Eine Frau, die ihr ganzes Berufsleben dem Film gewidmet hat, streift zur Berlinale durch die Hauptstadt - aber sie kann sich nicht recht drauf einlassen, denn ihr Partner - im Buch nur "der Mann" genannt - hat sie verlassen, zumindest vorübergehend. Das sei besser für beide. Während die Protagonistin ihren Schmerz bearbeitet, lässt sie in Gedanken auch ihr Berufsleben und die Bedeutung verschiedener Filme und Filmemacher für sich selbst Revue passieren.
Diese beiden Erzählebenen verzahnt Heike-Melba Fendel in ihrem neuen Roman "Zehn Tage im Februar" geschickt miteinander - und zeichnet so auch eine spannende Rückschau auf den Filmfestivalbetrieb im Wandel der Zeiten. Sicherlich auch mit einem hohen Anteil Eigen-Biographie, denn Heike Melba Fendel hat lange als Filmkritikerin gearbeitet und in den 90er Jahren eine Film-PR-Agentur gegründet.
Fabian Elsäßer: Frau Fendel, der zentrale Satz im Buch ist vielleicht der hier, vielleicht auch das Lebensmotto der Protagonistin: "Filmen darf man hinterherreisen, Männern nie". Warum?
Heike-Melba Fendel: Das ist ja ein Rat, der ihr gegeben wird von einer der vielen Frauen, von denen sie sich Rat geben lässt. Was dahinter steckt ist wahrscheinlich die Idee, dass das Kino ein immer vorhandener Möglichkeitsraum und Männer eben oft nichts Mögliches sind, sondern etwas Vorhandenes, mit dem man nicht so richtig weiß, was man dann auf Dauer tun soll.
Elsäßer: Aber das Kino ist ja im Grunde nur Raum der Möglichkeiten im Kopf, nicht in der Realität, oder?
Fendel: Ja, das ist jetzt die Frage, welchen Realitätsbegriff Sie anwenden. Das Kino ist zum einen erstmal selber ein Raum und die Geschichten, die dann erzählt werden, wenn man sich auf die einlässt, werden dann tatsächlich zu Bausteinen der eigenen Biographie oder können das, wenn Sie bereit sind, das Gesehene wie Erlebtes aufzufassen. Und bei der Protagonistin ist das auf jeden Fall so, dass sie mit Filmen umgeht wie mit dem eigenen Leben und auch die Menschen in den Filmen sind für sie wie Menschen, denen sie tatsächlich begegnet ist und die ihr etwas zu sagen haben.
Elsäßer: Und eine ganz große Rolle spielt die Regisseurin Jane Campion, die neuseeländische Regisseurin, die mit "Das Piano" 1993, glaub ich, einen sehr großen Erfolg gefeiert hat - also goldene Palme in Cannes und Oscar für das beste Drehbuch. Und die bedeutet der Ich-Erzählerin sehr viel und Jahre später ist die Erzählerin dann enttäuscht, als Jane Campion nämlich ins Fach der Miniserien wechselt, mit "Top of the Lake" im Jahr 2009. Hat es diese Begegnung auch mit Ihnen wirklich so gegeben, mit Jane Campion?
Fendel: Also wir kennen uns, ein wenig. Diese Begegnung, wie sie geschildert sind im Buch, überhaupt nicht. Aber für eine Frau, die so manisch, verloren, unsortiert durchs Leben läuft ist diese Figur Jane Campion, die zwar eine sehr wechselhafte Biographie und Filmographie hat, aber doch was sehr Konkretes und sehr Entschlossenes. Eine solche Frau ist für die Protagonistin natürlich eine gute Komplementär-Figur und eine Sehnsuchtsfigur.
Elsäßer: Und es ist natürlich immer sehr verlockend, Autor und Werk in eine biographische Deckung zu bringen, deswegen verzeihen Sie mir den Versuch. Wie ging es Ihnen denn selber mit diesem Wandel von, ich sag mal, Das Piano, oder auch die frühen Kurzfilme, bis hin zu "Top of the Lake"?
