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COVID-19
Blutgruppe könnte Krankheitsverlauf beeinflussen

Je nach Blutgruppe kann eine Infektionskrankheit schwer oder weniger schwer verlaufen. Auch bei COVID-19 könnte das so sein, sagte der Bioinformatiker David Ellinghaus im Dlf. Für den Alltag spiele diese Erkenntnis aber vorerst keine wichtige Rolle.

David Ellinghaus im Gespräch mit Lennart Pyritz |
Zwei Hände in medizinischen Handschuhen halten einen Blutgruppentest.
Möglicherweise gibt es einen Zusammenhang zwischen der Blutgruppe und dem Krankheitsverlauf von COVID-19 (imago images / ITAR-TASS / Vladimir Gerdo)
A, B, AB oder 0 – so werden die Blutgruppen genannt, je nachdem, welche Antigene – also spezielle Eiweiße – in der Membran der roten Blutkörperchen stecken. Dass die Blutgruppe eines Menschen mit der Immunreaktion und bestimmten Krankheiten zusammenhängen kann, ist bekannt, zum Beispiel bei Malaria. Vor Kurzem sorgte eine Studie im New England Journal of Medicine für Aufsehen. Demnach hängt die Blutgruppe offenbar auch mit dem Krankheitsverlauf bei Covid-19 zusammen.

Höheres Risko mit Blutgruppe A

Studienteilnehmer mit der Blutgruppe 0 hätten ein leicht vermindertes Risiko, eine schwere COVID-19-Erkrankung zu bekommen, Träger der Blutgruppe A dagegen ein 1,45-fach erhöhtes. Übermäßig Sorgen sollten sich die Personen mit Blutgruppe A aber nicht machen: "Die von uns ermittelten statistischen Effektstärken der Blutgruppe sind einfach zu gering und sind im Vergleich weitaus schwächer als die bekannten Risikofaktoren wie Alter, Geschlecht, Übergewicht oder auch Vorerkrankungen."
Erstautor der Studie ist David Ellinghaus, Bioinformatiker an der Universität Kiel. Im Interview mit dem Dlf beschreibt David Ellinghaus unter anderem die wichtigsten Erkenntnisse der Studie.
David Ellinghaus: Wir haben eine genomweite Assoziationsstudie durchgeführt für 1.980 COVID-19-Patienten aus Spanien und Italien, die im Zeitraum März bis April, also zur Hochzeit der Pandemie in diesen beiden Ländern, einen schweren Krankheitsverlauf erlitten haben. Schwerer Verlauf bedeutet in diesem Fall, dass Patientinnen und Patienten eine Sauerstoffzufuhr benötigten, durch invasive oder nicht-invasive Techniken.
Eines der Ergebnisse unserer Studie war, dass Studienteilnehmer mit Blutgruppe A ein etwa 1,45-fach erhöhtes Risiko hatten, eine schwere COVID-19-Erkrankung zu bekommen, im Vergleich zu Studienteilnehmern mit anderen Blutgruppen. Für Blutgruppe 0 war zudem das Ergebnis, dass Träger der Blutgruppe 0 ein leicht vermindertes Risiko haben, eine schwere COVID-19-Erkrankung zu bekommen – hier auch wieder im Vergleich zu Studienteilnehmern mit anderen Blutgruppen.
Eine Wissenschaftlerin mit Mundschutz, Schutzbrille und Handschuhen hält ein Laborröhrchen mit der Aufschrift "SARS-CoV 2" in den Händen.
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Pyritz: Was könnte denn diesen Effekt der Blutgruppe auf den Krankheitsverlauf, den Sie beobachtet haben, verursachen, der Mechanismus im Körper dahinter?
Ellinghaus: Grundsätzlich können Blutgruppen oder Blutgruppen-Antigene eine Rolle bei einer Infektionskrankheit spielen. Jedes Virus, jedes Bakterium hat einen eigenen Weg gefunden, sich Zugang zu den Zellen eines Menschen zu verschaffen. Viele Blutgruppen-Antigene sind Rezeptoren für Giftstoffe von Bakterien, oder diese fungieren direkt als Rezeptoren für Viren und Bakterien, sodass die Vermehrung oder der Eintritt in die Wirtszelle erleichtert wird.
Auf der anderen Seite kann es für einen Parasiten von Vorteil sein, wenn der Parasit auf seiner Zelloberfläche selbst ein Antigen besitzt, das einem Blutgruppen-Antigen des Menschen ähnelt, denn dann wird dieses Antigen von einer Person nicht als fremd erkannt, wenn die Person eine Blutgruppe besitzt, die dem Parasiten-Antigen sehr ähnelt. So eine unterschiedliche Reaktion auf bestimmte Oberflächen-Antigene wäre dann auch bei COVID-19 denkbar.

