Am Donnerstag hatte sich die Weltgesundheitsorganisation gegen die Ausrufung eines internationalen Gesundheitsnotstands entschieden. Viele Experten weisen weiterhin darauf hin, dass trotz der wachsenden Ausbreitung das Virus derzeit als längst nicht so gefährlich einzustufen ist wie etwa das SARS-Virus rund um die Jahre 2002/2003. Trotzdem ist verständlich, dass Menschen sich sorgen, zumal die Krankheit rein räumlich näher rückt. Drei Erkrankungsfälle in Frankreich sind nun bestätigt.
Einschätzungen des Virologen Martin Stürmer, wissenschaftlicher Leiter in einem privaten Forschungslabor in Frankfurt, der vor 18 Jahren auch er an der Bekämpfung des damaligen SARS-Virus beteiligt war.
Silvia Engels: Sie haben nun auch die Nachrichten verfolgt über das Coronavirus, sehen Sie mittlerweile dieses Virus gefährlicher als noch vor ein paar Tagen?
Martin Stürmer: Aus meiner persönlichen Einschätzung eher nicht, weil die Befürchtung, die wir intern hatten oder in der Diskussion auch im Kollegenkreis, war ja schon so, dass das, was jetzt passiert ist, zu erwarten war. Wir haben ehrlich gesagt damit gerechnet, dass Einzelfälle auch nach Europa getragen werden, und wie wir im Interview oder in Kommentaren aus Frankreich ja gehört haben, hat es dort sogar auch eine Übertragung von einer Reisenden, von einem Reiserückkehrer auf einen Verwandten gegeben. Das ist ehrlich gesagt nicht überraschend, das haben wir erwartet. Ich glaube, das Entscheidende und Wichtigste, was wir jetzt auch gehört haben, sind die Maßnahmen, wie wir jetzt die Infektion eindämmen können.
"Wir müssen über Präventivmaßnahmen sprechen"
Engels: Viele Experten verweisen ja darauf, dass die Übertragbarkeit der Krankheit vielleicht doch recht leicht passieren kann, aber die tödlich verlaufenden Fälle gering seien, das heißt, man hat vielleicht Gefahr, diese Krankheit aushalten zu müssen, vor sich, aber nicht so ein hohes wirkliches Gefährdungspotenzial. Sehen Sie das nach wie vor so?
Stürmer: Ja, die Todesfallraten sind ja natürlich für jeden Einzelfall bitter, aber natürlich nicht in der Höhe, wie sie vielleicht, sagen wir mal, Panik verursachen dürften. Und es muss wohl auch eine Grunderkrankung vorliegen in den meisten Fällen, damit man an dieser Erkrankung versterben wird. Ich bin nur jetzt dazu noch nicht in der Lage abzuschätzen, ob das dabei bleibt. Ich gehe mal davon aus, von dem, was wir bis jetzt gehört haben.
Nichtsdestotrotz denke ich, dass wir über Präventivmaßnahmen reden müssen, weil einfach sozusagen, lasst uns die Krankheit aushalten, es wird schon nicht so schlimm, das muss nicht sein. Ich bin schon der Meinung, dass wir wirklich Maßnahmen ergreifen müssten und sollten, wie auch schon geschehen, um eben nicht dafür zu sorgen, dass eine Welle von Coronavirus-Infektionen durch Europa über die Welt schwappt.
Engels: Da kommen wir gleich hin, noch eine Frage zum typischen Krankheitsverlauf: Haben Sie da mittlerweile Erkenntnisse, wie diese Krankheit im Regelfall verläuft – die meisten Menschen erholen sich ja auch wieder. Wie verläuft das, wie lange muss man da mit Symptomen rechnen?
Stürmer: Ich selber hab natürlich noch keinen Infizierten gesehen, ich bin ja auch kein Arzt, sondern, wie Sie richtig gesagt haben, Wissenschaftler. Von den Falldefinitionen, die publiziert worden sind, sind es wohl Symptome einer klassischen viralen Lungenentzündung oder Lungenerkrankung in den tiefen Atemwegen. Fieber kann, kann nicht, Husten kann, kann nicht dabei sein.
