Schon lange bevor die ersten Notzulassungen für Impfstoffe gegen das Coronavirus erteilt worden waren, sicherten sich viele reiche Länder Hunderte Millionen Dosen potenzieller Vakzine von verschiedenen Herstellern. Entwicklungs- und Schwellenländern drohte das Nachsehen. Um das zu verhindern und weltweit einen gerechten Zugang zu den Vakzinen zu ermöglichen, gründeten im April 2020 die Weltgesundheitsorganisation WHO, die Globale Impf-Allianz GAVI und die Coalition for Epidemic Preparedness CEPI die Impfstoffplattform Covax.
Die Idee war bestechend einfach: Alle Staaten der Welt sollten in einen gemeinsamen Fonds einzahlen. Mit diesem Geld sollte dann gebündelt Impfstoff für alle eingekauft werden. Dieser Plan aber ging nicht auf, weil reiche Staaten lieber bilaterale Verträge schlossen.
Covax ist eine Einkaufsgemeinschaft für Impfstoffe, an der sich mehr als 190 Nationen und Territorien beteiligen. Das Besondere: Reiche Länder treten Covax bei und zahlen für ärmere Länder mit.
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Rachel Silverman, Analystin vom US-amerikanischen Think-Tank Center for Global Development, sagte im Dezember 2020: "Covax besteht aus zwei Elementen. Da sind zum einen die allerärmsten Länder, die grundsätzlich kostenlose oder subventionierte Impfstoffe erhalten sollen. Dann gibt es Länder, die für den Zugang zu dem Covax-Vakzinportfolio zahlen. Außerdem nimmt Covax Spenden an. Allerdings sind die nicht so hoch wie erhofft, sodass sie für die Ambitionen derzeit jedenfalls noch nicht reichen."
Gemeinsam sollen bis Ende dieses Jahres mindestens zwei Milliarden Impfstoffdosen verteilt werden, so das Ziel der Initiative. Damit sollen weltweit als erstes das medizinische Personal und im nächsten Schritt die gefährdeten Gruppen geschützt werden. Maßgebliche Spender sind unter anderem die USA, die EU und aus dieser insbesondere auch Deutschland. Insgesamt liegt der Bedarf an Impfstoffdosen, um 70 Prozent der Weltbevölkerung zu impfen, laut WHO bei elf Milliarden Dosen.
Die Gruppe der sieben führenden Industriestaaten G7 will ärmeren Staaten mit einer Milliarde Impfdosen gegen das Coronavirus helfen. Das ist ein Ergebnis des G7-Gipfels im südenglischen Cornwall vom 11. Juni. Nach Angaben der britischen Regierung soll das sowohl durch Verteilung als auch durch Finanzierung von Impfstoff möglich werden.
Die US-Regierung hatte schon vor dem Treffen eine Spende von 500 Millionen Impfdosen an ärmere Staaten der Welt zugesagt. Nach Angaben des Weißen Hauses sollen die Dosen des Impfstoffs von Pfizer/Biontech an 92 Länder mit niedrigem und niedrigem mittleren Einkommen verteilt werden sowie an die Afrikanische Union. 200 Millionen Dosen sollen demnach zwischen August und Ende des Jahres geliefert werden, die übrigen 300 Millionen bis Juni 2022.
Wie viel Deutschland zur Spende von einer Milliarde Impfdosen beitragen könnte, blieb zunächst offen. Angesichts nicht völlig klarer Liefermengen für Juli, August und September könne sie keine Verpflichtung für noch nicht gelieferte Mengen eingehen, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Im Mai hatte sie noch angekündigt, bis Jahresende 30 Millionen Dosen an Covax spenden zu wollen. Gleichzeitig verwies sie darauf, dass Deutschland das Programm auch mit mehr als einer Milliarde Euro finanziell unterstützen werde. Dieses Geld könnte für die Milliarden-Spende der G7 in Impfdosen umgerechnet werden.
Alle Beteiligten der Covax-Initiative haben betont: Die Welt ist erst sicher vor SARS-CoV-2, wenn die Impfungen überall greifen. Denn Mutanten können vor allem dort entstehen, wo der Impfschutz fehlt, wie zum Beispiel in Indien.
"Die Pandemie ist weltweit und sie macht vor Grenzen keinen Halt. Deswegen ist es in unser aller Interesse, dieses Virus weltweit auch effektiv zu bekämpfen", sagte Caritas-Präsident Peter Neher im Dlf. Daher müsse man auch weltweit für den Aufbau der Gesundheitsversorgung sorgen und Länder des globalen Südens dabei unterstützen, selbst Impfstoffe zu entwickeln – "jetzt schon, nicht erst bei der nächsten Pandemie".
