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COVID-19 im Sahel
Terror und Pandemie

Die Staaten im westafrikanischen Sahel gehören zu den ärmsten der Welt, sie kämpfen mit Dürren, Überschwemmungen und einer schwierigen Sicherheitslage. Durch die Corona-Pandemie verschärft sich die Lage nun weiter. Vor allem Extremisten könnten von der Krise profitieren.

Von Marc Engelhardt und Bettina Rühl |
Street vendors sell food on the side of the road in the Lazaret district of Niamey on Friday, April 24, 2020 as Muslims prepare to break their fast on the first day of the holy month of Ramadan. The Iftar took place calmly in Niamey after riots in protest against the curfew and the ban on collective prayers, decreed to fight against the spread of the coronavirus.
Straßenszene in Niamey, der Hauptstadt von Niger (AFP / Nicolas Remene)
Kaya, eine Provinzhauptstadt im Norden von Burkina Faso. Zu den fast 120.000 Einwohnern stoßen fast täglich neue Flüchtende hinzu. Einer von ihnen ist Sawadogo Salam. Mit dem Fahrrad fährt der 39-Jährige einen Sack Reis über die vom Staub der Sahara rostrot gefärbten Wege.
Bezahlt hat den Sack das Welternährungsprogramm. Denn eigenes Hab und Gut hat er nicht mehr, wie Salam dem Team der UN-Organisation erzählt: "Wir sind Hals über Kopf geflohen, um unser Leben zu retten. Die Frauen sind später auf Viehwagen hinterher gekommen. Aber wir mussten all unseren Besitz zurücklassen, selbst Nahrungsmittel oder Küchenutensilien."
Südafrikanische Sicherheitskräfte stellen in Johannesburg eine Straßenblockade auf.
COVID-19-Ausbreitung - Afrika kämpft gegen das Coronavirus
Das Coronavirus hat den afrikanischen Kontinent mit Verzögerung erreicht. Die Infektionszahlen steigen deutlich an. In Kenia, Uganda, Simbabwe und Südafrika greifen Polizei und Militär unverhältnismäßig hart durch, um Ausgangsbeschränkungen durchzusetzen.
Die Bewaffneten, vor denen Salam und mehr als 800.000 andere geflohen sind, sind vor allem Terroristen. Al-Qaida und der so genannte Islamische Staat haben ihre Anschläge ausgeweitet. Und sie werden immer brutaler. 2017 töteten Islamisten in Burkina Faso 80 Menschen. 2019 waren es fast 2000.
Zur Bedrohung durch den Terror kommt jetzt noch die Coronakrise. Die Folgen der Kombination aus Terror und Pandemie sind dramatisch, wie UN-Sprecher Stephane Dujarric erklärt: "Acht UN-Agenturen und Hilfsorganisationen im Sahel berichten, dass noch nie so viele Menschen in kritischem Zustand waren. 24 Millionen Menschen, die Hälfte Kinder, brauchen Hilfe um zu überleben. Immer mehr Menschen fliehen wegen der schlechten Sicherheitslage. Der wachsende Hunger, Verteilungsungerechtigkeiten und die Folgen der COVID-19-Pandemie verschärfen die Krise weiter."
Ganze Städte in Quarantäne
Das gilt auch für die Politik. Im November stehen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen an, sie könnten wegen der Corona-Pandemie verschoben werden. Das würde die Legitimität der Regierung weiter schwächen.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Mahamadou Sawadogo arbeitet für das internationale Institut für Sicherheitsstudien ISS in Burkina Faso: "Leider hat die Corona-Pandemie das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung weiter ausgehöhlt, das ohnehin schon angeschlagen war. Zusätzlich gelitten hat es durch die zum Teil harten Maßnahmen, die die Regierung ergriffen hat, um die weitere Verbreitung des Virus zu verlangsamen. Dazu gehört, dass ganze Städte mit Quarantäne belegt und die Märkte geschlossen wurden, auf die die Menschen aber angewiesen sind, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Das ist eine weitere Belastung für die Menschen, die schon unter dem Terrorismus leiden. Und zu diesem allen kommen auch einige Skandale im Zusammenhang mit den Maßnahmen gegen COVID-19."
