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Corso-Gespräch
Wulff-Film: "Es geht um Interpretation"

Knapp zwei Jahre nach dem Rücktritt des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff zeichnet nun das Doku-Drama "Der Rücktritt" den Fall nach. Der Film halte sich an die Fakten, es gehe aber nicht darum, ein Eins-zu-Eins-Bild zu zeichnen, erklärt der Regisseur Thomas Schadt.

Thomas Schadt im Gespräch mit Cornelius Wüllenkemper | 25.02.2014
    Kai Wiesinger und Anja Kling als Ehepaar Wulff.
    Im Sat1-Dokudrama "Der Rücktritt" spielen Kai Wiesinger den ehemaligen Bundespräsidenten Wulff und Anja Kling die ehemalige First Bettina Wulff. (picture alliance / dpa / Bernd Von Jutrczenka)
    Cornelius Wüllenkemper: Thomas Schadt, vor zwei Jahren ist der damalige Bundespräsident Wulff zurückgetreten. Sie möchten jetzt mit Ihrem Doku-Drama "Der Rücktritt“ unter anderem einen Binnenblick darauf werfen, wie Bettina und Christian Wulff, und natürlich auch ihre Berater die drei Monate vor dem Rücktritt erlebt haben. Wir sollen sehen, was wir vorher nicht gesehen haben, so haben Sie das mal gesagt. Was zeigt uns denn der Film, was nicht schon vorher in der Presse ausgebreitet wurde?
    Thomas Schadt: Also, erstmal muss man sagen: Wir versuchen, das zu zeigen. Das ist so ein bisschen der Unterschied. Das ist ja eine Annäherung an das, was hinter verschlossenen Türen in Bellevue stattgefunden hat. Und das betrifft natürlich nicht nur Christian Wulff und seine Frau, sondern auch seine Berater, die ja auch tragende Rollen spielen in dem Film. Und das Spannende war natürlich, aufgrund der vorhandenen Quellen zu versuchen heraus zu spüren, was strategisch, was psychologisch und auch was emotional da stattgefunden hat.
    Wüllenkemper: Der Film wird ja jetzt sehr zeitnah am vermutlichen Ende des Prozesses gegen Christian Wulff vor dem Landgericht Hannover wegen Vorteilsnahme im Amt ausgestrahlt werden. Haben Sie nie in Erwägung gezogen, für die Fertigstellung des Films das Ende des Prozesses abzuwarten? Wieso kommt dieser Film jetzt doch relativ schnell, nur zwei Jahre nach dem wirklichen Geschehen? Für so Staatsaffären, da braucht es ja oft fünf, zehn, bis zu 25 oder gar 50 Jahre, bis die mal verfilmt werden. Wieso ist das jetzt so schnell gegangen?
    Schadt: Ich komme vom Dokumentarischen und finde das natürlich spannend. Warum soll denn so eine Form nicht in eine öffentliche Diskussion eingreifen, solange der Kuchen noch warm ist? Das ist ja auch nochmal eine andere Möglichkeit, auch filmisch zu erzählen. Wie zehn Jahre später im Rückblick, das kann ja auch noch mal einen spannenden Film geben. Es kann doch beides geben. Uns ging es darum, diesen begrenzten Zeitraum, diese fast zehn Wochen zu nehmen, um die Entwicklung zu erzählen, von einem Vorwurf oder von einer Recherche der Bildzeitung bis hin zum Rücktritt. Was ist passiert? Warum gibt es am Ende dieser Geschichte eigentlich nur Verlierer?
    Wüllenkemper: Am Ende gibt es nur Verlierer – im Mittelpunkt des Films steht ja das Eingeschlossen-Sein der Wulffs im Schloss Bellevue. Wer schließt da wen ein, oder wer hat sich da selbst eingeschlossen? Ist das auch ein Thema, das sie im Film offensiv angehen?
    Schadt: Ich denke, das hat auch was zu tun mit den Filmen, die ich im politischen Umfeld vorher gedreht habe. Ich habe ja zwei Dokumentarfilme über Gerhard Schröder gedreht und auch den Film über Helmut Kohl. Und in gewisser Weise sind Spitzenpolitiker mehr oder weniger alle Eingeschlossene. Weil die Frage des Vertrauens, etwas ganz Existenzielles, wenn überhaupt nur unter sehr sehr wenigen Menschen verhandelt wird. Und man begibt sich, je höher man steigt in der Politik, meiner Überzeugung nach in eine Art von Isolation, wo das Eis dünn wird, und wo es, wenn überhaupt, nur sehr sehr wenige Menschen gibt, - wenn überhaupt - denen man vertrauen kann.
    Wüllenkemper: Wir sehen ja in dem Film nicht nur ein Präsidentenpaar in Schockstarre, sondern wir sehen auch, wie die Medien in Deutschland sehr rabiat und auch rücksichtslos Stimmung machen – so muss man es nennen. Wir sehen auch, wie der Bundespräsident von falschen Beratern oder einfach schlechten Beratern umgeben ist, die sich gegenseitig die Stöcke in die Beine werfen. Inwieweit ist der Film auch ein Sittengemälde der Bundesrepublik Deutschland oder der politischen Kultur im Land?
