Als im Frühjahr die ersten Nachrichten aus China über ein neues Virus ankamen, glaubten Intensivmediziner wie Christan Karagiannidis von der Lugenklinik Köln-Merheim, dass sie es mit einem einfachen Atemwegserreger zu tun bekommen würden. Doch als immer mehr Patienten auch in den deutschen Krankenhäusern lagen wurde klar: SARS-CoV-2 ist ein ungewöhnliches Virus.
"Wir sehen bei COVID zwar ganz häufig die Lunge als Hauptort der Erkrankung. Aber nach den ganzen Erfahrungen der letzten Monate muss man sagen, dass es eigentlich eine Systemerkrankung ist und ganz viele Organe betreffen kann."
"Wir sehen bei COVID zwar ganz häufig die Lunge als Hauptort der Erkrankung. Aber nach den ganzen Erfahrungen der letzten Monate muss man sagen, dass es eigentlich eine Systemerkrankung ist und ganz viele Organe betreffen kann."
COVID-19 – mehr als eine Lungenerkrankung
Das Virus selbst greift verschiedene Gewebe an. Zum Beispiel Nervengewebe, was die häufigen Geruchs- und Schmeckstörungen, Kopfschmerzen und den Schwindel erklärt und zum Teil auch eine kaum zu behandelnde Übelkeit. Vor allem aber gibt es zwei Besonderheiten bei SARS-CoV-2: Das Virus führt erstens zur Bildung von Blutgerinnseln und die können an vielen Orten zu Schäden führen. In der Lunge lassen sie ganze Bereiche absterben, im Gehirn lösen sie Epilepsien und Schlaganfälle aus und auch die Niere ist häufig betroffen.
"In der ersten Phase der COVID-Pandemie hatten wir fast ein Drittel aller Patienten auf der Intensivstation die beatmungspflichtig waren, die dann hinterher auch dialysepflichtig geworden sind. Was zeigt, dass dieses Virus die Niere mitbeteiligt und auch zu relativ schweren Verläufen dort führen kann."
"In der ersten Phase der COVID-Pandemie hatten wir fast ein Drittel aller Patienten auf der Intensivstation die beatmungspflichtig waren, die dann hinterher auch dialysepflichtig geworden sind. Was zeigt, dass dieses Virus die Niere mitbeteiligt und auch zu relativ schweren Verläufen dort führen kann."
Zehn Prozent mehr Tote als im langjährigen Mittel
Die zweite Besonderheit von SARS-CoV-2 ist die häufig überschießende Abwehrreaktion, die nicht nur das Virus, sondern auch den eigenen Körper trifft. Blutgerinnsel und das aus dem Ruder laufende Immunsystem machen die Behandlung von COVID-19 zur Herausforderung. Das beeinflusst sogar die Sterbefallstatistik in Deutschland. Im April verzeichnete Felix zur Nieden vom Statistischen Bundesamt zehn Prozent mehr Tote als im langjährigen Mittel. Im November sieht es ähnlich aus, Tendenz steigend.
"Die Größenordnung der Differenz zum Durchschnitt der Vorjahre bei den Sterbefallzahlen, die wir sowohl im Frühjahr als auch im Herbst gesehen haben, passt in etwa zu den gemeldeten COVID-19-Todesfällen."
"Die Größenordnung der Differenz zum Durchschnitt der Vorjahre bei den Sterbefallzahlen, die wir sowohl im Frühjahr als auch im Herbst gesehen haben, passt in etwa zu den gemeldeten COVID-19-Todesfällen."
Übersterblichkeit in den Hotspots ersichtlich
Dass SARS-CoV-2 verantwortlich für die zusätzlichen Sterbefälle ist, zeigt sich auch in der regionalen Verteilung. Niedersachsen verzeichnet fast keine Übersterblichkeit, ganz anders als der Hotspot Sachsen, wo Ende November 50 Prozent mehr Menschen gestorben sind als üblich. "Und das hat auch eine deutlich ansteigende Tendenz von Woche zu Woche."
Besonders dramatisch war die Übersterblichkeit in Regionen, in denen das Gesundheitssystem überwältigt wurde, wie zeitweise in New York City oder in Bergamo. Dort starben auf dem Höhepunkt der ersten Welle sechs bis sieben Mal mehr Menschen als im Durchschnitt.
Besonders dramatisch war die Übersterblichkeit in Regionen, in denen das Gesundheitssystem überwältigt wurde, wie zeitweise in New York City oder in Bergamo. Dort starben auf dem Höhepunkt der ersten Welle sechs bis sieben Mal mehr Menschen als im Durchschnitt.
Kein bislang wirklich wirksames Medikament
In dieser Phase wussten die Intensivmediziner nicht wirklich, wie sie mit COVID-19-Patienten umgehen müssen. Große Hoffnungen wurden deshalb auf neue Wirkstoffe gesetzt.
