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Corso-Gespräch mit Werner Aisslinger
"Die nächste Epoche ist das narrative Zeitalter"

Designobjekte müssten versuchen, Geschichten zu erzählen, sagte der Designer Werner Aisslinger im Deutschlandfunk. Weil heutzutage schon alles designt sei, unterscheide sich nichts mehr vom anderen. Deswegen würden in Zukunft solche Produkte spannend, die die Konsumenten mit ihrer Geschichte berührten.

Werner Aisslinger im Gespräch mit Susanne Luerweg |
    Susanne Luerweg: Herr Aisslinger, Sie haben schon ganz furchtbar viele Preise gewonnen. Jetzt werden Sie auch noch Designer des Jahres 2014. Sind Preise Bürde oder geben die mehr Freiheit, weil man dann immer bekannter wird und man kann machen, was man möchte?
    Werner Aisslinger: Interessante Frage. Es könnte im besten Falle dazu führen, dass man in eine andere, wie soll ich sagen, dass man in eine andere Networking-Gemeinde rein rutscht. So eine Art Lebenswerkpreis wie hier. Das ist schon was Besonderes.
    Luerweg: Das Problem von Lebenswerkpreisen ist aber immer so ein bisschen, dass man denkt, das ist das Ende der Karriere. Was kann danach noch kommen, oder?
    Aisslinger: Ja, es kann auch ein Ansporn sein, sich weiter zu engagieren. Und ich habe gerade in den letzten Jahren so viele experimentelle Projekte gemacht, wo ich gerade das Gefühl habe, mich interessieren gerade so ganz andere Sachen.
    Design als Zahnrädchen in der industriellen Verwertungskette
    Luerweg: Ihr Thema ist in den letzten Jahren ganz stark die Nachhaltigkeit geworden. Sie experimentieren da außerordentlich auf dem Gebiet. Es gibt Küchen, Ökoküchen, wo man sein eigenes Gemüse züchtet und direkt in der Küche verwenden kann. Dann einen Stuhl, den man quasi mit Pflanzen züchtet. Das klingt sehr experimentell, fast gar nicht mehr nach Design, sondern schon eher nach Wissenschaft.
    Aisslinger: Es ist halt so, Design ist eine angewandte Kunst, eine angewandte Disziplin und man kommt natürlich schnell in das Fahrwasser, gerade in Deutschland, wo die Mittelstandsindustrie so stark ist und so viel Industrie überhaupt existiert, dass Design eine Disziplin wird, sagen wir mal ein Zahnrädchen in der industriellen Verwertungskette ist. Und ich versuche, Design eben auch als Kulturgut zu sehen. Das man sagt, Design kann auch Kultur sein oder eine Kulturdisziplin sein und das Dritte, was mich am meisten interessiert, sind Visionen. Dass man sagt, Designer sind auch Leute, die Visionen oder Ideen für Übermorgen generieren oder Utopien zur Debatte stellen und ich denke, das muss man auch machen können und das finde ich das Spannende an dem Berufsbild.
    Luerweg: 2003 sind Sie ganz bekannt geworden mit einer Vision. Dem Loftcube. Ein Wohnhaus, 39 Quadratmeter groß. Das kann man innerhalb von einem Tag aufbauen, innerhalb von einem Tag wieder abbauen. Klingt ideal als Studentenbude, aber letztendlich ist es doch nur was für wenige reiche Menschen, die schon alles haben, oder?
    Aisslinger: Ja, das ist natürlich auch eine Konsequenz daraus, dass wir es nicht geschafft haben, es so billig herzustellen, wie man wollte. Natürlich war die Idee am Anfang, das sind Studenten, junge Menschen, die in Großstädten auf Dächern leben, dass es Communities sind, die sich da bilden. Das hätte dann funktioniert, wenn das Ding 50.000 Euro kosten würde. Jetzt haben wir natürlich gesehen, wenn wir keine großen Stückzahlen machen, sondern immer nur Stück für Stück produzieren, dass das dann in der Produktion so aufwendig ist. Dann wird das natürlich sehr teuer und dann kommt das in diese Welt, die Sie ansprachen, dass es sich vor allem die Leute leisten können, die schon alles haben. Also, dass man sozusagen nicht diese "Roof-Top Communities", wie wir sie anfangs genannt haben, im Blickwinkel hat oder dass die das absorbieren, sondern dass es dann eher das Ferienhaus für Gäste in Spanien wird oder das Haus für die Enkel im Garten oder so.
