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Corso-Gespräch
"Wir erleben gerade ein goldenes Zeitalter des Fernsehens"

Michael Dobbs war einer der engsten Vertrauten Margaret Thatchers. Sein Roman "House of Cards" wurde erst zum Bestseller, dann zur BBC-Fernsehserie und 2013 zur Netflix-Web-Serie. Im Corsogespräch verrät Dobbs, warum seine Bücher auch nach 27 Jahren so aktuell wie eh und je sind - und die Serie die industrielle Revolution des Fernsehens einläutet.

Michael Dobbs im Gespräch mit Eric Leimann |
    Kevin Spacey spielt Frank Underwood in "House of Cards"
    Kevin Spacey spielt Frank Underwood in "House of Cards" - einen unglaublich bösen Politiker mit Ambitionen auf das Weiße Haus. (picture-alliance / dpa / Melinda Sue Gordon)
    Eric Leimann: Ihr Buch "House of Cards" ist 27 Jahre alt. Was hat sich seitdem in der Politik verändert, das Sie vielleicht in der neuen TV-Serie berücksichtigen müssen?
    Michael Dobbs: In der Politik hat sich fast nichts verändert. Sie funktioniert genau wie vor 2.000 Jahren, als Julius Cäsar auf den Stufen des Capitols niedergestochen wurde. Politik ist hart, brutal und blutig. Es geht um sehr wichtige Dinge, da gibt es keine einfachen Entscheidungen. All diese Faktoren sind ebenso gleich geblieben wie der Ehrgeiz, die Boshaftigkeit und auch die Verletzlichkeit des Menschen. Die Serie erzählt ja viel mehr von Menschen als von der Politik.
    Leimann: Wie stark mischen Sie sich ein, wenn es um die US-Version von "House of Cards" geht?
    Dobbs: Wenn Sie als Autor Ihr Buch verkaufen, dann ist es so, als hätten Sie Ihr Haus verkauft. Die neuen Eigentümer erwarten, dass man seine Sachen packt und alles wegräumt, damit sie renovieren und sich nach ihrem Geschmack einrichten können. Manche reißen auch ab und bauen einfach neu - selbst das müsste man schlucken. Bei der US-Serie "House of Cards" war es anders. Die Käufer sagten mir: Wir wollen, dass du dabei bist, denn du bist Ursprung und Erbe dieser Erzählung. Natürlich kann ich nicht die ganze Zeit beim Dreh dabei sein, denn ich habe in Westminster zu tun und noch vieles mehr. Trotzdem fliege ich so oft nach Amerika wie es geht. Ich lese alle Drehbücher, schaue Arbeitsversionen der Folgen und so weiter.
    Leimann: Sie werden mit David Fincher, Kevin Spacey und einigen anderen als "Executive Producer" der Serie genannt. Sind Sie das?
    Dobbs: Wenn ich drüben in Amerika bin, freuen sich immer alle. Trotzdem würde ich mich eher als Berater denn als Produzent bezeichnen. Ich bin ja nicht nur Autor der Buchvorlage, sondern auch der einzige aktive Politiker im gesamten Projekt. Und doch muss ich Ihnen sagen: Wenn mich morgen ein Bus überfährt, würden Sie es trotzdem hinbekommen, eine dritte Staffel zu drehen - ganz ohne mich. (lacht)
    "Konzept von Netflix ändert die Regeln des alten Fernsehens"
    Leimann: Je länger die Serie läuft, desto mehr hat man den Eindruck, dass sie sich von Ihren Originalgeschichten entfernt. Haben Sie ein Problem damit?
    Dobbs: Ich habe drei Bücher über den "House of Cards"-Kosmos geschrieben. Das Mittlere, "To Play The King", ist so unglaublich britisch, dass die Amerikaner es kaum als Vorlage verwenden können. Natürlich ist das eigene Buch immer wie ein Kind für einen selbst. Seit die Bücher erschienen sind, hat immer wieder mal jemand aus Hollywood bei mir angefragt, ob er eine US-Version davon produzieren dürfte. Wissen Sie, wie Hollywood funktioniert?
    Leimann: Erzählen Sie es mir ...
    Dobbs: Sie machen einem tausend Versprechungen. Viele davon sind sogar ernst gemeint. Nur - sie auch umzusetzen, darin liegt das Problem. Irgendwie wurde nie etwas aus all den Gesprächen. Dann kam eine kleine Firma namens "Media Rights Capital" auf mich zu, von der ich noch nie gehört hatte. Ich schmunzelte und hätte nie gedacht, dass etwas daraus würde. Aber sie ließen nicht locker und meldeten sich immer wieder. Plötzlich sagten sie mir, sie hätten Kevin Spacey und David Fincher mit an Bord - was ich davon halten würde? Ab diesem Moment musste ich nicht mehr lange nachdenken. Bei den Namen war mir klar, dass sie keinen Mist produzieren würden. Ich wusste, dass sie ihre eigenen Ideen umsetzten würden, aber das war okay für mich. Ich will nicht, dass der Stoff still steht. Er soll sich entwickeln, er soll leben und ich möchte gerne meinen Teil dazu beitragen.
    Leimann: "House of Cards" wurde als erste große Serie so produziert, dass der Zuschauer sofort alle Folgen am Stück sehen kann. Was halten Sie vom "Binge Watching"?
