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Coronavirus-Verbreitung in Afrika
"Nicht immer der Kontinent der Krisen und Krankheiten"

Bislang ist der afrikanische Kontinent weniger von der Corona-Pandemie betroffen, als erwartet. Das liege an den schnell ergriffenen Maßnahmen und am Lockdown für den Luftverkehr, sagte Politologe Klaus Schlichte im Dlf. Bei den Schreckensszenarien für Afrika sei "einfaches Denken" zum Vorschein gekommen.

Klaus Schlichte im Gespräch mit Anja Reinhardt |
Drei Jungen halten sich eine Plastikfolie vor's Gesicht, weil sie keine Atemschutzmaske kaufen können.
Lange ging man davon aus, dass der afrikanische Kontinent besonders schwer getroffen würde von der Coronakrise (picture alliance / ZUMA Wire / Donwilson Odhiambo)
Als im Frühjahr die Corona-Epidemie zu einer Pandemie erklärt wurde, war die Sorge groß, dass der afrikanische Kontinent schon bald ein Hotspot der Corona-Pandemie werden könnte. Doch bislang ist es auf dem Kontinent weniger schlimm gekommen als befürchtet. Die Infektionszahlen sind insgesamt gesehen relativ niedrig. Südafrika hat nach Angaben der Johns-Hopkins-Universität mit 188.000 Infizierten die größten Fallzahlen – insgesamt hat der Kontinent mit 1,2 Milliarden Bewohnern etwas mehr als 430.000 Infizierte zu verzeichnen.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnte aber kürzlich noch einmal vor stark steigenden Fallzahlen, weil die Maßnahmen, die zu Beginn ergriffen wurden, in vielen Ländern Afrikas nicht mehr eingehalten würden. Das liegt aber auch daran, dass die Lockdowns Konsequenzen für die Lebensmittelversorgung und die Wirtschaft haben.
COVID-19-Test in Kenia an einem Baby im März 2020
Corona: Erkenntnisse einer Krise - Afrikas GesundheitsnöteDie Corona-Pandemie hat Afrika erst spät erreicht. Trotzdem ist die Angst vor einer weiträumigen Ausbreitung groß. Das liegt auch daran, dass die meisten der 54 Staaten Gesundheitssysteme haben, die schon unter normalen Umständen am Rande des Zusammenbruchs stehen.
Lockdown für Luftverkehr hat Ausbreitung verringert
Klaus Schlichte, Politikwissenschaftler und Experte für Internationale Beziehungen, geht davon aus, dass die Gründe, warum der Kontinent bisher weniger als erwartet von der Corona-Pandemie getroffen wurde, darin liegen, dass zum einen die afrikanischen Regierungen sehr schnell reagiert hätten. Zum anderen liege der Hauptgrund darin, dass die Einbettung in den internationalen Luftverkehr viel geringer sei als in Westeuropa oder in Nordamerika.
"Der frühe Lockdown für den Luftverkehr in Afrika hat dafür gesorgt, dass das nicht im gleichen Umfang eingetreten ist. Dazu gehören natürlich auch die viel geringeren Zahlen der interkontinental Reisenden – bedingt dadurch, dass weniger Leute an dem internationalen Luftverkehr teilgenommen haben, gab es auch vorher eine geringe Ausbreitung", sagte Schlichte im Dlf. Es seien wenig Infizierte in afrikanische Länder gereist.
"Räumlich weniger mobil"
Dazu käme aber auch, dass viele afrikanische Gesellschaften insgesamt räumlich viel weniger mobil seien als europäische oder nordamerikanische Gesellschaften. "Ein Großteil der Bevölkerung lebt auf dem Lande und bewegt sich nur kleinräumlich, und damit verändern sich die Ausbreitungsmöglichkeiten von solchen Infektionskrankheiten", so Schlichte. Auch in Europa sei die Ausbreitung in ländlichen Regionen teilweise geringer.
Dennoch bestätige sich auch hier wieder ein klischeehafter Blick auf Afrika. Das liege auch daran, wie die Wissenschaften und Mediziner in solchen Fällen vorgingen, so Schlichte. "Solange noch nichts passiert ist, versucht man sich eben in Szenarien, und schaut, was es für Modelle gibt, mit denen man die zukünftige Entwicklung berechnen kann." Neben der Reisetätigkeit seien das die Kapazitäten der Gesundheitsversorgung. Die Intensivmedizin sei in afrikanischen Ländern schwach ausgeprägt. Daher habe man mit vielen Toten auf dem Kontinent gerechnet. Das sei bisher noch nicht passiert. "Aber so eine Entwicklung kann noch einsetzen", sagte er.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Ökonomische Auswirkungen auf dem Kontinent insgesamt dramatischer
In der ganzen Entwicklung gebe es aber auch ein positives Element, nämlich, "dass die Corona-Pandemie gezeigt hat, dass keineswegs Afrika immer der Kontinent der Krisen und Krankheiten sind, sondern, dass auf einmal die Weißen das Problem sind". Die Einreisen aus Europa habe man auch sofort gestoppt, weil sich das Bild umgekehrt habe. "Ich finde schon, dass in den Schreckensszenarien Übertreibung und einfaches Denken zum Vorschein kamen", sagte Schliche.
Aus einigen westlichen Ländern kommt die Kritik, dass in einigen afrikanischen Staaten die Lockerungen der Maßnahmen zu früh passiert sind. Andererseits gibt es Menschen in verschiedenen Staaten, die ganz akut von Hunger bedroht sind. "Man muss gewährleisten, dass die Märkte beliefert werden und Grundnahrungsmittel hinreichend zur Verfügung stehen. Das haben die afrikanischen Regierungen teilweise ein bisschen spät bemerkt, dass der totale Lockdown, dazu führt, dass es die Gefahr von Hungerunruhen gibt, weil auf den Märkten nichts mehr zu kaufen war oder die Preise exorbitant gestiegen waren." Das habe man aber mittlerweile begriffen. "Viele afrikanische Regierungen haben im großen Umfang Lebensmittelrationen verteilt an städtische Arme."
Aber auf dem Kontinent seien insgesamt die ökonomischen Auswirkungen dramatischer. Eine Erhöhung von Preisen bei Grundnahrungsmitteln habe auch in der Vergangenheit regelmäßig zu Unruhen geführt.
Keine massiven politischen Destabilisierungen erwartet
Es bestünde auch jetzt so eine Gefahr in afrikanischen Städten und Hauptstädten. "Uganda zum Beispiel, hat aber in den ärmeren Stadtvierteln frei verteilt haben – das ist sozusagen eine direkte Sozialhilfe", sagte Schlichte. Mit solchen Maßnahmen könne man die Situation kurzfristig entschärfen, man sei aber dauerhaft auf das Funktionieren der Märkte angewiesen.
Die Effekte der Krise könnten einerseits Regierungen destabilisieren, andererseits aber auch sozusagen einen "Merkel-Effekt" für afrikanische Präsidenten hervorrufen, weil sie in dieser Krise teilweise an Popularität gewinnen würden. "Ich sehe aber nicht, dass es jetzt zu einer massiven Destabilisierung in Afrika kommen wird, aus Gründen, die mit COVID-19 zusammenhängen", sagte der Politikwissenschaftler.