- Welche Folgen hat die Ausbreitung der Pandemie für den Auto-Absatz?
- Was heißt das für die Produktion der Autobauer und Zulieferer?
- Welche Folgen hat der Produktionsstopp für die Mitarbeiter?
- KfW-Kredite, Wirtschaftsstabilisierungsfonds – welche Unternehmen können mit Staatshilfe rechnen?
- Wird es neue Kaufprämien geben?
- Und wie helfen die Unternehmen dem Staat?
- Was heißt die Coronakrise für die Elektro-Pläne der Autobauer?
- Findet die IAA 2020 statt?
Die Ausbreitung des Coronavirus hat einen beispiellosen Einbruch vieler wichtiger Automärkte zur Folge. Im weltweit größten Markt China etwa waren die Fabriken bis Februar geschlossen. Im Februar brach dort der Absatz um 80 Prozent ein. Mitte März lagen die Zahlen noch 50 Prozent unter denen des Vorjahres. So heftig der Einbruch zunächst war, macht die Wiederaufnahme der Produktion dort der Branche derzeit Hoffnung.
Das Geschäft in China könnte die Autobauer stützen, wenn jetzt in Europa und andernorts der Absatz einbricht. Im März wurden allein EU-weit gut 55 Prozent weniger Neufahrzeuge verkauft, zeigen Zahlen des europäischen Verbands der Autohersteller ACEA. Der April dürfte kaum besser laufen. Mit Auswirkungen bis in die nächsten Monate hinein, schätzt Ferdinand Dudenhöffer, Automobil-Experte der Universität Sankt Gallen:
"In diesem Jahr werden nach unserer Einschätzung weltweit die Autoverkäufe um 18 Prozent einbrechen. Das heißt, die nächsten Monate werden schwer werden für die Autobauer, für die Zulieferer. Kurzarbeit und ähnliche Dinge werden auf der Tagesordnung stehen."
Autohändler in Deutschland berichten, dass sie im März und April etwa 80 Prozent weniger Aufträge hatten als sonst. Das ist insbesondere ein Problem, weil im Frühjahr normalerweise die meisten Autos verkauft werden. Und die Händler hatten für das Frühjahrsgeschäft natürlich auch Fahrzeuge bestellt.
"Man muss davon ausgehen, dass die Kosten pro Fahrzeug, die auf den Höfen der Händler stehen, am Tag 28 Euro ausmachen. Rechnet man das hoch für so einen mittelgroßen Automobilhändler mit rund 300 Fahrzeugen, dann sind das im Monat Beträge in einer Größenordnung 200.000 oder 300.000 Euro", sagt Stefan Bratzel, Professor für Automobilwirtschaft an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach.
Im zweitwichtigsten Automarkt der Welt, den USA, zeichnet sich ebenfalls ein Rückgang ab: Marktführer General Motors (GM) und der Rivale Fiat Chrysler meldeten kräftige Rückgänge bei den Verkaufszahlen für das erste Quartal. Auch der deutsche Branchenriese Volkswagen hat in den ersten drei Monaten des Jahres 13 Prozent weniger Autos in den USA verkauft als im Vorjahr.
"Mit der Coronakrise entstehen über Nacht in der deutschen Autoindustrie bei der PKW-Produktion Überkapazitäten von 1,3 Millionen PKW. 2020 dürfte die Produktion in Deutschland selbst bei optimistischer Prognose auf 3,8 Millionen Fahrzeuge schrumpfen. Unter einem pessimistischen Szenario erwarten wir lediglich 3,4 Millionen Fahrzeuge, sprich eine Überkapazität von 1,7 Millionen Fahrzeugen", analysiert Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer von der Universität St. Gallen. Das wäre die niedrigste Inlandsproduktion seit dem Jahr 2000.
Rund 830.000 Menschen arbeiten in der deutschen Autoindustrie. Viele Unternehmen lassen ihre Beschäftigten jetzt erst einmal Arbeitszeitkonten und Resturlaub abbauen, wollen dann aber auch Kurzarbeit beantragen.
Bisher ist noch offen, wie viele Menschen genau ab April nicht mehr voll eingesetzt werden. Allein bei Daimler und Volkswagen dürfte es um rund eine Viertelmillion Beschäftigte gehen. BMW meldete Kurzarbeit für rund 20.000 Mitarbeiter an. In der Auto-Sparte von Bosch arbeiten mehr als 70.000 Menschen, bei Continental könnten etwa 30.000 in Kurzarbeit gehen, bei ZF ein Großteil der 50.000 Beschäftigten.
Allein die Branchenriesen kommen somit auf möglicherweise bis zu 410.000 Mitarbeiter in Kurzarbeit. Automobil-Experte Dudenhöffer geht in einer Analyse sogar von bis zu 700.000 Beschäftigten in der Autobranche aus, die von den staatlichen Zahlungen profitieren sollen. Monatlich entspräche das seinen Berechnungen zu Folge vier Milliarden Euro, die seitens der Bundesagentur für Arbeit bald fließen.
