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"Course Camarguaise"
Mensch und Stier

Kaum ein Sport ist umstrittener als der Stierkampf. Auch in Südfrankreich laufen jedes Jahr Hunderte Kämpfe - aber bei der "Course Camarguaise" endet das Spektakel für den Stier nicht mit dem Tod. Eine Reportage aus den Katakomben der Arena von Arles.

Von Jörg-Christian Schillmöller |
    Unter Tage: In den Katakomben der Arena von Arles warten die Stiere auf den Kampf
    Unter Tage: In den Katakomben der Arena von Arles warten die Stiere auf den Kampf (Dirk Gebhardt)
    Wenn die Glocke erklingt, hört der Spaß auf. Vor unseren Füßen liegt ein schmaler Gang, auf den wir aus sicherer Höhe hinabschauen. Wir sind unter Tage, in den Kellergewölben der Arena von Arles.
    Und da kommen sie, die schwarzen Stiere der Camargue, allen voran der Leitstier, der Simbèu, wie er auf Provenzalisch heißt. Er trägt die Glocke, und ihm folgen die anderen - von der Weide in den Lkw und dann in die Arena.
    Die Holztore knallen, die Tiere werden in ihre Ställe bugsiert. Wir dürfen kurz durch eine Luke von oben hineinschauen. Der Stier schaut zurück. Aufpassen, die springen ziemlich hoch, sagt Gérald Rado. Er unterrichtet Stierkampf in Arles.
    "Im Rhône-Delta von Montpellier bis Marseille gibt es fast 900 Rennen in der Saison, das geht von März bis November, und auch viele Dörfer haben Arenen und veranstalten die Course Camarguaise."
    Historische Tunnel: Hier kamen schon die römischen Gladiatoren durch
    Historische Tunnel: Hier kamen schon die römischen Gladiatoren durch (Dirk Gebhardt)
    Die Course Camarguaise unterscheidet sich von der blutigen Corrida. Bei der Course stehen sich ein gutes Dutzend Raseteure, einige Tourneure und der Stier gegenüber. Die Tourneure lenken den Stier ab, und die Raseteure müssen ihm kleine Trophäen von den Hörnern reißen: Bänder, Pompons, Schleifen. Gérald Rado:
    "Wenn der Stier seine Trophäen eine Viertelstunde lang verteidigt: dann ist das ein guter Stier. Dann hatte er eine Strategie, die wir nicht knacken konnten."
    Nicht der Mensch ist der Star
    Die Stiere kommen aus der Manade, dem Gutshof. Davon gibt es Dutzende in der Camargue. Heute sind Stiere von Guy Allard im Rennen. Er ist seit 40 Jahren Manadier und vermietet seine Tiere an die Arenen. Für ihn ist bei der Course Camarguaise nicht der Mensch der Star:
    "Ein bekannter Stier kämpft sechs, sieben Mal pro Saison. Das macht er, bis er 15 ist. Und die Veranstalter wissen genau, welchen Stier sie wollen und was der für einen Ruf hat."
    Es ist 17 Uhr, in einer halben Stunde beginnt der Wettkampf. Auf der anderen Seite der Arena, ebenfalls unter Tage, liegt die kleine Krankenstation mit eigenem OP. Und hier liegt auch die Umkleidekabine. Heute kämpfen nicht die Profis, sondern die Schüler, also werden die Hörner der Stiere eingepackt, damit sie stumpf sind. Charlie trainiert seit einem Jahr:
    Die "Raseteure" warten in der Arena von Arles auf ihren Wettkampf mit dem Stier
    Die "Raseteure" warten in der Arena von Arles auf ihren Wettkampf mit dem Stier (Dirk Gebhardt)
    "Wir ziehen Schienbeinschoner an und umwickeln unsere Finger. In der Hand halten wir den Crochet, eine kleine Kralle aus Metall, mit der wir die Trophäen von den Hörnern herunterbekommen."
    Zeit für das Aufwärmen. Ein historischer Augenblick, denn dieser Tunnel aus Stein ist uralt: Genau hier, auf diesem Sandboden, durch diesen Tunnel kamen in der Antike die römischen Gladiatoren herein.
    Die Gladiatoren von heute tragen Turnschuhe, weiße Hose und weißes Shirt, auf dem Rücken ihre Nachnamen: Roustain, Delgado, Martin, Zelphati, Bressy, Balti.
    Der Kampf beginnt. Der erste Stier prescht aus den Stallungen. Er tänzelt, scharrt mit dem Huf und bekommt eine Minute Zeit, um sich zurechtzufinden. Dann treten die Tourneure in Aktion. Sie ziehen die Aufmerksamkeit des Stieres mit Rufen und Gesten auf sich, damit die Raseteure sich formieren und angreifen können.
    Stierkampf in Arles: "Ein guter Stier macht das, bis er 15 Jahre alt ist."
    Stierkampf in Arles: "Ein guter Stier macht das, bis er 15 Jahre alt ist." (Dirk Gebhardt)
    Immer wieder meldet sich der Stadionsprecher: Er gibt durch, wenn das Preisgeld für eine Trophäe erhöht wird. Bei großen Wettkämpfen, wenn alle 11.000 Plätze belegt sind, geht es um einige tausend Euro. Für die Schüler sind es heute nur kleine Summen. Die Sponsoren sind aus der Region: Hotels, Restaurants, Versicherungen, Autofirmen.
    Die Stierkampfgegner lehnen auch die "Course Camarguaise" ab
    Vor allem der zweite Stier hat es in sich, immer wieder springt er über die rote Barrikade und landet in der "Contrepiste", dem Umlauf zwischen Arena und Publikum. In diesen Momenten versteht man, warum Stierkampfgegner wie das "Comité Radicalement Anti-Corrida" auch diese Variante ablehnen. Der Stier muss für die Belustigung der Menschen herhalten und kann sich dabei fast alle Knochen brechen. Und, sagen die Gegner, die Veranstalter distanzieren sich nicht klar genug von der tödlichen Corrida - die gibt es in Arles nämlich auch.
    Sprung in Sicherheit: Ein "Raseteur" auf der Flucht vor dem Stier
    Sprung in Sicherheit: Ein "Raseteur" auf der Flucht vor dem Stier (Dirk Gebhardt)
    Sechs Stiere, sechs mal fünfzehn Minuten, die Raseteure pflücken die Trophäen von den Hörnern, das Publikum geht mit, die Stimmung ist gut: Es ist Stierkampfsaison in Arles. Allein, es ist eine sehr männliche Saison.
    Frauen? Eines Tages vielleicht.
    Gérald Rado: "Es gibt keine Frauen. Eines Tages wird es eine geben, und das wäre schön. Man sagt, wir sind Machos, aber nein. Es ist eben dieses Physische, also es wäre eben sicher nicht einfach für die Frauen."
    Wie körperlich die Course Camarguaise sein kann, hat Gérald Rado selbst erlebt: Einmal hat ihn der Stier von unten durch die Lende aufgespießt, 30 Zentimeter tief. Gérald hatte großes Glück: Nach 18 Tagen, sagt er, stand ich wieder in der Arena. 18 Tage? Er lacht und sagt: Wir sind eben alle verrückt.