Dessen ungeachtet kommt die Entwicklungshilfeorganisation ONE in einer Untersuchung der Impfverträge zu dem Schluss, dass derzeit kein einziges Land und kein einziger Hersteller eine global gerechte Verteilung von Impfstoffen priorisiert.
Das könne den Westen auch wirtschaftlich noch teuer zu stehen kommen. Denn die global vernetzte Wirtschaft der Industrieländer ist für die Auswirkungen der Pandemie im Rest der Welt besonders anfällig. Aber klar ist auch: Um wirklich zwei Milliarden Impfdosen bis Ende des Jahres ausliefern zu können, muss sich sehr schnell noch mehr bewegen.
Bruce Aylward ist WHO-Koordinator für das Programm ACT Accelerator, das Corona-Impfstoffe, Diagnostika und Tests fördert. Weltweit seien bislang rund zwei Milliarden Impfstoffdosen eingesetzt worden, 75 Prozent davon in nur zehn Ländern, sagte Aylward Anfang Juni in Genf. Der Impf-Arm des ACT Accelerators, Covax, habe bislang 80 Millionen Dosen ausgeliefert, überwiegend an Länder mit niedrigen und mittleren Einkommen.
Aylward: "Ganze drei Länder, China, die USA und Indien, haben 60 Prozent aller Impfdosen verbraucht. Auf der anderen Seite stehen die ärmsten Länder, in denen jeder zehnte Erdenbürger lebt. Sie haben nicht einmal ein halbes Prozent der verfügbaren Impfdosen erhalten."
Laut Elisabeth Massute von Ärzte ohne Grenzen hat die Covax-Initiative bisher nur rund ein Drittel der geplanten Impfstoffdosen verteilen können. Sie kritisiert eine Kluft zwischen den Zusagen der Länder und einer Umsetzung der weltweiten Impfinitiative. Es sei besorgniserregend, dass lediglich 1,3 statt 3 Prozent der Menschen in 140 Ländern über Covax beliefert werden könnten. Das Ziel von Covax sei eigentlich gewesen, ein globaler Einkaufs- und Verteilungsmechanismus zu sein - "es war kein Mechanismus, der gedacht war rein für ärmere Länder", so Massute. "Dann wurde das Ganze ja aber schon unterminiert dadurch, dass eben Länder wie die USA, Großbritannien, aber auch die EU und andere parallel bilaterale Abkommen geschlossen haben und den Markt quasi leer gekauft haben."
In vielen der mehr als 70 Einsatzländer von Ärzte ohne Grenzen konnte noch nicht einmal das Gesundheitspersonal gegen Covid-19 geimpft werden, geschweige denn die Risikogruppen.
Gerecht verteilt hätten die zwei Milliarden Impfdosen nach Angaben der WHO ausgereicht, um weltweit das gesamte medizinische Personal und alle älteren Menschen impfen zu lassen. Doch die Rechnung der WHO ist längst gescheitert.
Ende Mai musste WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus sogar das globale Impfziel nach unten korrigieren. Bis September sollen jetzt nur 10, bis Ende des Jahres 30 Prozent der Weltbevölkerung geimpft sein. Doch selbst dafür brauche es bis September zusätzliche 250 Millionen Impfdosen, rechnete WHO-Chef Tedros vor. "Und wir brauchen Hunderte Millionen von Dosen allein im Juni und Juli." Mit jeder Woche, die vergeht, wachse die Kluft zwischen reichen und armen Ländern, warnt WHO-Chef Tedros.
China und Russland haben bereits damit begonnen, die Impfstoffknappheit machtpolitisch zu instrumentralisieren. In der Ukraine wird seit Ende Mai in "Zentren für Massenimpfungen" der chinesische Impfstoff Sinovac angeboten - auch als Reaktion auf stockende Lieferungen aus dem Covax-Programm. Der belarusische Machthaber Alexander Lukaschenko hat angekündigt, hinter der ukrainisch-belarusischen Grenze Zelte mit Impfstationen aufzustellen. Dort sollen Ukrainer "Sputnik V" bekommen können.
Chinesische Vakzine sind bisher auch in mehr als 40 afrikanischen Ländern verimpft worden, aber auch in Asien. In Kambodscha soll das Impfstoffversprechen mit militärischer Kooperation verknüpft sein.
Die Europäische Union unterstützt Afrika mit der Lieferung von Millionen Impfstoffdosen. Das Astrazeneca-Serum Covishield für afrikanische Staaten wird zwar mit EU-Geldern bezahlt, aber in Indien produziert. Das wiederum erschwert für Geimpfte aus Afrika, aber auch aus anderen Teilen der Welt die Einreise nach Europa, denn in vielen Ländern akzeptiert der Digitale Impfpass dieses Vakzin nicht. Die Afrikanische Union fühlt sich diskriminiert. Es gibt derzeit keine EU-weite Regelung für die Einreisevoraussetzungen. Allerdings erkennen Deutschland sowie 15 weitere EU-Länder eine Zweifach-Impfung mit Covishield an.
