Ende 2019 wurden die ersten Menschen in Wuhan krank, im Januar tauchte das Coronavirus vereinzelt in anderen Ländern auf, jetzt hat die WHO die Ausbreitung des neuen Virus als Pandemie eingestuft, als weltumspannenden Ausbruch. Welche Maßnahmen sind sinnvoll, um die Pandemie zu einzudämmen? Darüber sprechen wir mit Gérard Krause, der am Helmholtzzentrum für Infektionsforschung die Abteilung Epidemiologie leitet.
Monika Seynsche: Herr Krause, hat Sie das Virus in den letzten Wochen überrascht?
Gérard Krause: Es hat mich nicht überrascht, dass das Virus sich global ausbreitet. Das war ziemlich klar, dass das passieren würde. Was mich überrascht hat, sind die massiven Maßnahmen, die vielerorts zementiert worden sind. Wir haben es in der Zeit, in der ich beruflich in dem Feld tätig bin, noch nicht gesehen, dass im so großen Stil Reisebeschränkung ausgeübt wurden, häusliche Quarantäne ausgerufen worden ist für ganze Städte. Das habe ich in den letzten 20 Jahren noch nirgends beobachtet. In keiner Situation, außer lokal bei Ebola. Also das hat schon eine neue Qualität.
"Schwere Ermessensfrage"
Seynsche: Jetzt haben wir einige Bundesländer und auch andere Staaten zum Teil schon Schulschließungen angeordnet. Wie sinnvoll ist es, die Schulen zu schließen und damit natürlich auch den Arbeitnehmern weitgehend die Möglichkeit zu nehmen, zu arbeiten?
Krause: Das ist eine ganz schwere Ermessensfrage. Die Zielsetzung dieser Maßnahmen ist, die Verbreitung des Virus zu verlangsamen, um auf diese Weise das gleichzeitige Auftreten von schweren Erkrankungen in den Krankenhäusern zu strecken – über die Zeit, sodass die Ressourcen zur Behandlung dieser Patienten nicht zu schnell überfordert werden. Das ist die Rationale dahinter. Das ist das Ziel. Es ist sehr schwer zu sagen, wie erfolgreich das wird und wie lange man das aufrechterhalten kann oder muss. Wir gehen alle davon aus, dass wir dieses Ziel im Moment noch nicht aufgeben dürfen.
Gleichzeitig ist es mir aber sehr wichtig, dass wir jetzt auch schon parallel den direkten Schutz der Personen ins Auge fassen, von denen wir jetzt schon wissen, dass sie ein hohes Risiko für schwere Erkrankungen haben. Das bedeutet: Menschen, die ein solches erhöhtes Risiko haben, müssen ihre Gesundheit beobachten, müssen direkten Zugang zur Diagnostik haben, müssen ihre Kontakte nach außen eindämmen und einschränken. Man muss versuchen, dass diese Personen möglichst nicht infiziert werden. Und das ist eine parallele Strategie, die nicht vernachlässigt werden darf auf Kosten anderer Strategien.
Drei Gründe gegen Handy-Tracking
Seynsche: Nun überlegt das RKI, ein Handy-Tracking zum Aufspüren von Infizierten durchzuführen oder zumindest zu testen, ob das möglich wäre, mit den Handydaten der Infizierten weitere mögliche Infizierte zu finden. Können Sie mir darüber etwas sagen?
Krause: Soweit ich informiert bin, sind diese Überlegungen vom Tisch, was das RKI betrifft. Ich persönlich sehe das aus drei Gründen sehr kritisch: Erstens wegen der mangelnden Nützlichkeit. Zweitens wegen der unerwünschten Wirkungen, die daraus folgen. Und drittens wegen der falschen Erwartungen, die dadurch geweckt werden.
Ich erkläre das nochmal: Wenn wir wissen, wie nah jemand an einer anderen Person war, können wir deswegen noch lange nicht schließen, dass sich daraus ein direktes Infektionsrisiko ergibt. Die Infektion findet ja nicht durch räumliche Nähe allein statt, sondern auch durch Schmierinfektion, durch Kontaktinfektionen. Es sind andere Faktoren. Die wissenschaftlich anerkannten Definitionen eines engen Kontaktes des Robert-Koch-Institutes verlassen sich keineswegs allein auf die Meter Abstand, die jemand zu jemand anderem hat. Das sind andere biologische Faktoren, die wir berücksichtigen müssen. Und da hilft uns das Handy-Tracking nicht.
Das andere Problem, das ich sehe ist, dass wir hier Aktivitäten entwickeln und damit auch Ressourcen binden, die wir dringend brauchen für andere Maßnahmen. Ein weiterer Punkt, der mir Sorge macht, ist, dass wir hier, bloß weil es technisch möglich ist in dieser Sorge, die wir berechtigterweise ja auch haben, vielleicht sehr leichtfertig kostbare Bürgerrechte über Bord werden, die wir mühsam über Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte sogar aufgebaut haben. Und wenn das alles noch dazu nicht nützlich ist, dann sehe ich das Ganze sehr kritisch.
Das andere Problem, das ich sehe ist, dass wir hier Aktivitäten entwickeln und damit auch Ressourcen binden, die wir dringend brauchen für andere Maßnahmen. Ein weiterer Punkt, der mir Sorge macht, ist, dass wir hier, bloß weil es technisch möglich ist in dieser Sorge, die wir berechtigterweise ja auch haben, vielleicht sehr leichtfertig kostbare Bürgerrechte über Bord werden, die wir mühsam über Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte sogar aufgebaut haben. Und wenn das alles noch dazu nicht nützlich ist, dann sehe ich das Ganze sehr kritisch.
Seynsche: Sie haben anfangs gesagt, Sie seien davon überrascht, wie stark die Staaten und die Behörden reagieren, wie schnell es Quarantänemaßnahmen gibt, et cetera. Zeigt das, dass die Behörden sehr stark gewarnt sind oder reagieren sie da über? Ist das Virus wirklich so gefährlich?
Krause: Es ist immer schwierig in der aktuellen Situation zu wissen, ob man überreagiert hat oder nicht. Und das ist für Außenstehende immer leicht gesagt, wenn man nicht selber die Verantwortung hat. Vielleicht können wir das mit gründlicher Aufarbeitung im Nachgang machen.
"Nur die klassischen Infektionsschutz-Maßnahmen im Repertoire"
Wir sind jetzt tatsächlich einer neuen Situation ausgesetzt: Wir haben, anders als bei Influenza, keine Impfung zur Hand und auch nicht in Aussicht, dass diese schnell verfügbar sein wird. Wir haben kein spezifisches Medikament zur Hand, von dem wir wissen würden, dass es spezifisch wirksam und sicher ist. Das kann vielleicht noch kommen. Wir haben also im Moment tatsächlich nur die klassischen Infektionsschutz-Maßnahmen im Repertoire. Und die müssen wir mit Augenmaß einsetzen.
Wir müssen auch aufpassen, dass diese Maßnahmen nicht dazu führen, dass sie an anderer Stelle wieder unerwünschte gesundheitliche Folgen haben könnten. Wenn es zum Beispiel soweit käme, dass Produktionsstätten für essenzielle Medikamente nicht mehr produzieren können oder die Produkte nicht mehr ausgeliefert werden können und auf dieser Seite dann unerwünschte gesundheitliche Wirkungen folgen würden, dann hätten wir noch ein zusätzliches Problem. Wo diese Grenze ist und wann das passiert oder wie das verhindert werden kann, da bin ich nicht der Experte, um das sicher zu sagen. Aber das muss im Auge behalten werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.