Zu geringe Impfbereitschaft
In einigen Teilen der Bevölkerung besteht trotz aller Aufklärungsmaßnahmen weiterhin keine Bereitschaft, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen. Laut dem Impfdashboard sind derzeit knapp 67 Prozent der Menschen in Deutschland vollständig geimpft - zu wenig, findet auch der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (Stiko), Mertens. Er sagte in Berlin, in "30 Prozent der Gebiete" der Bundesrepublik sei die Quote bei den Erstimpfungen viel zu niedrig. Das Robert Koch-Institut hat schon vor Monaten eine Impfquote von mindestens 85 Prozent empfohlen, um steigende Infektionszahlen in der kalten Jahreszeit zu verhindern.
Verhalten fast wie vor der Pandemie
Dazu kommt nach Erhebungen des RKI, dass wieder mehr Menschen auf (Auslands-)Reisen gehen und das Virus mit nach Hause bringen. So verbreitet es sich schneller weiter als im ersten Corona-Jahr, als weniger gereist wurde beziehungsweise werden konnte.
Auch finden wieder häufiger private Feiern statt. Bars und Clubs sind wieder geöffnet, wo viele Menschen miteinander in Kontakt kommen. Veranstaltungen also, die im vergangenen Jahr zu dieser Zeit nicht möglich und erlaubt waren.
Das RKI beobachtet "eine Kontakterhöhung in Richtung des prä-pandemischen Niveaus". Das heißt: Wir verhalten uns bei unserer Kontaktpflege immer mehr so, als ob die Pandemie vorbei sei. Das ist aber ganz und gar nicht der Fall. Das RKI verlangt bereits, Strategien für die kommenden Jahre (Plural!) zu entwickeln. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass das Virus wieder vollständig verschwindet, schätzen die meisten Fachleute als sehr gering ein.
Neue Varianten - schwächerer Impfschutz
Die Verhaltensänderungen im Alltag treffen auf weitere Faktoren: Unter anderem erweisen sich die Impfungen als weniger effektiv gegen neue Virusvarianten. Die allermeisten Neuinfektionen gehen auf die Variante Delta, beziehungsweise Delta+, zurück. Diese breitet sich schneller aus und erweist sich als unempfindlicher gegen die verfügbaren Impfstoffe ("Immunflucht"). Das kommt offenbar vor allem mit zunehmendem Alter der oder des Infizierten zum Tragen.
Sogenannte Impfdurchbrüche häufen sich. Wie lange eine Impfung wirksam ist, hängt wiederum auch von mehreren Faktoren ab - neben dem Lebensalter sind das auch die Art der Impfung und die individuelle Immunreaktion, altersunabhängig. Eine britische Studie hat ergeben, dass die Wahrscheinlichkeit, auch geimpft an Covid-19 zu erkranken, größer wird, je länger die Impfung zurückliegt.
Ist die Herdenimmunität ein Mythos?
Politik und Wissenschaft hatten lange Zeit darauf gehofft, dass mit der Zeit eine "Herdenimmunität" gegen das Coronavirus erreicht werde. Dass das in absehbarer Zeit der Fall sein wird, bezeichnet das RKI allerdings inzwischen als unwahrscheinlich.
Ziel der Impfungen müsse es daher sein, in der Bevölkerung eine breite Grundimmunität zu erreichen. Die wiederum würde nicht die gesamte Gesellschaft vor einer weiteren Ausbreitung schützen, sondern vor allem einen "weitgehenden individuellen Schutz vor (schweren) Erkrankungen" erreichen. Aber auch dann - wenn 85 bis 90 Prozent der Bevölkerung über 12 Jahren geimpft seien - müsse man mit saisonalen, mitunter auch langfristigen Ausbrüchen, verbunden mit schweren Krankheitsfällen, rechnen - allerdings in geringerem Umfang.
Leben mit dem Virus - wie wird das konkret aussehen?
Das Wort "Auffrischungsimpfung" ist in diesen Tagen häufig zu hören. Diese empfiehlt auch das RKI - und zwar in regelmäßigen Abständen. Zunächst für die gefährdeteren, älteren Personen, aber perspektivisch sei diese "vermutlich in zu bestimmenden Bevölkerungsgruppen und Impfabständen" zu verabreichen.
Bisher haben allerdings noch nicht einmal zwei Millionen Menschen eine sogenannte Booster-Impfung in Anspruch genommen; theoretisch könnten es zehn Millionen sein. Das müsse sich schnell ändern, lautet die Forderung.
Zudem müsse personell und infrastrukturell aufgestockt werden in allen Bereichen, in denen mögliche Infizierte mit Risikopotenzial zu finden sind: Senioren- und Pflegeheime, Krankenhäuser, meint das RKI. Doch genau an diesen Stellen macht sich seit Monaten ein zunehmender Personalmangelbreit, wie der Deutsche Ärztetag beklagt - ein Problem, das die Lage weiter verschärfen könnte.
Die Maske ist noch nicht von gestern
Allgemein rät das RKI im Alltag weiter zur Vorsicht: Abstand halten, Hygiene beachten, sich bei Krankheitssymptomen von anderen fernhalten und nicht zur Arbeit gehen. Außerdem: weiter Maske tragen, auch, wenn das in vielen Lebensbereichen inzwischen und offensichtlich häufiger vernachlässigt werde.
Der Wegfall der Maskenpflicht im Unterricht, beispielsweise in Nordrhein-Westfalen, wird deshalb auch von einigen Seiten kritisiert - zumal sich die vierte Corona-Welle vor allem in den jüngeren Altersgruppen zeigt.
Grundsätzlich geht das RKI aber davon aus, dass "die Grundimmunität in der Bevölkerung in den Folgejahren zunehmend stabiler wird" - durch weitere Impfungen und Infektionen. Saisonale Wellen würden dann kleiner ausfallen als bisher. Wie sich die jetzt beginnende vierte Welle entwickelt, bleibe abzuwarten.