So versuchte die Regierung zunächst, das Ausmaß der Pandemie klein zu reden. Dass Bevölkerung und Regierungen einander nicht trauen, ist überall im Sahel ein Problem. Elissa Jobson, die für den Thinktank International Crisis Group arbeitet, sieht des halb die Stabilität ganzer Staaten in Gefahr: "Die Gesundheitssysteme sind schon durch Krieg oder Unruhen zerstört, dazu kommen Missmanagement und Korruption. Es mangelt an Vertrauen in die Regierungen, vor allem in Ländern, die unter den Folgen eines Bürgerkriegs oder laufenden Konflikten leiden. Warnungen und Maßnahmen der Regierung werden dann nicht befolgt, eben weil man ihr nicht traut."
Dschihadisten nutzen das Chaos
Regierungen wie die in Mali managen die Coronakrise zudem mit harter Hand. Doch je drakonischer die Maßnahmen, desto mehr wächst der Unmut in der Bevölkerung.
Jobson befürchtet, dass Aufstände bis hin zu Umstürzen drohen. Profitieren würden davon vor allem diejenigen, die den Staat vollends zu Fall bringen wollen: "Es besteht das Risiko, dass Dschihadisten oder andere bewaffnete Gruppen ihre Angriffe ausweiten. Diese Gruppen nutzen das Chaos, und die Gefahr ist groß, dass Armee und Polizei in Zeiten wachsender Unruhen in den ohnehin unregierten Räumen, da, wo die Terroristen angreifen, noch weniger präsent sind als sonst."
02.05.2019, Mali, Gao: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht mit Bundeswehrsoldaten des deutschen Einsatzkontingents MINUSMA.
Kanzlerin Merkel im vergangenen Jahr bei einem Besuch bei Bundeswehrsoldaten in Mali (dpa / Michael Kappeler )
Gerade in Burkina Faso sei das Risiko eines solchen Szenarios groß, befürchtet Jean-Paul Rouiller, Terrorexperte am Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik: "Burkina Faso steht wirklich unter erheblichem Druck. Seit mehr als einem halben Jahr beobachten wir, wie Terroristen in bislang sichere Provinzen vorstoßen. Wenn man dann den Kontrollverlust der Sicherheitskräfte durch die Corona-Pandemie dazu nimmt, und die wachsenden Infektionszahlen, dann stellen die immer effizienteren Terroristen eine unmittelbare Bedrohung der Regierung dar, daran habe ich keinen Zweifel."
Corona und Ramadan
Auch im benachbarten Niger sind islamistische Terrorgruppen zurzeit ausgesprochen aktiv. Anfang Mai griffen mutmaßliche Mitglieder von Boko Haram einen Militärstützpunkt nahe der Stadt Diffa an, filmten den Angriff und stellten das Video ins Internet.
Während die Zahl der Terroranschläge zunimmt, sind die nigrische Regierung und das Parlament durch etliche Corona-Infektionen gelähmt. Der stellvertretende Parlamentspräsident gehörte zu den ersten Infizierten, der Arbeitsminister starb an COVID-19. Sein Tod ging wie eine Schockwelle durch das Land, erzählt der Abgeordnete Mano Aghali. Wenn selbst einem amtierenden Minister nicht zu helfen war, was würde dann aus der Bevölkerung werden?
"Die Menschen in Niger haben Angst, sie fürchten, sich mit dem Virus anzustecken. Das tägliche Leben ist von den Einschränkungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie bestimmt. Die neue Normalität ist davon geprägt, dass das Leben teuer ist. Die Preise sind explodiert, sie haben sich zum Teil verdoppelt. Gleichzeitig sind den Menschen viele Beschränkungen auferlegt, die ihre kollektiven und persönlichen Freiheiten beschneiden."
Wegen der nächtlichen Ausgangssperre kann der heilige Fastenmonat Ramadan nicht wie üblich begangen werden - dem unterwerfen sich viele Menschen nur widerwillig, manche Regeln werden überhaupt nicht akzeptiert.
Wachsende Armut durch Ausgangssperren
Die Hauptstadt Niamey steht unter Quarantäne, einige Märkte sind geschlossen, die Grenzen sowieso. Niger ist ohnehin eines der ärmsten Länder der Erde. Nun ist der tägliche Überlebenskampf für die meisten Menschen noch härter.
In der Folge sei die Kriminalität deutlich gestiegen, sagt Mano Aghali: "Das hat ein solches Ausmaß angenommen, dass man spürt: die Menschen wollen einfach etwas zu essen, und zwar sofort. Hinzu kommt der Anstieg von schwerer Kriminalität. Ich fürchte, dass sich die Lage nach dem Ende des Ramadan noch verschlechtern wird. Denn viele Kriminelle halten sich im Moment zurück, sie glauben mehr oder weniger an Gott und daran, dass man während des Ramadan besonders tugendhaft leben und nicht sündigen sollte."