Fendel: Ich schätze an Jane Campions Œuvre, dass sie immer etwas Neues versucht. Und sich immer wieder in ganz unterschiedlichen Genres ausprobiert und bereit ist, jedes Mal wieder ein Wagnis einzugehen. Und die Filme, die ich - oder die man - als gescheitert empfinden mag, finde ich, wenn überhaupt gescheitert, dann auf eine hochinteressante Weise und es hat sich da ein Œuvre ausgeprägt, das von einer großen ... sozusagen eine Art wilde Unerbittlichkeit, mit dem sie die Fragen, die sie ans Leben hat, im Kino verhandelt und davor habe ich allergrößten Respekt.
Elsäßer: Jetzt schildern Sie uns ja auch diese Parallelwelt Filmfestival. Müssen wir Normalsterblichen diejenigen beneiden, die zu dieser Parallelwelt Zugang haben oder ist es ähnlich wie mit Backstagepässen bei Rockkonzerten, wenn man Pech hat, steht man in schlecht belüfteten Räumen und sieht schlecht gelaunten Männern beim Verzehr von altbackenen Brötchen zu?
Fendel: Also eine Parallelwelt wird's ja dann, wenn sie sich mit voller Wucht auf diese Welt einlassen, also wenn sie zum Beispiel fünf Filme am Tag gucken, was dann gerne mal zehn, zwölf Stunden reine Kinozeit sein können und wenn sie sich dann auch noch weiterhin in den Trubel werfen, wo sie den ein oder anderen, den sie auf der Leinwand gesehen haben, dann auch begegnen können. Und nein, dass natürlich jeder Film - sie wissen ja nicht genau, was sie erwartet, weil vieles sind Welturaufführungen und ich zum Beispiel gehe auf Uhrzeit ins Kino, ich weiß oft nicht mal den Titel des Films, den ich sehen werde, sondern nur die Uhrzeit, zu der er läuft. Und dann wissen sie nicht, das kann natürlich total schief gehen.
Aber darin liegt der Reiz und es ist das Welthafte dann oder Parallelwelthafte liegt eben daran, dass sie wirklich in diese vielen Filme dann gehen wie in einen Tag, dem sie sozusagen offen begegnen, wenn sie durch einen fremden Ort streifen ohne Googlemaps und diverse andere Apps, die ihnen schon vorher alles erklären, was sie sehen werden, sondern wenn sie sich einfach drauf einlassen, dass sie jetzt im Dunkeln zwei Stunden lang von irgendwas überwältigt werden, was ihnen entweder auch großes Unbehagen bereiten kann oder große Freude. Und das ist dann eine sehr schöne Erfahrung über zehn Tage - es ist eine sehr lange Erfahrung - und nach diesen zehn Tagen sind sie tatsächlich in einem Maße verstört, dass es eine ganze Weile braucht, in die sogenannte Realität zurückkehren zu können.
Elsäßer: Welche Festivals sind für Sie heute noch Pflicht?
Fendel: Gut, ich habe mir mein eigenes Pflichtprogramm sozusagen zusammengestellt. Weil ich gerne auf die kleineren Filmfestivals fahre, zum Beispiel Sarajevo im August, da bin ich jedes Jahr. Das ist ein Festival des südosteuropäischen Kinos und das südosteuropäische Kino mag ich und gleichzeitig, wenn sie dann auch vor Ort die Filme sehen, die dort entstanden sind, dann verdichtet sich das zu einer Vertiefung der Erfahrung. Locarno ist ebenfalls großartig, weil sie da einfach mit zehntausend Menschen auf der Piazza gleichzeitig ein Kinoerlebnis jeden Abend haben können, auf das sie zwei Stunden warten, weil sie müssen warten, bis es dunkel wird und wenn sie einen guten Platz haben wollen, müssen sie eben schon zwei Stunden vorher da sitzen.