Studien liefern unterschiedliche Ergebnisse

Pyritz: Bei einer anderen Studie aus den USA zeigte sich zwar, dass Menschen mit Blutgruppe 0 im Vergleich zu solchen mit Blutgruppe B und A/B seltener ein positives Testergebnis erhalten haben. Diese Studie zeigt allerdings keinen messbaren Einfluss der Blutgruppe auf den Krankheitsverlauf wie in Ihrer Studie - also zum Beispiel das Risiko, künstlich beatmet werden zu müssen. Wie können solche Unterschiede zustande kommen? Können da methodische Unterschiede in den Studien ausschlaggebend sein für diese unterschiedlichen Ergebnisse?
Ellinghaus: Ja, das können natürlich methodische Dinge sein, die hier einen Ausschlag geben. Es kann auch die sogenannte Fallzahl sein bei einer epidemiologischen Studie, denn bei dieser Studie von Christopher Latz und Kollegen aus Boston wurden schlussendlich dann, in Anführungsstrichen, "nur" 123 Patienten untersucht, die auf der Intensivstation lagen, das heißt, die auch einen schweren Krankheitsverlauf hatten.
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Pyritz: Denken Sie oder gibt es denn Hinweise darauf, dass die von Ihnen gefundenen Zusammenhänge sich als stabil erweisen? Gibt es da schon Hinweise aus anderen Studien, die eben Ihre Befunde auch stützen?
Ellinghaus: Es gibt eine groß angelegte, auch genomweite Studie eines US-amerikanischen Biotechnologie-Unternehmens, genannt 23andMe, welches Privatpersonen weltweit eine Untersuchung auch ihrer genetischen Informationen anbietet. Deren erste Forschungsergebnisse wurden kürzlich auf der Webseite des Unternehmens veröffentlicht. Wenn ich es richtig gesehen habe, ist es eine Studie von ca. 10.000 an COVID-19 erkrankten Personen aus den USA. Diese genomweite Studie zeigt, ähnlich wie in unserer Studie, ein starkes Signal direkt über dem AB0-Blutgruppen-Gen.

Effekte von anderen Risikofaktoren sind größer

Pyritz: Vorausgesetzt, die Blutgruppe hat einen Effekt auf den Krankheitsverlauf bei COVID-19, wie könnten diese Ergebnisse dann konkret der klinischen Therapie von Patienten und Patientinnen nutzen?
Ellinghaus: Meines Erachtens hat dieser Befund mit den Blutgruppen aus unserer Studie vorerst keinen direkten Nutzen für die klinische Anwendung. Das heißt, Personen mit Blutgruppe A sollten sich jetzt nicht übermäßig Sorgen machen, dass sie bei einer Corona-Infektion nur wegen ihrer Blutgruppe einen besonders schweren Verlauf befürchten müssen. Gleichermaßen sollten Personen mit Blutgruppe 0 aber jetzt auch nicht denken, dass die Blutgruppe 0 einen ausreichenden Schutz vor einer Infektion oder einem schweren Verlauf gewährt. Die von uns ermittelten statistischen Effektstärken der Blutgruppe sind einfach zu gering und sind im Vergleich weitaus schwächer als die bekannten Risikofaktoren wie Alter, Geschlecht, Übergewicht oder auch Vorerkrankungen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.