Aber nicht nur das beunruhigt Mano Aghali zutiefst. Erst kürzlich war er in seinem Wahlkreis Agadez unterwegs, und hat sich einen Eindruck von der Lage verschafft. "Der religiöse Extremismus profitiert von der Corona-Krise, die Islamisten rekrutieren unter den Unzufriedenen und unter denen, die durch die Pandemie verarmt sind. Sie gewinnen neue Mitglieder von jenen, die nichts zu essen haben. Sie haben da einfaches Spiel."
Die Unzufriedenheit wächst auch im benachbarten Mali. In Kayes, einer Stadt im äußersten Westen des Landes, revoltierten zuletzt die Frauen. Die Aufnahme stellte ein malischer Youtube-Kanal ins Internet: Die Demonstrantinnen besetzen die Straße, wirken fast ausgelassen und froh, den Mut zum Protest endlich gefunden zu haben. Der Anlass: Am Abend des 11. Mai erschoss ein Polizist einen jungen Motorradfahrer.
Proteste gegen Corona-Maßnahmen
Sofort explodierte die Wut der jungen Bevölkerung: Die Demonstranten setzten das Polizeikommissariat in Brand, zerstörten weitere öffentliche Gebäude. Drei weitere Menschen starben, einer wurde verletzt. Auch gegen die Corona-Maßnahmen, ausgerechnet im Ramadan, gehen die Menschen immer wieder auf die Straße. Denn zum Fasten während des Tages gehören die sozialen Kontakte beim Fastenbrechen in der Dunkelheit.
Baba Dakono arbeitet für das Institut für Sicherheitsstudien in der malischen Hauptstadt Bamako: "Wir befinden uns in der heißesten Periode des Jahres; in dieser Zeit gibt es meistens viele Stromausfälle. Die Menschen haben sich in den vergangenen Wochen massiv darüber beschwert, dass sie trotz der Hitze und trotz der Stromausfälle nachts nicht mehr raus durften."
Blauhelm-Soldaten der UN-Mission "Minusma" bei einer Militärparade. Sie tragen blaue Helme und Gewehre.
Blauhelm-Soldaten der UN-Mission "Minusma" bei einer Militärparade (AFP / Sia Kambou)
In Städten wie Kayes oder Gao wird es zurzeit oft deutlich über 40 Grad heiß. Ohne Strom laufen noch nicht einmal Ventilatoren oder Klimaanlagen. Die Regierung sah sich schließlich gezwungen, die Ausgangssperre aufzuheben.
Die jüngste Parlamentswahl provozierte ebenfalls Protest. Im März und April fand sie statt, überfällig seit 2018, wegen der schlechten Sicherheitslage wurde sie immer wieder verschoben. Jetzt wurde endlich gewählt, trotz der Gefahr von Terroranschlägen und trotz Corona.
Das offizielle Wahlergebnis zugunsten der Regierung löste Proteste aus. Der Vorwurf: Das Ergebnis sei manipuliert worden.
Das Vertrauen zwischen der Bevölkerung und der Regierung ist schon seit langem zerrüttet. Nicht zuletzt, weil die Regierung in vielen Teilen des riesigen Landes fast alle staatlichen Dienstleistungen schuldig bleibt. Sie schützt nicht einmal das Leben der Menschen, die doch immer mehr von Gewalt bedroht sind.
Internationale Militärmissionen
Umso wichtiger ist die Rolle der internationalen Truppen, allen voran die UN-Mission Minusma, an der Deutschland beteiligt ist. Christian Klatt arbeitet für die Friedrich-Ebert-Stiftung in Bamako: "Das bedeutet aber auch, dass dieses internationale Engagement eigentlich die Möglichkeiten braucht, Flüge zu gestalten, Entspannungsmöglichkeiten für die entsprechenden Truppen zu nutzen. Das heißt, es gibt weniger Truppenbewegungen, es gibt weniger Rotation innerhalb der Kontingente. Das führt natürlich zu einer Überlastung bzw. zu einer Mehrarbeit innerhalb der bestehenden Missionen."
