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Corsogespräch
"Als Künstlerin beziehe ich Stellung"

Yasmine Hamdan hat sich mit der Band "Soapkills" einen Namen als Ikone des Beiruter Undergrounds gemacht, jetzt spielt sie in Jim Jarmuschs neuem Film "Only Lovers Left Alive", der ab 25. Dezember in den Kinos zu sehen ist.

Yasmine Hamdan im Gespräch mit Marlene Küster |
    Marlene Küster: Wo sind Sie aufgewachsen?
    Yasmine Hamdan: Die ersten 15 Jahre meines Lebens habe ich im Mittleren Osten zwischen Beirut, Kuwait, Abu Dhabi, der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate und Griechenland verbracht. Dieser 15 Jahre andauernde Bürgerkrieg war nicht von ununterbrochenen Kampfhandlungen geprägt. So bin ich immer wieder mal mit meiner Familie nach Beirut gekommen, verweilte dort und wurde durch die äußeren Umstände wieder gezwungen aufzubrechen. Ich bin also wie eine Nomadin ständig zwischen den verschiedenen arabischen Ländern gependelt. Als der Bürgerkrieg Ende der neunziger Jahre beendet war, sind wir nach Beirut zurückgekehrt.
    Küster: Wie ist das Leben heute in der libanesischen Hauptstadt?
    Hamdan: Das Leben in Beirut ändert sich von Tag zu Tag – Schlag auf Schlag, rapide. Denn die Libanesen sind davon besessen, so schnell wie möglich zu vergessen, dass es einen Krieg und Konflikte gab. Einerseits geht von dieser Stadt eine unglaubliche, positive und konstruktive Energie aus: Jeden Tag entsteht ein neues Gebäude, eine neue Straße. Jeden Tag eröffnet ein neuer Laden. Andererseits ruht diese Stadt auf sehr wackeligem Boden, der jederzeit einzubrechen droht. Beirut ist sehr fragil und hat etwas Selbstzerstörerisches. Ich habe auch ein gespaltenes Verhältnis zu Beirut: Ich liebe diese Stadt. Ich lebe nun seit einigen Jahren in Paris, und wenn ich nach Beirut fahre, finde ich dort immer Inspirationen. Doch ich frage mich, warum gibt es kein Ende der seit Jahrzehnten andauernden Konflikte? Warum ist keine Lösung in Sicht? Im Libanon gab es immer Mini-Kriege, Unruhen und Konflikte. Die Lage ist nicht stabil. Gerade im Moment ist die politische Situation durch die Ereignisse in Syrien erneut sehr angespannt. Aber die Libanesen bauen weiter, die Wirtschaft floriert, so als gäbe es gar keine Probleme.
    Küster: Wann haben Sie angefangen, Musik zu machen?
    Hamdan: Ich war noch in der Schule, als ich mich mit Zaid Hamdan - wir sind nicht verwandt - zusammengetan und die Band "Soapkills" in Beirut gegründet habe. Es war in der Wiederaufbauphase. Die Stadt war ziemlich zerstört. Es gab immer wieder Stromausfälle und nur eine Bar im Zentrum. Wir waren in der Untergrundszene Beiruts, suchten nach Orten für unsere spontanen Konzerte und Happenings. Unter diesen Bedingungen hab ich angefangen zu singen, erst auf Englisch, dann aber auch auf Arabisch. Als ich begann, Lieder zu schreiben und zu komponieren, habe ich mich immer mehr mit der arabischen Musik beschäftigt. Besonders die traditionellen arabischen Songs hatten es mir angetan. Ich hielt Ausschau nach diesen Klängen, durchstreifte Läden in Beirut, kaufte Kassetten in Damaskus. Inzwischen ist eine richtige Sammlung dieser Musik entstanden, die ich weiter vervollständige. Von Anfang an habe ich diese traditionellen Lieder auf meine Art und Weise gesungen.
    Mein Partner Zaid hatte sich eine Groovebox, eine Mischung aus Sampler und Synthesizer, angeschafft und spielte damit elektronische Musik und Trip-Hop. Wir hörten damals Portishead und PJ Harvey. Unser Sound war ziemlich schräg, wir kreierten mit Trip-Hop, elektronischen Rhythmen und traditionellen arabischen Klängen ein neues Genre. Wir wollten die Gesetze und Normen der arabischen Musik durchbrechen und waren offen für eine abenteuerliche Reise ins Ungewisse.
    Küster: Waren Sie da Vorreiter für die libanesische Musikszene?