    Schadt: Naja, es ist für einen Dokumentaristen, der ja eher von der Beobachtung kommt, interessant, alle Seiten zu beleuchten. Deswegen war von vornherein klar: Wir schlagen uns jetzt nicht auf die Seite der Medien oder auf die Seite der Politiker oder der Berater im Schloss. Das war ja gar nicht die Fragestellung. Ich habe das damals sehr ambivalent verfolgt. Ich fand am Anfang die Recherchen sehr hilfreich, und was man da alles rausgefunden hat. Man hat sich gefragt: was geht denn da ab? Und später, fand ich, haben die Medien an einem bestimmten Punkt das Maß auch verloren. Dann ist so etwas entstanden wie so eine Art Hetzjagd, wo man das Gefühl hatte, jeder kann jetzt richten, und wir leben in dieser „gefällt mir – gefällt mir nicht“- Gesellschaft. Das fand ich eben sehr zugespitzt und auch der Sache nicht gerecht werdend. Wobei ich damit jetzt nicht sagen will, dass ich jetzt den Bundespräsidenten oder seine Frau oder die Berater deswegen in Schutz zu nehmen habe. Die haben ja eine Eigenverantwortung für das, was sie tun, für ihr Handeln. Da stehen sich sozusagen zwei Dinge gegenüber, die es gilt, auch beide entsprechend differenziert zu behandeln.
    Wüllenkemper: Der Produzent von „Der Rücktritt“, Nico Hoffmann, hat ja schon gesagt, er habe noch nie einen Film produziert mit einem so großen juristischen Risiko. Ihnen wurde ja die Verwendung des Materials aus dem Buch von Bettina Wulff untersagt. Die Büroleiterin setzte durch, dass ihr Name nicht genannt wird. Sie haben wirklich viele Persönlichkeitsrechte zu beachten gehabt und haben sich da sicher auch auf dünnem Eis bewegt. Haben Sie je daran gezweifelt, ob sie unter diesen doch ziemlich schwierigen Bedingungen überhaupt das Drehbuch schreiben können?
    Schadt: Nee, das hat sich eigentlich nicht gestellt. Also, erstens war die Quellenausgangslage doch sehr reichhaltig – wenn man sich nur mal das holt, was es schriftlich so alles gibt. Und mit Jan Fleischhauer hatte ich einfach auch einen guten Partner. Er hat wirklich unglaublich gute Hintergrundrecherchen betrieben. Wir haben mit vielen Leuten geredet. Und selbst unter der anwaltlichen Beratung, was man dann letzten Endes machen kann und was nicht, war einfach genügend Stoff da, um auf die Idee zu kommen und zu sagen: Wir lassen das. Im Gegenteil!
    Wüllenkemper: Kai Wiesinger und Anja Kling geben ein sehr überzeugendes Präsidentenpaar ab, finde ich. Es gibt viele detaillierte Nahaufnahmen, Sie gehen sehr nah ran, schauen in die Gesichter und versuchen so, Gefühle zu transportieren. Wie schreibt man solche Szenen mit allem Respekt, die ja wahrscheinlich auch ein Filmemacher dem Amt des Bundespräsidenten entgegenbringt? Ist es schwierig, da den richtigen Punkt zu treffen?
    Schadt: Naja, das sind Zwischentöne, die man nicht unbedingt aufschreiben kann. Das ist dann schon eher die Frage der Inszenierung. Da ist der Regisseur dann stärker gefragt als der Autor. Ich muss natürlich mit meinen Schauspielern versuchen, eine Haltung zu erarbeiten, wie wir uns diesen realen Persönlichkeiten und Personen nähern. Uns war immer klar: Es geht nicht ums Nachahmen. Wir wollen kein Eins-zu-Eins-Bild. Es geht um Interpretation. Es geht auch darum, dass die Schauspieler sich nicht verleugnen. Ich will immer Kai Wiesinger sehen als Christian Wulff. Und das, finde ich, hat er ganz ganz toll gemacht. Es ist dann schon die Frage eben am Set, wie wir versuchen, das emotional aufzuladen, was als Dialog aufgeschrieben ist.
    Wüllenkemper: Sie haben ja immer wieder gesagt, und ich finde, das kommt im Film auch ganz gut raus, dass sie keine Erzählung darstellen wollen, die in gut oder böse endet. Sie haben vermieden, das Geschehen überhaupt zu bewerten. Welche Fragen soll sich denn der Zuschauer idealweise nach dem Film stellen, die er sich vorher noch nicht gestellt hat?
    Schadt: Jeder hat ja seine Erinnerung an das Ereignis. Und ich lese ja auch mal ganz gerne so Blogs, die ja jetzt zu lesen sind im Internet aufgrund von Artikeln, jeder kann da ja seine Meinung abgeben. Da ist überraschend immer noch unheimlich viel Häme auch ganz grundsätzlich gegen Politiker. Die politische Klasse hat nicht viel Kredit beim Volk. Das hat sicherlich auch seine Rechtfertigung. Für denjenigen, der tiefer in die Materie eintaucht, muss gelten, dass das nicht der Motor sein kann. Was ich schon gesagt habe: Wir brauchen eine kritische Distanz, wir müssen differenziert recherchieren. Wir müssen auch gegen unsere Vorurteile arbeiten, wir müssen uns überraschen lassen. Es gibt immer diesen Drang, dass eine Wertung stattfinden muss. Also diese – was ich vorhin schon meinte – dieser Daumen rauf, Daumen runter, das berühmte Ding, was man überall findet, „gefällt mir – gefällt mir nicht“, das ist meiner Meinung nach verheerend.