    Dobbs: Ich fand es gleich sehr aufregend. Von Anfang an war klar, dass "House of Cards" nicht irgendeine Serie werden würde. Das Konzept von Netflix ändert - ganz bewusst - die Regeln des alten Fernsehens: Früher hat man fortlaufende Geschichten im Fernsehen künstlich zerschnitten. Als Autor musste man immer einen Höhepunkt pro Folge einbauen, auf den die Handlung zusteuerte. Etwas, an das sich die Zuschauer eine Woche später noch erinnerten. Heute kann man eine Serie, die wie ein großer Roman daherkommt, auch so schreiben und konsumieren. Für uns Geschichtenerfinder ist das Überwinden der alten TV-Ästhetik ein Geschenk. In Sachen Kreativität öffnet das viele Türen. Ich würde sagen, es ist fast eine industrielle Revolution für dieses Medium. Mir gefällt das sehr gut, ich mochte schon immer das Risiko. Wissen Sie, so eine Serie kostet einen Haufen Geld. Wenn diese neue Art der Vermarktung nicht funktioniert hätte, puh, dann wären ganz schön die Fetzen geflogen. Jetzt sind alle natürlich sehr froh, dass es funktioniert hat. Es ist völlig anders als alles, was es bisher in der Welt des Fernsehens gab.
    Leimann: Was dachten Sie, als tatsächlich feststand, Kevin Spacey spielt Ihre Hauptfigur?
    Dobbs: Ein Konzept von "House of Cards" ist ja die direkte Ansprache des Zuschauers. Meine Hauptfigur durchbricht die Wand, die normalerweise zwischen Schauspielern und Zuschauern einer Fernsehserie besteht. Die Figur ist unglaublich bösartig. Jeder Zuschauer weiß, er ist ein Mörder und komplett egozentrisch. Mehr Machiavelli geht eigentlich nicht. Trotzdem liebt der Zuschauer diese Situation, in die Verschwörung mit hineingezogen zu werden. Damit das funktioniert, braucht es herausragende Schauspielkunst. Nichts wäre lächerlicher als diese Figur von einem mittelmäßigen Schauspieler spielen zu lassen. In der britischen Serie hatten wir Ian Richardson, jetzt haben wie Kevin Spacey – wow!
    "'House of Cards' ist die derzeit beste Drama-Serie"
    Leimann: Was glauben Sie, wie wird Fernsehen in zehn Jahren aussehen?
    Dobbs: Das ist eine gute Frage - ich denke, es wird sehr viel mehr wie Netflix aussehen, als nach dem Fernsehen, wie wir es heute kennen. Alle Marktforschungen, alle Statistiken weisen darauf hin, dass die Menschen ihre Programme dann sehen wollen, wenn sie es selbst als passend empfinden. Der Einfluss klassischer Programmmacher, die sich überlegen, welche Formate wann gesendet werden - er wird definitiv an Bedeutung verlieren. Trotzdem wird nicht alles kaputt gehen, nur weil wir diese industrielle Revolution des Fernsehens erleben. Man braucht nach wie vor gute Stoffe. Und tolle Schauspieler, Regisseure und andere Kreative, die alles umsetzen. Es spielt doch eigentlich keine Rolle, ob Zuschauer eine Serie wie "House of Cards" nun am Stück sehen oder traditionell Folge für Folge über einen längeren Zeitraum.
    Leimann: Sehen Sie eine Gefahr darin, dass sich die Zahl der Produzenten fiktionaler Stoffen derzeit immer mehr vergrößert?
    Dobbs: Das Schöne an dieser Entwicklung ist: Sie schadet niemandem wirklich. Schlimm wäre es, wenn wir in zehn Jahren eine Million Fernsehsender hätten, deren Programme so interessant wären wie unterschiedliche Tapeten. Stattdessen habe ich aber den Eindruck, dass mit der technischen Entwicklung und der des Marktes auch die Qualität der Stoffe deutlich zunimmt. Konkurrenz belebt das Geschäft. "House of Cards" ist für mich die derzeit beste Drama-Serie weltweit. Aber ich beobachte, dass andere Produzenten uns dicht auf den Fersen sind. Wir erleben gerade ein goldenes Zeitalter des Fernsehens, das ist doch großartig. Ich bin mir sicher, dass die Erfindung von Netflix in zehn Jahren als Meilenstein gefeiert werden wird. Und dass wir ein besseres Fernsehprogramm als heute haben werden ...
    Leimann: Sie haben in Ihrer Karriere viele unterschiedliche Dinge gemacht. Welcher Job hat Sie am meisten elektrisiert?
    Dobbs: Puh, eine schwierige Frage. Natürlich erinnere ich mich an das Jahr 1979. Damals war ich derjenige, der als Erster zu Margaret Thatcher ging, um ihr zu sagen, dass sie die neue Premierministerin ist. Das war sicher ein großer Moment in meinem Leben - historisch betrachtet. Doch wenn Sie mich heute fragen, was ich behalten möchte, wenn ich alles sonst aufgeben müsste, würde ich gerne als Buchautor weitermachen. Es ist die einzige Arbeit, bei der ich alles unter Kontrolle habe: Ideen, Chancen, Risiken. So viel Freiheit erlebte ich nirgendwo sonst. Es ist ein Gefühl, dass mich sehr glücklich macht. Und die Freude am Schreiben wächst, je älter ich werde. Die Arbeit an der US-Version von "House of Cards" macht mich sehr glücklich. Auch wenn es ein bisschen kitschig klingt aus dem Mund eines 65-Jährigen: Ich erlebe gerade die schönste Zeit meines gesamten Berufslebens.