In Afrika selbst gibt es Probleme mit der Impfstoffverteilung und Logistik, dazu kommt Impfstoff-Verweigerung und eine sehr schlechte Datenbasis - viele Länder haben keinen Überblick, andere melden gar nicht, wie viele Erkrankungen und wie viele Tote sie verzeichnen. Dies trage zu einer verzerrten Wahrnehmung der Lage und den tatsächlichen Bedürfnissen nach Impfstoffen bei, erklärte die ARD-Ostafrika-Korrespondentin Linda Staude im Dlf.
Nach Berechnungen der Organisation Ärzte ohne Grenzen fehlen Covax wegen aktueller Lieferengpässe in den kommenden drei Monaten 211 Millionen Impfstoffdosen gegenüber den ohnehin unzureichenden Planungen. Drei Schritte müssten nun schnellstmöglich vollzogen werden:
- Impfstoffdosen abgeben
- Technologien teilen und Produktionskapazitäten ausbauen
- Patentschutz aufheben
Impfdosen abgeben
Als kurzfristige Lösung fordert Ärzte ohne Grenzen von Ländern, die sich sehr viele Impfstoffdosen gesichert haben, schnell einen Teil ihrer Dosen abzugeben und ärmeren Ländern zur Verfügung zu stellen. Mittel- und langfristig müsse aber vor allem mehr Impfstoff produziert werden.
Produktionskapazitäten ausbauen
Momentan liege die Last der Produktion auf einigen wenigen Hersteller-Schultern, die den globalen Bedarf so noch nicht decken könnten, so Elisabeth Massute von Ärzte ohne Grenzen. Mittelfristig müssten Produktionskapazitäten aus- und umgewandelt und langfristig auch neue Produktionskapazitäten geschaffen werden, vor allem im globalen Süden. Im besten Fall könne man dann lokal auf verschiedene Mutationen reagieren, vor allem mit der Technologie von mRNA-Plattform-basierten Impfstoffen – die auch kostengünstiger zu produzieren seien.
Uschi Eid, Präsidentin der Deutschen Afrika-Stiftung, forderte im Dlf von den G7-Staaten finanzielle Unterstützung für ärmere afrikanische Länder. "Letztendlich muss Afrika in die Lage kommen, die dort benötigten Impfstoffe selbst herzustellen. Alles andere ist nicht nachhaltig."
Der Aufbau von Produktionskapazitäten dauere aber zu lange,
sagte Stefan Mair
, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, im Deutschlandfunk. Eine schnelle Ausweitung von Impfstoff-Exporten helfe Entwicklungsländern aktuell deutlich schneller. Investitionen in die Gesundheitssysteme und in Produktionskapazitäten vor Ort seien aber mittelfristig durchaus wichtig.
Patentschutz aufheben
Die Aufhebung des Patentschutzes sieht Ärzte ohne Grenzen als weiteres Puzzlestück in der Beschleunigung der weltweiten Pandemiebekämpfung. Dabei gehe es nicht nur um Impfstoffe, die Forderung beziehe sich auch auf Medikamente, Schnelltests, Beatmungsgeräte oder Schutzkleidung. Durch eine Patentaussetzung werde Rechtssicherheit für die Produzierenden im globalen Süden geschaffen, um bestimmte Stoffe produzieren zu können.
Damit Entwicklungsländer in die Lage versetzt werden, die Pandemiebekämpfung selbst zu übernehmen und Produktionskapazitäten für Impfstoffe aufzubauen, brauche es aber Unternehmen, die dort langfristig investierten - was nur dann der Fall sei, wenn die Unternehmen von Patentschutz ausgehen könnten, betonte Stefan Mair von der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Logistik aufbauen
Eine weitere Hürde sei die mangelhafte medizinische Logistik in vielen Ländern,
sagte Günter Nooke (CDU), Afrika-Beauftragter der Bundesregierung im Interview mit dem Deutschlandfunk.
Die Möglichkeiten von Soforthilfe seien daher eingeschränkt, um funktionierende Kühlketten aufzubauen, brauche es Zeit. Man müsse daher auch Wissens- und Technologiertransfer organisieren. Das lasse sich aber nicht in ein, zwei Jahren abschließend bewerkstelligen.
Quellen: Volkart Wildermuth, Dagmar Röhrlich, Sandra Pfister, Ärzte ohne Grenzen, Anne Demmer, Marc Engelhardt, Dunja Sadaqi, dpa, tei