Wenn sich Viren vermehren, enstehen immer wieder auch spontane Veränderungen im Erbgut - Mutationen. Bei SARS-CoV-2 sind weltweit mehr als 10.000 Mutationen im Vergleich zum Ursprungserreger, dem sogenannten Wildttyp, registriert. Bislang haben sich allerdings nur wenige Mutanten entwickelt, die dem Erreger Vorteile verschafft und den Pandemieverlauf beschleunigt haben.
Die Weltgesundheistorganisation (WHO) beobachtet die Entwicklung der Coronavirus-Mutationen und unterscheidet dabei zwischen Variants of Interest (VoI), "Varianten von Interesse", und Variants of Concern (VoC), "besorgniserregende Varianten". Bislang hat die WHO vier Mutanten als besorgniserregend eingestuft: Alpha, Beta, Gamma und die inzwischen auch in Europa dominierende Variante Delta. Daneben werden derzeit (Stand 07.09.2021) fünf "Varianten von Interesse" gelistet und mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt: Eta, Iota, Kappa, Lampda und My (englische Schreibweise Mu). Während die ersten vier schon seit mindestens anderthalb Monaten unter besonderer Beobachtung stehen, wurde My erst Ende August 2021 als VoI klassifiziert.
Die Europäischen Arzneimittelbehörde EMA bezeichnet My als "potenziell besorgniserregend" (10.09.2021). Die EMA konzentriere sich zwar hauptsächlich auf die hochansteckende Delta-Variante, untersuche aber auch andere Varianten, erläuterte der Leiter für Impfstoffstrategie, Cavaleri. Mu weise möglicherweise immunevasive Merkmale auf, sodass Geimpfte oder Genesene vor dieser Variante nicht geschützt sein könnten. Noch gebe es keine Daten, die zeigten, ob sich die neue Variante stark ausbreitet. Die EMA werde jedoch mit den Impfstoffentwicklern über die Wirksamkeit der verfügbaren Corona-Impfstoffe beraten.
Ausführliche Informationen zur Delta-Variante:
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Die Coronavirus-Variante My (auch B1.621) wurde erstmal im Januar 2021 in Kolumbien nachgewiesen. Nach Angaben der kolumbianischer Gesundheitsbehörde ist My inzwischen der vorherrschende Virusstamm im Land. Die Mutante sei verantwortlich für die bisher tödlichste Welle der Corona-Pandemie in Kolumbien, sagte Marcela Mercada von der kolumbianischen Gesundheitsbörde Anfang September.
Laut WHO tritt My auch in weiteren südamerikanischen Ländern sowie in Europa auf. Während in Kolumbien 39 Prozent der Corona-Infektionsfälle auf My zurückgingen, liege die globale Verbreitung der Variante jedoch bei unter 0,1 Prozent.
Vergleich zum Wildtyp
Am 30. August stufte die Weltgesundheitsorganisation My als "Variante von Interesse" ein. Sie weise Mutationen auf, die auf eine mögliche Resistenz gegen Impfstoffe hindeuten könnten, so die WHO. "Die My-Variante verfügt über eine Konstellation aus Mutationen, die das Risiko einer immunevasiven Eigenschaft erkennen lassen", erklärte die WHO. Für eine genaue Einschätzung seien weitere Studien nötig.
Der Virologe Martin Stürmer erklärte im Dlf
, dass anhand der Mutationsmuster im Vergleich mit anderen bekannten Varianten, Rückschlüsse auf die Eigenschaften von My gezogen werden könnten: "Es ist so, dass zwei doch sehr bekannte Mutationen vorliegen an den Positionen 484 und 501, die damit assoziiert sind, dass sich diese Varianten zum einen sehr gut verbreiten können und zum anderen auch eine gute Chance haben, dem Immunsystem in einer gewissen abgeschwächten Form zu entkommen", sagte der Lehrbeauftragte für Virologie an der Universität Frankfurt.
Allerdings schätzt Stürmer die Veränderungen nicht als herausragend neu ein. Er geht davon aus, dass "diese Variante sich nicht zu einer Variant of Concern entwickeln wird". Auch wenn My sich derzeit in Kolumbien stark verbreite, bedeute dies nicht zwingend, dass sich die Variante zu einer weltweit dominierenden entwickle, erklärte Stürmer.
Als Beispiel verwies er auf die Lambda-Variante. Diese sei initial in Peru aufgetaucht, habe es aber nicht geschafft, sich in anderen Regionen der Welt durchzusetzen. Wie sich My in anderen Ländern verbreite, müsse abgewartet werden. Er erwartet jedoch nicht, dass My die derzeit vorherrschende Delta-Variante verdrängen wird.
Im Mai 2021 wurde in Südafrika eine weitere neue Variante des Coronavirus identifiziert. Sie trägt die Bezeichung C.1.2. Ihre Verbreitung habe in den vergangenen Monaten leicht zugenommen, erklärte das südafrikanische Institut für Infektionskrankheiten (NICD) am 30. August 2021. In Deutschland ist C.1.1. laut Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) bisher noch nicht nachgewiesen worden.
Vergleich zum Wildtyp
Nach Ansicht von Virologe Stürmer, sollten C.1.2. und die vorläufigen Daten aus Südafrika sehr sorgfältig angeschaut werden. Auffällig an der Variante ist die hohe Mutationsrate. Forscher wiesen 59 Mutationen im Vergleich zum Wildtyp nach. Unterschiede gebe es vor allem am Spike-Protein, das verantwortlich sei "für das Andocken des Virus, an die menschlichen Zellen und gegebenenfalls auch für das Entkommen des Immunsystems", erklärte Stürmer.
Südafrikanische Wissenschaftler berichten von einem aktuell zwar noch moderaten Infektionsgeschehen durch C.1.2. (Stand 07.09.2021), dennoch kenne man eine vergleichbare Dynamik bisher nur von der Delta-Variante. Stürmer rät dazu, C.1.2. weiter zu beobachten. Bedarf die Mutante als Variant of Interest oder gar als Variant of Concern einzustufen, sehe er momentan jedoch nicht.
(Quellen: AFP, dpa, WHO, RKI, cp)