Bund und Länder haben sich am Mittwoch (06.05.2020) auf das weitere Vorgehen in der Coronakrise verständigt: Die Beschränkungen, die zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie eingeführt wurden, sollen weiter gelockert werden. Allerdings ist aber auch eine Art "Notbremse" vorgesehen: Kommt es in einem Landkreis zu mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche, sollen dort sofort wieder konsequente Beschränkungen gelten. Das heißt: Es soll stärker als bisher lokal entschieden werden, wie die Pandemie bekämpft wird.
Wie beurteilen Fachleute, die den Verlauf der COVID-19-Pandemie mit Hilfe von mathematischen Modellen betrachten, die Entscheidungen auf politischer Ebene? Viola Priesemann hat mit ihrer Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen im März damit begonnen, die Entwicklung der Pandemie in Deutschland zu modellieren. In ihren Berechnungen haben die Wissenschaftler immer auch die Wirkungen der verhängten Corona-Maßnahmen miteinbezogen. Ende April veröffentlichten sie ein Strategiepapier zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie aus der Sicht der epidemiologischen Infektiologie. Aus dieser Perspektive bewertete Priesemann für den Dlf die nun beschlossenen weiteren Lockerungen der Corona-Beschränkungen.
Deutschland habe angesichts des deutlichen Rückgangs von Corona-Neuinfektionen eine "wahnsinnige gute Chance", die Pandemie wirklich unter Kontrolle zu bekommen, meint Priesemann. Aktuell ginge es darum, die Zahl der Neuinfektionen so weit zu senken, dass die verbleibenden Infektionsketten nachverfolgt und gestoppt werden können. Damit wäre die Ausbreitung des Virus unter Kontrolle und das Ziel, keine Neuinfektionen mehr, in Reichweite. Davon sei man in Deutschland nicht weit entfernt.
Wirtschaftswissenschaftler, Pädagogen und andere Disziplinen teilten die Ansicht, dass es extrem wichtig sei, in den kommenden zwei Wochen die Zahl der Corona-Neuinfektionen so weit zu senken, dass es kaum noch zu Ansteckungen kommt. Es sei ein qualitativer Unterschied, ob man gar keine Neuinfektionen mehr habe oder weiter auf einem wenn auch geringen Level laviere. So lange man ein gewisses Level von unerkannten Infektionsketten habe, sei die Gefahr eines Ausbruchs jederzeit gegeben, betonte Priesemann. Wenn dagegen das Ziel "null Neuinfektionen" erreicht sei, könne das Land wieder mit gutem Gewissen komplett geöffnet werden.
Das wird man erst im Nachhinein wissen. Ob der bisherige Trend eines deutlichen Rückgangs der Corona-Neuinfektionen anhält, hänge weiter maßgeblich vom Verhalten aller in Deutschland ab, so Priesemann. Wenn alle weiterhin sehr, sehr vorsichtig seien, - das heißt, die Abstands- und Hygieneregeln befolgen – könne man darauf hoffen, dass der Trend anhalte und man die Pandemie unter Kontrolle bekomme.
Der beschlossene Grenzwert für Neuinfektionen sei sehr sinnvoll, lobte Priesemann. Indem man lokal darauf achte, dass die Zahl der Neuinfektionen nicht zu sehr steige, könne verhindert werden, dass es in Deutschland zu einer zweiten Infektionswelle komme. Und wenn es auf lokaler Ebene keine Neuinfektionen mehr gebe, könne man dort auch besser Beschränkungen lockern.
Momentan bestehe in Deutschland eine gute Chance, die Zahl der Neuinfektionen gegen Null zu bekommen. Wenn die Zahl der Neuinfektionen jedoch wieder steigen sollte, müsse man sich eine zweite Chance erarbeiten, die Fallzahlen wieder zu reduzieren. Dazu wären wieder einige Kraftanstrengungen notwendig, warnte Priesemann.