Ich glaube, es gibt keine Therapie gegen das Ganze, und insofern muss man das machen, was man bei anderen Viruserkrankungen auch macht: Der Betroffene muss es letztendlich ausheilen. Dadurch, dass die Verdachtsfälle jetzt von dieser Erkrankung und die bestätigten Fälle tatsächlich in die Kliniken, in die Isoliereinheiten gehen, sind diese Betroffenen natürlich unter sehr guter medizinischer Überwachung und haben letztendlich auch gute Chancen, die Infektion dann ohne bleibende Schäden zu überstehen.
Engels: Dann schauen wir jetzt auf die Schutzmöglichkeiten: Wie sehen Sie – Frankreich haben wir gehört – Deutschland vorbereitet, was kann man da noch konkret zusätzlich tun, um sich zu schützen?
Stürmer: Ich glaube, dass spätestens nach SARS sehr, sehr viele Maßnahmen auch ergriffen worden sind. Es gibt ja überall Notfallpläne für die Kliniken, für die Ärzte, für die Flughäfen, und dieses Alarmpläne werden relativ häufig überarbeitet, sie werden kommuniziert, es werden Übungen gemacht. Ich glaube, dass wir relativ gut drauf vorbereitet sind, und ich denke auch, dass analog zu dem, was in Frankreich an Maßnahmen getroffen worden ist, dass das im Prinzip das ist, was wir auch in Deutschland tun sollten beziehungsweise auch schon tun.
Absperrungen in China "vielleicht einen Ticken zu spät"
Engels: Schauen wir auf China, da sind ja drakonisch zu nennende Maßnahmen getroffen worden – Millionenstädte wurden abgesperrt. Ist das die richtige Konsequenz, betrachtet aus medizinischer Sicht, um wirklich diese Ausbreitung stoppen zu können? Ist das auch eine Lehre aus der SARS-Epidemie damals?
Stürmer: Es ist schon eine sehr, sehr rigorose Maßnahme. Wir haben im Kollegenkreis drüber gewitzelt, wie man das machen wollte, wenn man Frankfurt abriegeln möchte, was denn jetzt in Deutschland los wäre. Aber jetzt zurück zum Thema: Nein, es ist sicherlich aus medizinischer Sicht vernünftig, wenn man die Quelle und den Ursprung der Infektion kennt, da sind ja immer die meisten Infektionen zu erwarten, wenn man dort sehr rigoros die Reisetätigkeit und die Menschenansammlungen unterbindet.
Insofern ist das sicherlich vernünftig, ob es jetzt schon zu spät ist, mag sein. So von den Fallzahlen, die wir jetzt in Europa oder außerhalb von China hören, sind es ja noch sehr, sehr wenige. Das werden jetzt die nächsten ein, zwei Wochen zeigen, ob das nicht vielleicht ein Ticken zu spät gekommen ist.
Schon jetzt Testsysteme vorhanden
Engels: Kann es sein, das vermuten ja auch einige, dass China da nach wie vor Informationen über die Gefährlichkeit zurückhält – dieser Verdacht kommt ja immer wieder –, oder sehen Sie einfach hier die Lehre aus SARS, dass man hier jetzt einfach drakonisch gegenhalten will, um nicht noch mal so eine Erkrankungswelle zu erleben?
Stürmer: Ich glaube, sowohl als auch. Ich denke, am Anfang hat man das vielleicht auch wieder unterschätzt und versucht, das Ganze auf kleiner Flamme zu kochen. Als man gemerkt hat, dass das nicht mehr gelingt, hat man, glaube ich, sehr schnell reagiert und hat letztendlich ja auch die Informationen, auch gerade was wir hier aus Frankreich gehört haben, dass Informationen zur Testentwicklung bereitgestellt worden sind von den chinesischen Kollegen. Ich denke schon, dass man da auch die Lehren aus der Vergangenheit gezogen hat. Andererseits bei SARS, wo wir ja relativ lange gebraucht haben, um ein Testsystem zu entwickeln, weil wir den Erreger ja noch gar nicht kannten, wissen wir ja jetzt schon, welcher Erreger es ist. Und wir haben jetzt auch schon Informationen, um entsprechende Testsysteme zur Verfügung zu stellen.
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