Im Vergleich zu anderen Branchen ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad in der Autobranche groß, viele Mitarbeiter haben einen Tarifvertrag: Darin sichern die Unternehmen häufig eine Aufstockung der Kurzarbeiterlöhne zu, sodass Mitarbeiter der großen Konzerne am Ende mit 80 bis 90 Prozent ihres Nettolohns rechnen können.
Für die Unternehmen der Autobranche gelten die gleichen Regeln wie für den Rest der Wirtschaft. Für größere Firmen gibt es den "Wirtschaftsstabilisierungsfonds" (WSF). Mehrere hundert Milliarden Euro sollen darüber zur Verfügung stehen. Mit bis zu 400 Milliarden Euro will der Staat mit Garantien für Verbindlichkeiten gerade stehen. 100 Milliarden Euro soll der WSF außerdem der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) an Krediten bereitstellen. Weitere 100 Milliarden Euro sind für direkte Unternehmensbeteiligungen vorgesehen, damit würde der Staat dann zum Anteilseigner.
Der Fonds soll Firmen zur Verfügung stehen, die zwei von drei Kriterien erfüllen: Bilanzsumme von mehr als 43 Millionen Euro, Umsätze von über 50 Millionen und im Schnitt mehr als 249 Beschäftigte.
Die großen Autobauer VW, Daimler und BMW wollen allerdings auf Staatshilfe bisher verzichten. Volkswagen etwa verbrennt zwar aktuell wöchentlich rund zwei Milliarden Euro, wie VW-Chef Herbert Diess im ZDF sagte. Durch die Rekordgewinne des vergangenen Jahres sei aber die Basis gelegt, um ohne Finanzhilfen auszukommen, so sein für Finanzen zuständiger Vorstandskollege Frank Witter in der "Börsen-Zeitung". Zuletzt verfügte VW über liquide Mittel von rund 21 Milliarden Euro. Nach aktuellem Stand könnte der Autobauer also etwas mehr als zwei Monate überbrücken. Auch BMW geht davon aus, "die aktuelle Krise aus eigener Kraft bewältigen" zu können, wie ein Sprecher mitteilte. Das Unternehmen hat liquide Mittel von 17,4 Milliarden Euro. Das sei ein solider Handlungsspielraum, hieß es aus München.
Kleinere Unternehmen wie die Zulieferer Nanogate und Leoni haben hingegen schon angekündigt, Staatshilfe beantragen zu wollen.
Vor allem mittelständische Unternehmen bekommen keine direkten Zuschüsse. Für Firmen mit 11 bis 249 Mitarbeitern beklagen Mittelstandsvertreter eine Förderlücke. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier weist auf mögliche Bürgschaften und Kredite hin.
Zahlen, wie viele Unternehmen aus der Autobranche grundsätzlich Zugang zu den Hilfen für große oder Kleinst-Unternehmen hätten, gibt es keine. Der Verband der Automobilindustrie verfügt zum Beispiel über keine entsprechenden Daten, aus denen sich das ablesen ließe.
Seit Anfang April werden Forderungen nach staatlichen Konsum-Anreizen immer lauter, wobei die Vorschläge dazu mannigfaltig sind. Eine strittige Frage ist, ob es dabei Vorgaben hinsichtlich der Umweltfreundlichkeit geben soll.
"Ich könnte mir vorstellen, dass auf die existierende Umweltprämie von Elektrofahrzeugen in Höhe von 6.000 Euro bei reinen Elektrofahrzeugen man drüber nachdenken könnte, diese deutlich zu erhöhen, etwa auf 10.000 Euro", sagt der Banker Jürgen Pieper.
Autohändler sehen das teilweise kritisch. Denn sie möchten vor allem die Fahrzeuge verkaufen, die sie auf Lager haben und die dadurch Lagerkosten verursachen – und das seien größten Teils Modelle mit Verbrennungsmotor, sagt Thomas Peckruhn, Besitzer mehrerer Autohäuser und Vizepräsident des Zentralverbands Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe. Die Förderung von Verbrennermotoren wird von vielen auch kritisch gesehen. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sagte im Dlf: "Mit einer Kaufprämie, die Antriebssysteme der Vergangenheit fördert, habe ich große Probleme."
Der Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer präferiert eine indirekte Kaufprämie über die Aussetzung der Mehrwertsteuer für eine gewisse Zeit, zum Beispiel für neun Monate. Die solle aber nicht nur für die Autos gelten, sondern für alle Produkte, die 10.000 Euro oder mehr kosten. "Unsere Wirtschaft lebt davon, dass auch die Möbelindustrie und andere Industrien, die hochwertige Konsumprodukte machen, nach vorne gehen, Aufträge kriegen", erklärt Dudenhöffer.
Die Diskussion um eine Kaufprämie war auch Thema beim Autogipfel im Bundeskanzleramt. Aber ein Entschluss wurde nicht getroffen. Statdessen wurde eine Entscheidung über eine Kaufprämie - wie auch immer diese aussehen könnte - vorerst vertagt.
