Archiv

Corsogespräch
"Lou Reeds Alben haben einen roten Faden"

Das Leben des New Yorker Musikers Lou Reed verbindet die Entstehung einer Undergroundkultur in den 1960er-Jahren mit der Kunstszene der späten 2000er. Zu seinem Todestag, am 27.10.13 vor einem Jahr, erscheint eine aktualisierte Version der von ihm persönlich autorisierten Biografie "Transformer". Die Biografie wurde von dem Journalisten, Punk- und New-Wave-Urgestein Victor Bockris verfasst, der ein richtiges Original und wichtigster Chronist der New Yorker Undergroundszene ist.

Victor Bockris im Gespräch mit Thomas Elbern |
    Der US-Rock-Star und Fotograf Lou Reed präsentiert sein Buch "Rhymes" auf einer Pressekonferenz am 14. November 2012 in Paris.
    Der Musiker Lou Reed ist vor einem Jahr am 27.10.2013 gestorben (afp / Eric Feferberg)
    Thomas Elbern: Lou Reed zu interviewen galt in Kritikerkreisen immer als Mutprobe, da er unglaublich schnell eingeschnappt war und ziemlich schnell unangenehm werden konnte.
    Wie sind sie mit ihm ausgekommen?
    Victor Bockris: Ich habe Lou das erste Mal 1974 interviewt, als sein Album "Rock'n Roll Animal" erschien, das damals gerade ein besonders böses Image von ihm widerspiegelte. Er hat mich in meinem Apartment in New York besucht und nach fünf Minuten entstand sofort eine tolle angenehme Atmosphäre und ich habe ihn als unglaublich netten Menschen kennengelernt.....intelligent und sehr poetisch. Ich hatte also nie Probleme mit ihm, und aus dem Ganzen wurde über die Jahre so etwas wie eine Freundschaft.
    Lou war seiner Zeit voraus
    Elbern: War Lou Reed in ihren Augen als Musiker und Künstler seiner Zeit voraus?
    Bockris: Ja, ich glaube, dass Lou als Künstler, Songschreiber und Sänger seiner Zeit voraus war. Er hat es geschafft, Rockmusik als Kunstform salonfähig zu machen und auf ein neues Level zu bringen. Eigentlich war Lou ein Schriftsteller, der die Kurzgeschichte schon zu Collegezeiten als seine Ausdrucksform entdeckt hatte. Also wenn ein Song 2,40 Minuten lang ist und man darin auch noch eine Kurzgeschichte unterbringen kann, dann erreicht man ein größeres Publikum. Er hat dieses Konzept bei all seinen Alben verwendet, die wiederum verschiedene Phasen in Lous Leben repräsentieren. Diese Alben sind Kunst, das Werk eines amerikanischen Meisters. Er war mit "Velvet Underground" schon seiner Zeit voraus, und im Laufe seiner weiteren Karriere hat er den Glamrock, Punk und Noise miterfunden. Lou sagte allerdings einmal, es ist keinen Dollar wert, wenn man zur Avantgarde gehört. Niemand bezahlt dich dafür, dass du deiner Zeit voraus bist. Lou war immer sehr im Jetzt, seine Musik reflektiert das sehr stark.
    Elbern: Sie haben auch mit John Cale, einem der anderen Mitglieder von "The Velvet Underground", an dessen Biografie gearbeitet. Dort beschreibt Cale seine schwierige Beziehung zu Reed. Wie war ihr Eindruck von beiden ?
    Bockris: John Cale hat diese Geschichte erzählt, die passierte, als er in den letzten Monaten vor Lou Reeds Tod noch mit ihm an einer speziellen Edition des Velvet Underground Albums "White Light, White Heat" gearbeitet hat. Er erzählte, wie viel Spaß sie dabei hatten und wie bewegt sie waren, als sie den Originalbändern gelauscht haben. Eigentlich haben sich die Beiden schon fast geliebt. Was man auf dem Albumcover sah, war immer diese Angst und Frustration, aber eigentlich muss da so etwas wie Liebe gewesen sein, wenn man die Beiden zusammen spielen hört.
    "The Velvet Underground"-Alben waren sein Roman
    Elbern: Wie war ihr Eindruck vom späteren drogenfreien Lou Reed, der jeden Morgen Tai Chi praktizierte. War das die gleiche Person wie in den 1960ern und 1970ern ?