Und dieses kollektive Erlebnis ist sehr schön. Istanbul hat im April ein sehr interessantes Filmfest und wer ein bisschen mehr über die Türkei erfahren möchte, als man das über die Nachrichtenlage tun kann, der sollte sich halt die dreißig Filme, die jedes Jahr da aus der Türkei selbst laufen einfach anschauen. Wie überhaupt das Kino eine Möglichkeit bietet, wenn man vor Ort ist und sich zehn Tage lang die Filme anguckt, die aus diesen Regionen, in denen man da ist, heraus versuchen, Gegenwart einem nahezubringen, das ist eine sehr bereichernde Erfahrung, abseits der medialen Möglichkeiten, die einem sonst so zur Verfügung stehen.
Das klingt jetzt nicht so glamourös, ist auch nicht glamourös. Ich habe sozusagen mein Paket Glamour, also Cannes, Venedig, Berlinale - die ich natürlich auch jedes Jahr besuche - also Glamour brauche ich nicht mehr ganz so dringend, da ist auch irgendwann mal ... oder Glamour kann ich mir auch selber machen.
Elsäßer: Wie haben sich zum Beispiel jetzt diese ganz großen Festivals - oder die mit den ganz großen Namen - wie haben die sich verändert? Sie schildern das ja ganz charmant in Ihrem Buch, wie die Protagonistin da zum Beispiel an der Croisette noch schlendern kann, sich noch unter die Prominenz mischt. Heute wahrscheinlich so gar nicht mehr möglich.
Fendel: Ach, ich möchte gar nicht ausschließen, dass junge Frauen da nicht auch ihre Wege haben, sich da irgendwo reinzupfuschen. Ich glaube, es hat sich nochmal alles was da war verstärkt, der rote Teppich ist noch länger geworden, die Roben sind noch glamouröser und die Outlets von Chanel und Co. haben sicher noch teurere Ware, aber im Prinzip ist diese Parallelität von extrem harten Glamour, an den sich dann auch alle Industrien dran klemmen und der Möglichkeit, filmische Entdeckungen zu machen, auf allen sogenannten A-Festivals, zu denen Cannes ja auch gehört, eigentlich immer noch gegeben. Und die Filme, die zum Beispiel auch Preise gewinnen, sind überhaupt nicht zwingenderweise solche, die unbedingt die Prominenzgespickten sind.
Elsäßer: Wird Toni Erdmann überschätzt?
Fendel: Ich mag tatsächlich den Ausdruck "überschätzt" überhaupt nicht, weil das so ein reines Wirkungsphänomen ist, Toni Erdmann ist ein wahnsinnig interessanter Film, der sicher interessanter zu gucken ist, wenn er nicht so eine riesige Hypewand hätte, die da vor ihm errichtet wurde. Aber es ist doch toll, dass ein Film, der eigentlich eine Suchbewegung vollzieht und eine sehr wechselvolle Entwicklungsgeschichte hat und noch dazu von einer Frau gemacht wurde, jetzt so einen Siegeszug macht. Ein Film, von dem es keiner in der Form erwartet hätte. Und insofern ist er eine große Überraschung und Überraschungen kann man, glaub ich, nie überschätzen.
Elsäßer: Und das ist vielleicht das, worin es im Festivalbetrieb noch geht.
Fendel: Ja, man kann verzaubert werden. Man muss ganz klar sagen, ohne Cannes wäre Toni Erdmann wahrscheinlich ein interessanter Autorinnenfilm geblieben, der wahrscheinlich mit 60.000-70.000 Zuschauern und ein bisschen Wohlwollen hierzulande aufgenommen worden. Und dass ein Festival das noch leisten kann und nicht in seinem Prominenzgewusel erstickt, sondern tatsächlich veritable Überraschungen hervorbringen kann, das spricht dann sehr, sehr ... auch für dieses Festival.
Elsäßer: Sagt die Kölner Autorin und Kunst-und Filmagentin Heike-Melba Fendel, ihr Roman "Zehn Tage im Februar" ist vor zwei Wochen erschienen und die Autorin liest daraus am 2. Februar im Literaturhaus Köln. Herzlichen Dank für den Besuch.
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