glaube auch, dass es mittlerweile genug Zahlen und Daten aus Großbritannien und Schottland gibt, die den Schritt ermöglichen, AstraZeneca für alle Altersgruppen in Deutschland zuzulassen. Derzeit haben wir eine Altersbeschränkung für die unter 65jährigen. Auch das kann aufgehoben werden.
Und es geht nicht an, dass wir in Deutschland Impfdosen im Kühlschrank liegen haben, sondern wir müssen den so schnell wie möglich an die Impfwilligen bringen. Das heißt, Impfzentren brauchen auch jetzt schon Nachrückerlisten. Und wir sollten auch die Betriebsärzte in die Impfkampagnen einbeziehen.
"Im zweiten Quartal wird diese Mangelsituation deutlich geringer sein"
Schulz: Um noch mal bei den Hausärztinnen und Hausärzten zu bleiben. Wenn man die Praxen mit einbezieht, ist das nicht die Entscheidung, sich von der Priorisierung zu verabschieden, die ja ethisch unterlegt ist vom Ethikrat und die ja auch einen gesellschaftlichen Konsens braucht?
Johna: Man brauchte natürlich dringend jetzt im ersten Quartal eine solche Priorisierungsliste, denn wir haben eine absolute Mangelsituation. Insofern war das richtig und wichtig. Im zweiten Quartal wird diese Mangelsituation deutlich geringer sein und dann kann man auch etwas in der Impfreihenfolge lockern.
Es hilft ja nichts, einen Impfstoff im Kühlschrank liegen zu lassen, weil man jetzt beispielsweise abends um sechs im Impfzentrum niemand mehr aus der Priorität eins hat. Dann bin ich der festen Überzeugung, dann ist es besser, den nächsten aus der Priorität zwei zu impfen.
Schulz: Sie sprechen auch von Nachrückerlisten. Das haben Sie gerade gesagt. Ist das die Idee, so ähnlich wie es Israel macht, quasi einen Last Minute Schalter einzurichten an den Impfzentren, wo man sich anstellen kann und hoffen kann, dass noch eine Dosis übrig bleibt?
Johna: Das wäre möglich, oder tatsächlich personalisierte Nachrückerlisten, Menschen, die bereit sind, zu sagen, wenn Sie mich anrufen, bin ich innerhalb von 20 Minuten da und würde mich dann gerne impfen lassen. Ich glaube, dass das möglich ist, denn mittlerweile sind ja doch zwar längst noch nicht alle, aber doch ein großer Teil der 80jährigen geimpft. Und an ein je jüngeres Impfklientel wir kommen, desto flexibler sind diese Menschen dann auch, schnell ein Impfzentrum zu erreichen.
Schulz: Es gab gestern den Vorschlag vom bayerischen Ministerpräsidenten Söder und auch aus Sachsen von Michael Kretschmer, gezielt in den Grenzregionen zu impfen, weil wir wissen, dass auf der anderen Seite der Grenze in Tschechien die Inzidenzen besonders hoch sind. Wie schauen Sie darauf?
Johna: Das wird, glaube ich, problematisch sein, das den Menschen zu erzählen, dass die, die in den Grenzregionen leben, bevorzugt werden. Das kann ich jetzt im ersten Schritt nicht nachvollziehen. Wichtiger wäre es, dann auf europäischer Ebene sich mehr zu einigen, was eine sinnvolle Strategie zur Eindämmung der Pandemie ist, denn natürlich – und das wissen wir alle – machen Viren an Grenzen keinen Halt.
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