Volkswagen:
Der weltweit größte Autobauer hilft der Bundesregierung bei der Beschaffung von Schutzmasken aus China. "Wir haben eine große Beschaffungsorganisation dort, wir kennen den Markt", sagte VW-Chef Diess bei "Markus Lanz". Der Autobauer habe ein Maßnahmenprogramm verabschiedet, um medizinisches Gerät aus China nach Deutschland zu bringen, um Notaufnahmen und Krankenhäuser zu unterstützen.
Zudem stellt die Volkswagen AF Beschäftigte mit medizinischer Qualifikation für bis zu 15 Arbeitstage frei und zahlt deren Löhne in der Zeit – wenn sie sich freiwillig im öffentlichen Gesundheitswesen engagieren. Dazu zählen Ärzte, Notfallsanitäter, Rettungsassistenten und -sanitäter sowie Krankenpflegekräfte und Praxispersonal, das an den deutschen VW-Standorten arbeitet.
Daimler:
Der Autobauer aus Stuttgart hat der Landesregierung Baden-Württemberg rund 110.000 Atemschutzmasken für Kliniken und Arztpraxen als Spende zur Verfügung gestellt. Außerdem hat Daimler angeboten, zwei Gebäudekomplexe seines Forschungsstandortes in Ulm für die medizinische Notfall-Versorgung bereitzustellen. Mehrere Mitarbeiter seien zudem im freiwilligen Rettungsdiensteinsatz in Stuttgart.
"Immer zwei Mitarbeiter, die als ausgebildete Notfallsanitäter am Standort Stuttgart Untertürkheim arbeiten, fahren mit einem Rettungswagen im öffentlichen Einsatz mit. Das Fahrzeug wird inklusive Ausstattung von Daimler gestellt", hieß es von der Pressestelle.
Demnach hat das Unternehmen auch Anfragen aus dem Bereich Medizintechnik und prüft, ob es etwa 3D-Drucker oder Produktionsexpertise bereitstellen kann. Die Formel-1-Tochter in Großbritannien arbeite zudem mit dem University College London an Beatmungsmaschinen vom Typ CPAP.
BMW:
Die BMW Group spendet nach eigenen Angaben an ihren deutschen und internationalen Standorten beispielsweise Atemschutzmasken und Desinfektionsmittel an soziale und öffentliche Einrichtungen. So habe BMW zum Beispiel 100.000 Atemschutzmasken aus eigenen Beständen an das THW geliefert. Die Atemschutzmasken stammten aus einem Vorhalt für eigene Einsatzkräfte wie dem Gesundheitsdienst oder der Werksfeuerwehr.
Zusätzlich würden Fahrzeuge für Sozial- und Gesundheitseinrichtungen bereitgestellt, "um die Mobilität von Helfern und Berufstätigen im Gesundheitssektor zu ermöglichen", so ein Sprecher. BMW-Shuttle-Fahrzeuge seien beispielsweise in München für Nachbarschaftshilfe zur Lieferung von Medikamenten und Lebensmitteln im Einsatz.
Das bayerische Unternehmen zeigt sich zudem bereit, andere Firmen im Bedarfsfall zu unterstützen: mit Kompetenzen in den Bereichen Logistik, Beschaffung und Produktion. "Wir prüfen dann im Einzelfall, was technologisch möglich ist, zum Beispiel die Herstellung von Teilen mit 3D-Druck", heißt es aus München.
Vorerst hat keiner der Autobauer angekündigt, seine Investitionen in die Elektromobilität zu kappen. Umweltaktivisten befürchten aber, die Autolobby könnte versuchen, die aus Industriesicht strengen EU-CO2-Vorgaben aufzuweichen, und so durch die Hintertür den Druck aus der Thematik nehmen.
Grundlage dafür ist ein Brief mehrerer Verbandschefs, darunter der Europäische Autolobbyverband ACEA, an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Darin heißt es, die Coronakrise bringe die Pläne der Branche durcheinander, mit denen sie sich auf die Einhaltung künftiger EU-Regulierungen und -Gesetze vorbereitet habe. Der Zeitrahmen solle deshalb überdacht werden.
Konzernchefs wie Herbert Diess (VW) oder Ola Källenius (Daimler) betonen aber öffentlich, dass die Forschungs- und Entwicklungs-Abteilungen weiter arbeiteten. Diess schränkte im ZDF zur Markteinführung des rein als Elektroauto konzipierten ID.3 aber ein: Sicher könne er nicht sein, dass das Auto im Sommer auf den Markt komme. "Das wird sicher stark davon abhängen, wie die Krise sich weiterentwickelt."
ie für den 24. bis 30. September in Hannover geplante Messe "IAA Nutzfahrzeuge" wird abgesagt. Der direkte Austausch auf einer Messe ist im Rahmen der Corona-Pandemie nicht mehr mit dem Anspruch der IAA vereinbar, begründet der Verband der Automobilindustrie (VDA) dei Maßnahme. Der VDA richtet die Messe alle zwei Jahre aus. "Die nächste IAA Nutzfahrzeuge findet im September 2022 statt", erklärt der Verband.