A Fulani displaced man works with his son to rebuild their hut in the camp for displaced people of Faladie in Bamako on April 29, 2020. A day earlier, a fire ravaged the camp burning much of the huts and of the livestock. Within a week, displaced people have already been able to rebuild part of the camp on the ruins left by the fire. A fire on April 28, 2020, destroyed much of the main camp for displaced people in Bamako
Nach einem Brand im einem Lager in Bamako (AFP / Michele Cattani)
In einigen Camps gab es Fälle von COVID-19, woraufhin die Lager teilweise in Quarantäne gingen. Die Bevölkerung spüre die Folgen, sagt Eric Alain Kamden. Er arbeitet für die Caritas in Gao, einer Stadt im Norden von Mali. Dort sind mehrere Kontingente der Minusma stationiert, darunter das deutsche. Nicht weit entfernt befindet sich das Camp der französischen Militärmission Barkhane.
"Die internationalen Truppen patrouillieren in Gao jetzt seltener als früher. Das liegt an COVID-19. Die UN-Truppen sind gezwungen, im Supercamp der Minusma zu bleiben. Das gilt auch für die französischen Soldaten der Operation "Barkhane".
Die Kriminalität in der Stadt sei deshalb spürbar gestiegen. Und auch das Misstrauen gegen die ausländischen Truppen.
"Die Menschen hier haben panische Angst davor, dass sich COVID-19 in Gao ausbreitet. Sie machen vor allem Migranten und die ausländischen Truppen dafür verantwortlich, dass das Corona-Virus in die Stadt eingeschleppt wurde."
Das deutsche Kontingent ist nicht im "Supercamp" stationiert, sondern im Camp Castor direkt nebenan. Hauptaufgabe der Deutschen ist die Aufklärung, zum Beispiel mit der Drohne Luna, die hier gerade gestartet wird. Die Aufnahme stammt aus der Zeit vor der Corona-Pandemie.
Oberst Michael Felten leitet das deutsche UN-Kontingent: "Die Bedingungen für unseren Einsatz hier im Norden haben sich dahingehend verändert, dass wir mit geeigneten Maßnahmen bestrebt sind, den Gesundheitsschutz der Bevölkerung als auch unserer Truppen im Zusammenhang mit Corona zu gewährleisten. Das bedeutet konkret, dass die Soldaten klare Handlungsanweisungen in Bezug auf Hygiene bekommen haben. Das geht los, dass die Kameraden draußen Mundschutz tragen und wir unsere Fahrzeuge nach jeweils einem Einsatz desinfizieren."
Ausbildungsmission ausgesetzt
Im Camp des deutschen Kontingents habe es bisher noch keine Corona-Infektion und keinen Verdachtsfall gegeben. Auch die Rotation gehe im üblichen Rhythmus weiter.
Deutschland beantragte eine Ausnahme vom Rotationsstopp, den die UN verhängt hatten. Die neu eingeflogenen Soldaten würden 14 Tage im Camp Castor isoliert. Auch sonst ist der Kontakt zur Bevölkerung geringer geworden.
Stärker beeinträchtigt ist die europäische Ausbildungsmission EUTM: In Absprache mit der malischen Regierung wurde die Ausbildung malischer Soldaten bis auf weiteres ausgesetzt, das Personal reduziert.
Deutsche Soldaten stehen am Flughafen in Gao und sichern ein Transportflugzeug.
Bundeswehr in Mali - Der unsichtbare Einsatz
Der Einsatz der Bundeswehr in Mali bekommt relativ wenig öffentliche Aufmerksamkeit – zu Unrecht, kommentiert Marcus Pindur. Er hat es verdient, breit debattiert zu werden, denn die Sicherheitslage in Westafrika hat sich massiv verschlechtert. Das gefährdet auch den zivilen Aufbau im Land.
Oberstleutnant Florian Schleiffer leitet dieses deutsche Kontingent: "Die Bewegungen, zu denen man das Camp mit Fahrzeugen verlassen muss, sind auf das notwendigste reduziert. Da wird sehr genau geprüft und abgewogen, und dann werden auch entsprechende Vorsichtsmaßnahmen eingehalten, um den Kontakt auf das Notwendigste zu reduzieren, und dann auch immer unter den gegebenen Abstandsvorgaben."
Die Leiter beider Bundeswehrkontingente haben weiterhin das Gefühl, dass die deutschen Soldaten in Mali gern gesehen seien. Aber gerade gegen französische Truppen wächst der Widerstand seit langem.