"Bisher muss man aber sagen, dass es keines dieser Medikamente gibt, was die Prognose der Patienten wirklich nachhaltig deutlich verbessert," sagt Christian Karagiannidis, der als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin, kurz DIVI, einen guten Überblick hat. Nach wie vor ist die Prognose von Patienten, die eine künstliche Beatmung benötigen, eher düster. Und das gilt nicht nur für das Risiko, zu versterben. "Wir sehen bei einigen beatmeten Patienten, dass die Lunge wieder vollständig normal ist. Wir haben aber auch nicht ganz wenige Patienten, die auch noch Monate nach der der Behandlung im Krankenhaus unter der Erkrankung leiden und wo sich die Veränderungen in der Lunge noch nicht ganz zurückgebildet haben."
Erfolge bei der Behandlung durch traditionelle Maßnahmen der Intensivmedizin
Eine tiefe Erschöpfung und Schwäche noch Monate nach dem Ende der eigentlichen Symptome kann auch bei relativ leichten Verläufen auftreten. Positiv ist, dass der Anteil der Patienten sinkt, die eine künstliche Beatmung benötigen. Und zwar Dank ganz traditioneller Maßnahmen der Intensivmedizin. Die Patienten bekommen schnell eine Blutverdünnung und werden auf dem Bauch gelagert sobald sie etwas zusätzlichen Sauerstoff benötigen. Schließlich dämpft die Gabe von Cortisonpräparaten nachweislich die überschießende Immunreaktion, so dass die Patienten seltener in eine schwere Krise geraten.
Sterblichkeit konnte reduziert werden
Diese Erfolge beeinflussen letztlich auch das Risiko für den Einzelnen, nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 zu sterben. Diese sogenannte Infektionssterblichkeit ist schwer zu ermitteln, weil es eine große Dunkelziffer gibt. An der Universität Oxford versucht der Statistiker Jason Oke die Unsicherheiten mit Modelrechnungen in den Griff zu bekommen. Und dabei zeigt sich ein erfreulicher Trend.
"Wir haben einen dramatischen Rückgang gesehen. Auf dem Höhepunkt der ersten Welle starben etwa drei Prozent der Menschen, die sich mit Sars-CoV-2 angesteckt hatten. Das hat sich inzwischen halbiert. Das zeigt sich auch in den deutschen Daten, wir sind ziemlich sicher, dass die Sterblichkeit gesunken ist und zwar erfreulicher Weise nicht nur bei den Jungen, sondern auch bei alten Menschen."
"Wir haben einen dramatischen Rückgang gesehen. Auf dem Höhepunkt der ersten Welle starben etwa drei Prozent der Menschen, die sich mit Sars-CoV-2 angesteckt hatten. Das hat sich inzwischen halbiert. Das zeigt sich auch in den deutschen Daten, wir sind ziemlich sicher, dass die Sterblichkeit gesunken ist und zwar erfreulicher Weise nicht nur bei den Jungen, sondern auch bei alten Menschen."
Coronavirus deutlich gefährlicher als Influenza
Wobei das Alter nach wie vor der entscheidende Faktor ist. Nach den Zahlen des Robert Koch-Instituts waren in Deutschland 88 Prozent der an und mit COVID-19 Verstorbenen älter als 70 Jahre. Dabei beträgt der Anteil dieser Altersgruppe an allen COVID-19-Fällen nur 14 Prozent. Aber auch Menschen mittleren Alters sind gefährdet, ihre Sterblichkeit aufgrund von SARS-CoV-2 liegt etwa doppelt so hoch, wie das Risiko bei einem Autounfall zu sterben, wie eine Metanalyse im November hervorhob. Klar ist in jedem Fall, egal welchen Vergleichsmaßstab man wählt, das neue Coronavirus ist erheblich gefährlicher als die Influenza.
"Der Hauptunterschied, würde ich sagen, zwischen Influenza und COVID ist, das COVID noch deutlich tödlicher ist als die Influenza und das sie vor allen Dingen viel, viel länger dauert."
DIVI-Präsident: Marke von 6.000 Intensivpatienten wird überschritten werden
DIVI-Präsident Christian Karagiannidis rechnet aufgrund von Modelrechnungen damit, dass die Zahl der COVID-19-Patienten auf den Intensivstationen die Marke von 6.000 überschreiten wird. "Das ist die höchste Zahl, die wir wahrscheinlich jemals bei einer einzelnen Erkrankung in der deutschen Intensivmedizin gesehen haben."
Von daher gilt weiter: Kontakte reduzieren, Maske auf und auf den Impfstoff hoffen.
Von daher gilt weiter: Kontakte reduzieren, Maske auf und auf den Impfstoff hoffen.