    Bockris: Das war exakt die gleiche Person, bis auf die Tatsache, dass er nun viel ruhiger war und mehr auf Kontinuität aus war als früher. Eine sehr interessante Sache, die Lou über Jahre immer wieder gesagt hat, war: Wenn man all seine Alben, von "The Velvet Underground" bis zum Ende in chronologischer Reihenfolge höre, dann sei das sein Roman. Jemand sollte das mal tun und diesen Roman schreiben. Es gibt einen roten Faden, der sich durch alle Alben von Lou zieht. Nehmen Sie den Song "I'll be your mirror", den sich Lou in den 1960ern für Nico aus dem Herz geschnitten hat und dann viele Jahre später als Heiratsantrag für Laurie Anderson gespielt hat. Obwohl da viele Jahre zwischen liegen, es ist die gleiche Schönheit und Sensibilität, die in diesem Song erhalten geblieben ist.
    Alben wie "The Raven" und "Lulu" sind Kunstwerke
    Elbern: Es gibt einen sehr emotionalen Artikel, den Laurie Anderson, die Ehefrau von Lou Reed, über die letzten Tage in Lous Leben in ihrem Ferienhaus in Long Island geschrieben hat. Sie beschreibt darin, dass Lou während seiner Tai-Chi-Übung gestorben ist. Wie war Ihr Eindruck von dieser unglaublichen Beziehung, die diese beiden Künstler verband?
    Bockris: Ich war extrem erstaunt, was mit Lou in seinen letzten zehn Jahren passierte. Die beiden Seiten seiner Persönlichkeit waren vereint und er wirkte unglaublich geerdet durch diese wundervolle Beziehung und Zusammenarbeit mit Laurie Anderson. Diese Liebe zu Laurie brachte all seine Stärken zum Vorschein. Er konnte sich immer noch, wenn er wollte, seine Angst als kreativen Input nutzen. Lou hat in diesen Jahren eine Metamorphose von einem Rockstar zu einem Künstler vollzogen. Alben wie "The Raven" und "Lulu" sind Kunstwerke. Es war fantastisch, zu sehen, wie die Beiden sich gegenseitig inspiriert haben. Und dabei waren Lou und auch Laurie viel unterwegs. Mich hat es wirklich froh gemacht zu sehen, wie glücklich Lou in seinen letzten Jahren war.
    Elbern: Sie sind so etwas wie ein Chronist der New Yorker Underground- und Kunstszene. Welche Rolle hat Lou Reed hier in ihren Augen gespielt?
    Bockris: Man kann es nicht oft genug betonen, welchen Einfluss Laurie auf Lou hatte. Laurie Anderson war eh schon in der New Yorker Kunstwelt etabliert. Doch zusammen wurden sie so etwas wie König und Königin der Undergroundszene. Um 2000 herum orientierten sich in New York Kritiker, Sammler und Kunstinteressierte daran, welche Ausstellungen von Lou und Laurie besucht wurden. Und die Beiden waren oft in der Kunstszene unterwegs und hatten einen großen Einfluss darauf, dass der Geist einer Gegenkultur immer präsent war und erhalten blieb.
    Lou Reeds Album mit Metallica
    Elbern: Welchen Stellenwert würden Sie Reeds Werk ab 2000 einräumen, also dem aktualisierten Teil ihrer Biografie ?
    Bockris: Das was Lou Reed von 2000 an produziert hat, gehört in meinen Augen zu seinen besten Arbeiten. Nehmen sie ein Album wie "Ecstasy", das sich wie eine Liebeserklärung an Laurie anhört. Oder "The Raven", wo er all diese verschiedenen Musiker und Schauspieler zusammenbrachte und sich thematisch alles um die Kurzgeschichten von Edgar Allen Poe dreht. Doch für besonders wichtig halte ich das: Lou Reed steht kurz vor seinem 70. Geburtstag. Er hat seit Jahren nichts herausgebracht und auf einmal im Jahr 2011 kommt es zu dieser unglaublichen Zusammenarbeit mit "Metallica". In elf Tagen nehmen sie das komplette Album auf und Lou überzeugt die auf Perfektion getrimmte Band, die spontanen Sessions zu behalten und zu verwenden.
    Elbern: Als Biograf, der über William Burroughs, "Velvet Underground" und die New Yorker Punkszene geschrieben hat, haben Sie bei Ihren Lesern unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. Ich habe einige deutliche Kommentare im Internet über ihr Buch "Transformer" gelesen. Einige Leser beschweren sich über ihre eindimensionale Sichtweise Reed gegenüber, andere finden ihre Biografie erleuchtend. Wenn man über Leute wie Lou Reed schreibt, ist es da eigentlich möglich, nicht zu polarisieren?
    Bockris: Wenn sie Bücher über Künstler schreiben, die die Welt polarisieren, wie ist es da möglich, es allen Recht zu machen? Wenn sie akkurat bleiben, werden auch sie polarisieren.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.