Sollte die Stimmung gegen die ausländischen Soldaten kippen, sodass irgendwann ein Rückzug notwendig würde, hätte das fatale Folgen, meint der Genfer Terrorexperte Jean-Paul Rouiller: "Wenn die französische Militärmission Barkhane oder Minusma sich zurückziehen oder ihre Soldaten nicht mehr im normalen Rhythmus patrouillieren können, dann müssen wir davon ausgehen, dass Terroristen im Norden Malis die Lücke füllen werden. Sie werden überall dort einmarschieren, wo sie den Eindruck haben, dass es keine Gegenwehr mehr gibt."
Kritik am UN-Sicherheitsrat
Tatsächlich scheint es unklarer denn je, wer zur Gegenwehr bereit stünde, sollten Terroristen im Sahel weiter vormarschieren. Der UN-Sicherheitsrat, der in einem solchen Fall vor allem reagieren müsste, ist seit Beginn der Coronakrise weitgehend verstummt.
Das kritisiert etwa der frühere schwedische Ministerpräsident Carl Bildt, heute Co-Vorsitzender des European Council on Foreign Relations: "Der Weltsicherheitsrat kümmert sich um Frieden und Sicherheit. Die Ebola-Epidemie war dort deshalb sehr wohl ein Thema. Jetzt aber sind die UN als Akteur weitgehend unsichtbar. Das sind die Auswirkungen der Spannungen zwischen den USA und China. Und es ist verstörend zu beobachten, dass diese Spannungen weiter zunehmen."
Französische Soldaten der "Operation Barkhane" am 4. November 2019 in Burkina Faso. Die Operation ist in fünf Ländern des westafrikanischen Sahel aktiv: Tschad, Mali, Mauritania and Niger.
Französische Soldaten im Einsatz gegen islamistische Gruppen in der Sahelzone in Afrika (picture alliance / Philippe De Poulpiquet)
Die Folge: Fast acht Wochen lang ist es dem UN-Sicherheitsrat nicht einmal gelungen, sich auf eine Resolution zu verständigen, in der ein weltweiter Waffenstillstand in Coronazeiten gefordert werden soll. Was erst im Fall einer noch akuteren Krise im Sahel geschehen würde, wo China und die USA gegensätzliche Interessen verfolgen, ist vollkommen unklar.
Umso wichtiger wäre es, gerade in einer fragilen Region wie dem Sahel, das Vertrauen zwischen Regierenden und Regierten wiederherzustellen und so das drohende Zusammenbrechen ganzer Staaten zu verhindern.
Doch bisher ist das Gegenteil der Fall. Von einer toxischen Kultur des Lockdowns in zahlreichen Ländern spricht Georgette Gagnon vom UN-Hochkommissariat für Menschenrechte: "Wir haben beobachtet, wie Polizei und Sicherheitskräfte exzessive und manchmal tödliche Gewalt eingesetzt haben, um Ausgangssperren durchzusetzen. Die Opfer sind meist die Ärmsten und Gefährdetsten in der Gesellschaft. Dann gibt es willkürliche Massenverhaftungen für diejenigen, die die Ausgangssperren brechen. Das ist unnötig und auch nicht sicher. In Gefängnissen ist das Risiko, an dem Virus zu erkranken, schließlich besonders hoch."
In den Sahel-Staaten werden Polizei und Armee außerdem für Gräueltaten verantwortlich gemacht, die denen der Terroristen kaum nachstehen.
Anfang April, so berichtet Human Rights Watch, erschossen Sicherheitskräfte 31 unbewaffnete Männer, die sie bei einer Anti-Terror-Operation im Norden von Burkina Faso festgenommen hatten. Ein UN-Bericht wirft der malischen Armee sogar mehr als 100 solcher Hinrichtungen in den ersten drei Monaten des Jahres vor.
Noch einmal 30 Leben sollen nigrische Truppen auf dem Gewissen haben, die in Mali kämpfen. Der nigrische Abgeordnete Mano Aghali blickt entsprechend pessimistisch in die Zukunft. Von den langjährigen Partnern seines Landes verspricht er sich weniger Unterstützung als bisher, sie hätten schließlich selbst mit den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu kämpfen.
Noch mehr sorgt er sich um die Bürger- und Menschenrechte in der Region: "Es besteht die Gefahr, dass diese Rechte dauerhaft eingeschränkt werden, weil wir mit drei großen Krisen gleichzeitig konfrontiert sind: wir müssen gegen den Terrorismus kämpfen, gegen eine Drogenmafia und gegen COVID-19."
Von Stabilität ist der Sahel in Coronazeiten weiter entfernt denn je.