    Upcycling als sinnvolles Produktdesign
    Luerweg: Das ist ja so ein Wahn im Moment in Deutschland. Dieses Do it yourself, Upcycling, keiner kauft nichts Neues. Braucht man dann eigentlich noch Designer, wenn jeder so vor sich selbst hin wurschteln kann und im Zweifelsfall noch per Open Source sich irgendwelche Designgeschichten runterladen kann?
    Aisslinger: Ja, dann sind die Designer vielleicht die, die im Zweifelsfall das proklamieren, die diese Onlineforen, diese Templates machen, die andere dann wiederum nutzen. Nur mal als Beispiel: Ein Londoner Designer hat vor einem halben Jahr einen elektronischen Baustein vorgestellt, mit dem man alte Stereoanlagen, alte Stereoboxen, die man im Keller stehen hat von vor zwanzig Jahren, also uralte Stereoanlagen wieder upcyclen und reaktivieren kann. Also das Ding macht die alte Stereobox wieder bluetoothfähig. Ich kann da mit meinem iPhone und so einer alten Stereobox wieder Musik hören und kann die ansteuern. Da holt man Dinge wieder in den Gebrauch, die eigentlich funktionieren, das sind ja oft tolle Lautsprecher, die da drin verbaut waren. Und das ist eine Tendenz, da macht Produktdesign dann auch wieder Sinn, indem man eben nicht das Ding sich komplett neu überlegt, sondern wo man sagt, wie kann man eigentlich ein kleines Tool entwickeln, was eben dazu führt, dass Lebenszyklen verlängert werden und Dinge, die ausrangiert sind, wieder in Gebrauch kommen. Das ist schon cool.
    Luerweg: Muss man denn nicht heute trotzdem anders designen für die Digital Natives, die alles und jedes im Netz finden?
    Aisslinger: Na ja, die Digital Natives leben ja auch noch analog, die haben ja auch noch eine analoge Existenz und solange sie Arme und Beine haben und irgendwo sitzen und essen müssen. Und ich glaube, natürlich haben die eine andere Auffassung und Sozialisation hinter sich, aber ich denke mir, das zu begleiten ist auch wieder spannend an dem Beruf. Ich bin ja eigentlich eine Generation, die analog aufgewachsen ist, sozusagen mit Legobausteinen, und später dann auch in das digitale Zeitalter gerutscht ist. Ich finde das eigentlich total spannend, diesen Umbruch mitzuerleben. Und natürlich ist heute jeder Dreijährige schneller am iPad als ich.
    "Normalerweise sind ja Hotels Ufos für Touristen"
    Luerweg: Sie beschäftigen sich gerne mit Hotels, wenn ich das richtig sehe. Und gerade aktuell das 25hours Hotel.
    Aisslinger: Uns ging es die ganze Zeit mehr um Storytelling als um Innenarchitektur. Normalerweise wird man ja als Architekt oder Innenarchitekt, Designer in solche Projekte reingeholt und unterhält man sich über Teppiche oder Stoffe und Möbel. Und in unserem Fall ging es eigentlich nie darum, was da jetzt für Möbel stehen. Uns ging es eigentlich darum, wie kann man das Hotel neu erfinden. Und ich glaube, wir haben da Mittel und Wege gefunden, Berlin in das Hotel rein zu holen, zu verweben mit der Stadt, verschiedene Projekte, die Berlin ausmachen, im Hotel stattfinden zu lassen. Und wir versuchen natürlich auch, die Stadt rein zu holen. Dass auch Berliner in das Hotel kommen und dass die Gäste im Hotel gleich die Stadt erfahren und nicht in so einem Ufo sind. Normalerweise sind ja Hotels Ufos für Touristen, kein Local kommt ja da rein und die Touristen sitzen da eben und wenn sie nicht aus dem Fenster gucken würden, würden sie gar nicht wissen, ob sie jetzt in Tokio oder Los Angeles oder Berlin sind und wir haben eben versucht, einen Ort zu schaffen, der sich extrem mit der Stadt auseinandersetzt und da Bezugspunkte findet.
    Luerweg: Sie haben gerade das Wort Storytelling benutzt. Leben wir im Zeitalter des Storytellings - designtechnisch?
