"Meine Großmutter, sie war damals 88, erkrankte an Covid-19. Sie kam in ein Krankenhaus im Osten Frankreichs", erinnert sich Emmanuel Vanoli. Für die meisten Angehörigen hätte das bedeutet: Abwarten und das Beste hoffen. Aber Vanoli ist nicht wie die meisten. Der Mann ist Ingenieur beim französischen Unternehmen Dassault Systèmes und ein Spezialist für die Simulation von Luftströmungen.
"Die meisten meiner Kunden mussten schließen. Ich hatte Zeit, nachzudenken, wie ich helfen kann. Also rief ich den Direktor des Krankenhauses an", sagt er. Der sei ein Bekannter seines Vaters. Und tatsächlich: Er hatte ein Problem: "Die Zahlen explodierten und sie mussten eine Corona-Station einrichten. Auf dem gleichen Stockwerk befand sich eine Station mit alten Menschen."
Kontaminierte Luft strömte zu den Risikopatienten
Risikopatienten. Das Krankenhaus wollte vermeiden, dass die Viruspartikel aus der Covid-Station zu ihnen hinüberwehen. Hier begann Emmanuel Vanolis Arbeit. Er erhielt einen Grundriss des Stockwerks und Informationen über die Heizung und Lüftung. Daraus erstelle er ein 3D-Modell.
"In diesem 3D-Modell erzeugten simulierte Patienten kontaminierte Luft. Wir verfolgten, wie sie sich über das Stockwerk ausbreitet", beschreibt er. Die Luft strömte geradewegs in den Nicht-Covid-Trakt. Es war der Worst Case. Was tun? Das Krankenhaus konnte nicht mal eben seine komplette Lüftungsanlage umbauen.
Ingenieurskunst gefragt
Vaoli sagt: "Wahre Ingenieurskunst ist für mich, mit den vorhandenen Mitteln eine Lösung zu finden. Also simulierten wir, dass man an entscheidenden Stellen die Fenster öffnen kann. Das erste Fenster befand sich in der Mitte, dort floss Frischluft rein und reinigte die Luft im Flur. Das zweite war zwischen den beiden Bereichen. Die Luft, die durch dieses Fenster kam, blockierte den Strom, der aus dem Covid-Trakt kam. In der Simulation hat das gut funktionert." Keine zwei Wochen nachdem seine Großmutter eingeliefert worden war, hatte das Krankenhaus seine Vorschläge umgesetzt.
"Jetzt haben wir Anfragen von verschiedenen Krankenhäusern. Diese Beratungen sind jetzt mein Vollzeitjob", sagt Vanoli. Insgesamt seien es sechs Kliniken in Frankreich, die mit ähnlichen, einfachen Maßnahmen die Ausbreitung der Viren eindämmen. Auch in Deutschland bietet der französische Konzern diese Dienste an. Das Industrieunternehmen GEA nutzt sie etwa, um seine Kantine in Oelde zu optimieren.
Emmanuel Vanolis Kollege Christian Barthel erklärt: "Wir haben auch mit weiteren industriellen Unternehmen ähnliche Projekte durchgeführt. Da ging es um die Simulation eines Fitnessstudios innerhalb eines Firmen-Umfeldes. Sonst haben wir auch Gespräche mit weiteren öffentlichen Gebäuden aus dem kulturellen Bereich, teilweise auch im Bildungsbereich, im Sportbereich."
Zögerliche Behörden in Deutschland
Er wünscht sich naturgemäß, dass diese Technologie mehr Akzeptanz findet:"Die Gesundheitsämter berücksichtigen für die Hygiene-Konzepte vorwiegend die statischen Regeln: Abstand halten, Hände waschen, Masken tragen und Lüften. Und man tut sich an mancher Stelle dann etwas schwer damit, auch diese neuen Technologien, im Prinzip die Technologie des 21. Jahrhunderts, jetzt auch für die aktuelle Pandemie einzusetzen."
Denn mit der Methode könnte man maßgeschneiderte Lösungen finden, um den Luftstrom etwa auch in Schulen zu optimieren. Zur Wahrheit gehört aber auch: Maßgeschneidertes kostet. Das ist bei den Simulationen nicht anders. Die grobe Lösung, also Abstandsregeln, massives Lüften und gegebenenfalls Schließungen gibt es umsonst.
Erste Auswertungen zeigen: die Technik funktioniert
Es ist schwer zu ermitteln, was die Regeln, die man aus den Simulationen ableitet, am Ende wirklich bringen, weil die Aerosole nur ein Ansteckungsweg sind. Aber es gibt erste Abgleiche mit den tatsächlichen Bedingungen. Die Simulationen können vorhersagen, auf welchen Oberflächen die Viruspartikel am ehesten landen. Und tatsächlich hätten Tests in einem Krankenhaus gezeigt, dass diese Flächen besonders stark kontaminiert waren, sagt Emmanuel Vanoli. In dem Krankenhaus, in dem seine Großmutter war, berechnete er zudem, welche Zimmer im Nicht-Covid-Trakt besonders belastet waren. In diesen Zimmern testeten die Ärzte dann einige Patienten positiv.
Vanolis Großmutter hat die Klinik inzwischen verlassen. "Sie ist jetzt 89. Zwischenzeitig war es sehr ernst, aber jetzt geht es ihr gut. Wenn ich nicht wegen ihr persönlich betroffen gewesen wäre, wäre ich vielleicht nie in diese Richtung gegangen. Da ist schon etwas Positives entstanden – eine Zusammenarbeit zwischen uns Ingenieuren und den Ärzten. Wir können hier helfen. Vielleicht ist unsere Rolle klein, aber wir geben den Menschen ein Verständnis dafür, wie sie die Risiken reduzieren können. Das ist schön."