    Hamdan: Ja, irgendwie waren wir schon Pioniere und haben damals den Weg für eine neue alternative Musikszene im „Underground“ der arabischen Welt geebnet. Ohne irgendwelche Pausen machten wir die Aufnahme unseres ersten Albums. Wir konnten den Computer noch nicht richtig bedienen, also lief die Aufnahme weiter, als ich zur Toilette ging. In dieser Aufzeichnung ist im Hintergrund die Wasserspülung zu hören. Viele Künstler, Filmregisseure unterstützen uns, es gab aber auch kritische Stimmen. Wir konnten uns behaupten und durchsetzen. „Soapkills“ war gerade in der dynamischen Nachkriegsphase von Beirut eine wichtige Gruppe und ist immer noch Vorbild für viele junge Musiker.
    Küster: Wie sind Sie vorgegangen, als Sie ihr aktuelles Solodebüt "Ya Nass“ gemacht haben?
    Hamdan: Für dieses Album habe ich viel recherchiert. Eigentlich schränke ich mich da nicht ein. Ich suche Inspirationen von überallher. Hier kamen die Anregungen natürlich aus dem Libanon, aber auch aus Indien, Sudan und Pakistan. Die Lieder auf diesem Album sind eher traditionell und akustisch, hie und da fließen elektronische Sounds ein. "Ya Nass" ist ein Aufruf: "Hey Leute!" Es gibt leider keine regionalen oder nationalen musikalischen Bibliotheken in der arabischen Welt. Deshalb begebe ich mich selbst auf die Suche. Das ist auch eine Suche nach meinen Wurzeln. Ich will herausfinden, woher ich komme, wer ich bin. Ich will mehr über meine Kultur erfahren, daraus etwas Modernes machen und meinen Platz in diesem kulturellen Raum zu finden. Ich bin Kosmopolitin und lege mich nicht auf ein Land oder eine bestimmte Zeit fest. Ich will verschiedene Türen öffnen und Risiken eingehen. Wenn ich meine Lieder schreibe, kommt es vor, dass mir ein Lied zu klassisch ist, dann greife ich auf Pop-Elemente zurück. Ich bin da sehr offen und habe das Gefühl, dass ich wie ein Bildhauer ein Lied nach dem anderen für das Album modelliert habe.
    Küster: Ist es wichtig für Sie, Position zu ergreifen, Einfluss auf das Zeitgeschehen zu nehmen?
    Hamdan: Natürlich beziehe ich als Künstlerin Stellung und gehe ein Risiko ein. Ich schreibe Lieder, die mit mir als freie emanzipierte Frau zu tun haben. Als Künstlerin beziehe ich Stellung in der arabischen Welt. Meiner Meinung ist das die Aufgabe aller arabischen Künstlerinnen. Im Augenblick steckt die arabische Welt in einer schwierigen Phase – zumindest in vielen Teilen ist die Lage derzeit sehr angespannt. Ich halte nicht viel vom Begriff „arabischer Frühling“. Das ist meiner Meinung nach eine Kreation der Medien. Man muss da viel mehr differenzieren. Denn in jedem arabischen Land ist die Ausgangssituation anders und jedes Land hat diesen sogenannten Frühling anders erlebt. Es ist einfach noch zu früh, um konkrete Aussagen zu machen. Diese Demonstrationen waren äußerst wichtig. Die jungen Leute mussten ihren Unmut zeigen, auf die Straße gehen und die Stimme erheben. Die Zeit war überreif und die Situation lähmend. Doch es gibt noch so viel zu lernen. Es muss eine solide Basis für Grund- und Menschenrechte und die Rechte der Frauen geschaffen werden. Der Kampf muss weitergehen.
    Küster: Bald sind Sie im Kino zu sehen? Wie hat sich das ergeben?
    Hamdan: Ich habe das Stück "Hal" für den Film "Only Lovers Left Alive" von Jim Jarmusch geschrieben. Ich bin ihm vor drei Jahren auf einem Musikfestival in Marrakesch begegnet. Ich hatte dort einen Auftritt. Nach dem Konzert kam er zu mir und meinte, er sei gerade dabei, einen neuen Film zu machen und plane eine Szene mit mir ein. Zweieinhalb Jahre später erhielt ich das Drehbuch und so ist das Lied "Hal" dafür entstanden. In dem Film spiele ich mich selbst und singe das komplette Lied. Und dieses Stück ist nun auf diesem aktuellen Album wiederzufinden. Ich wollte einen dichten Sound mit Gitarrenklängen, Synthesizer und Perkussion und einen Touch von Gnawa-Rhythmen aufnehmen. Es geht um eine Frau, die der Liebe vollkommen verfallen ist. Sie teilt ihre Gefühle mit und hat damit zu kämpfen, dass sie von ihrem Partner getrennt ist.
    Küster: Vielen Dank fürs Gespräch.
    Hamdan: Ich danke Ihnen auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.