    Aisslinger: Das sehe ich so. Ich glaube, das Design, wenn es nicht anfängt, narrative Qualitäten zu entwickeln, auch langweilig wird oder sich totlaufen wird. Also es gibt ja diese ganzen Evolutionsstufen, form follows function, dann hat man in den 90er Jahren von form follows emotion gesprochen, dann hat man in den letzten zehn Jahren, was ich auch immer gerne mache, das form follows material, das eben Materialien sehr wichtig sind, Produktionsmethoden. Aber ich glaube, die nächste Epoche ist das narrative Zeitalter, dass eben Designobjekte versuchen müssen, Geschichten zu erzählen oder Verbindungen herstellen zu Geschichten, weil heute eben alles designt ist. Es gibt ja nichts mehr, was nicht designt ist, was ja auch so eine gewisse Nivellierung beinhaltet. Wenn alles sozusagen designt ist, dann unterscheidet sich nichts mehr vom anderen und ich glaube, dass die Produkte spannend sein werden in Zukunft, die den Konsumenten berühren, und berühren werden Geschichten.
    Luerweg: Gibt es vielleicht zu viel Design? Sie haben es gerade auch so ein bisschen angesprochen. Es gibt ja nichts mehr, was nicht Design ist. Von der Handtasche bis zu den Socken. Es muss immer dieses Design davor gepappt werden. Das strapaziert ja auch den Begriff arg.
    Aisslinger: Es gibt immer mehr Design, alles ist designt und die Qualität ist ja wieder eine andere Frage und ich glaube, dass es nach wie vor wenig Dinge gibt, die Qualitäten haben. Es wird eben mehr in Design investiert und es wird auch mehr Design gemacht, aber ich glaube nicht, dass es heute mehr oder qualitätsvollere Objekte gibt als vor zehn oder zwanzig Jahren. Das heißt, gutes Design ist eigentlich das Thema und nicht nur Design zu machen.
    "Gutes Design ist schwer einzukreisen"
    Luerweg: Aber wie kann das aussehen, das gute Design?
    Aisslinger: Ja, gutes Design ist schwer einzukreisen. Es gibt halt archetypische Qualitäten. Es gibt immer den Stuhl und man muss sich eben auch mit Archetypen auseinandersetzen, mit der Geschichte, dann gibt es immer eine Relation zwischen Cleverness, Materialverbrauch, Gewicht, Konstruktion. Es gibt auch eine gewisse ingenieurhafte Schlauheit, die manchen Produkten eigen ist und dann worüber wir gerade gesprochen haben, dieses Storytelling. Die Ebene, dass man eben versucht, dass das nicht nur öde Produkte sind, sondern dass die auch irgendwie einen Bezug zu dem Nutzer herstellen.
    Luerweg: Und ist das dann ein Designklassiker? Ich stelle mir einfach immer so vor, man kann viele Preise gewinnen, aber das höchste der Gefühle ist, wenn man einen Stuhl designt, bei dem man selber das Gefühl hat: das ist es. Der lebt in 100 Jahren noch.
    Aisslinger: Ja, das ist natürlich dieses unsterblich werden durch Produkte, die sozusagen nie vom Markt verschwinden. Das ist natürlich das Ultimative. Ist natürlich jetzt in dieser Vielfalt von Design immer schwerer. In den 50er, 60er Jahren gab es noch nicht so viele Designer und da gab es weniger Marken, die sich um innovative Designobjekte gekümmert haben. Heute ist das so, dass die Firmen sich ständig neu erfinden müssen und wollen, weil sie oft auch getrieben sind von den Kopisten und Adaptierern. Das heißt, die Kollektionswechsel sind so schnell, fast schon wie in der Mode.
    Es wird den Produkten keine Zeit mehr gelassen, um sich am Markt zu sozialisieren, sondern sie werden einfach ständig ersetzt, weil man das Gefühl hat, man muss innovativ sein, man muss eigentlich ständig eine neue Kollektion auf den Markt bringen, um irgendwie vorne zu sein als Marke. Aber dieses Thema, wo wir angefangen haben, Klassiker in die Welt zu setzen, das wird eben immer schwerer. Es gibt ja von mir einen meiner ersten Stühle, der noch immer produziert wird seit 1996, das sind auch schon ein paar Jahre, und der auch im MOMA gelandet ist und es gibt ein paar Sachen, die ich auch schon mal gemacht habe, die Gott sei Dank immer noch auf dem Markt sind und vielleicht irgendwann auch mal Klassiker werden können.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.