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COVID-19
Kommt eine zweite Welle?

In Deutschland steigt wieder die Zahl der Corona-Neuinfektionen. Sollte es nach den Schulferien zu einer zweiten Welle kommen, müssen die Konsequenzen dennoch nicht dramatisch sein, so die Einschätzung von Dlf-Wissenschaftsjournalist Volkart Wildermuth. Regierung und Bevölkerung seien vorbereitet.

Von Volkart Wildermuth |
Einige Menschen sitzen mit Mundschutz in der Straßenbahn in Hannover.
Die Zahlen der Corona-Infektionen werden wieder steigen, da sind sich Experten einig - doch Abstand halten und Maske tragen kann helfen, die Gefahr in Schach zu halten (dpa / Ole Spata)
Die Zahl der bestätigten Coronavirus-Fälle in der Bundesrepublik steigt wieder. Das liegt an den Ausbrüchen im Schlachtbetrieb Tönnies im Kreis Gütersloh und weiteren Ausbrüchen in Göttingen und Berlin in Zusammenhang mit Glaubensgemeinschaften, so das Robert Koch Institut. Das sind lokal begrenzte Geschehen und doch lassen sie auch bundesweit die Reproduktionszahl über 2,0 steigen, die Epidemie breitet sich also nach Wochen des Rückgangs erneut aus. Ist das aber der Beginn einer zweiten Welle?
Grafik: Die Entwicklung des Coronavirus in Deutschland
Die Reproduktionszahl – Wert und Aussagekraft
Schon vor Beginn des Lockdowns war die Reproduktionszahl des Coronavirus kleiner als eins. Kritiker argumentieren deshalb, das weitgehende Kontaktverbot sei nicht nötig gewesen. Doch was genau sagt die Reproduktionszahl eigentlich aus?

Was versteht man unter einer zweite Welle?

Die zweite Welle ist kein wissenschaftlich exakt definierter Begriff und deshalb gibt es ganz unterschiedliche Bedeutungen. Für die einen ist jeder Neuanstieg der Fallzahlen eine zweite Welle, andere würden erst davon sprechen, sobald es zu einer Überforderung des Gesundheitssystems kommt.
So richtig aufgefallen ist das Phänomen der zweiten Welle bei der Spanischen Grippe. Die führte im Frühjahr 1918 zu vielen Todesfällen, und dann schien sie zu verschwinden, um im Herbst 1918 wiederzukommen. Und in dieser zweiten Welle starben viel mehr Menschen wohl auch, weil sich eine aggressivere Mutation des Influenzavirus durchgesetzt hatte. Und im Frühjahr 1919 gab es dann sogar noch eine dritte Welle.
Schwarzweiß-Aufnahme um 1918: Frauen mit Mundschutz stehen mit Tragen neben Krankenwagen des Roten Kreuz in St. Louis.
Spanische Grippe - Schlimmer als Corona
Leere Straßen, leere Züge. Alles geschlossen. Ein Virus hält Europa und die ganze Welt im Griff. Die Rede ist nicht von heute, sondern vom Herbst 1918. Vor 102 Jahren, nach dem ersten Weltkrieg wütete die Spanische Grippe.
Generell schwankt zum Beispiel auch die Zahl der Grippefälle (Influenzafälle) sehr stark mit den Jahreszeiten. Viele Viren kommen besser mit eher kaltem, trockenem Klima zurecht und verschwinden deshalb in den warmen feuchten Sommermonaten. Bei SARS-CoV-2 scheint diese Saisonalität allerdings nicht besonders stark ausgeprägt zu sein. Länder in ganz unterschiedlichen Klimazonen haben schwere Ausbrüche. Es könnte sein, dass dem neuen Coronavirus die Ausbreitung im Herbst wieder leichter fällt, aber das allein dürfte wohl kaum eine echte zweite Welle auslösen.

Was kann eine zweite Welle auslösen?

Unser aller Verhalten kann eine zweite Welle auslösen. Deutschland hat es ja mit dem Shutdown geschafft, die Ausbreitung des Virus deutlich zu bremsen, aber deshalb ist der Erreger ja nicht verschwunden. Sobald sich die Gelegenheit ergibt, wird er sich wieder ausbreiten. Also wenn es Lockerungen gibt, die Abstandsregeln mehr und mehr ignoriert werden, wenn es mehr Begegnungen gibt am Arbeitsplatz, beim Einkaufen, im Kino, dann werden geradezu zwangsläufig auch die Ansteckungszahlen wieder steigen. Vielleicht noch nicht in den nächsten Wochen, die Ferien entzerren da viel, verringern erstmal die Kontakte. Aber wenn die Schulen wieder losgehen und die Leute wieder arbeiten – und vielleicht vorher im Urlaub in ganz unterschiedlichen Regionen waren -, dann werden die Zahlen steigen, da sind sich die Experten einig.
Interaktive Karte mit COVID-19-Statistiken vom Zentrum für Systemwissenschaft und Systemtechnik der Johns Hopkins University in Baltimore
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Gibt es international Beispiele für erneut steigende Zahlen?

Global sind wir nach wie vor in der ersten Welle. Aber in einzelnen Nationen sieht man schon dieses Auf und Ab. Im Iran beispielsweise, da gab es ja Ende März einen großen COVID-19-Ausbruch, dann gingen die Zahlen nach einem Lockdown im April runter. Aber seit die Shoppingzentren und Basare wieder offen sind, die Wallfahrtszentren und die Cafés, da steigen die Zahlen wieder und lagen Anfang Juni sogar höher als im März. Auch in Costa Rica, Bulgarien oder Schweden gab es einen zweiten Anstieg.
Aktuell ist das auch in Israel zu sehen. Da gab es einen massiven Lockdown, die Leute durften sich nur noch in der Nähe ihrer Wohnung aufhalten. Und das hat funktioniert, im Mai gab es nur noch ein paar Fälle pro Tag, viel weniger als bei uns. Aber mit den Lockerungen stiegen auch die Infektionen stark an. Am Freitag und Samstag wurden um die 300 Fälle gemeldet, bei einer Bevölkerung von nur knapp neun Millionen. Nebenbei gesagt sind auch viele Kinder positiv getestet worden. Entsprechend wurden auch schon wieder Schulen geschlossen. Selbst das Nationale Corona Informationszentrum spricht in Israel inzwischen von einer zweiten Welle.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)

Wäre eine zweite Welle auch mit einer steigenden Belegung der Intensivbetten und höheren Todeszahlen verbunden?

Das muss nicht sein, es hängt davon ab, wie Israel oder auch ein anderes Land reagiert. Als es in Peking zu einem neuen Anbruch kam, haben die Behörden ein ganzes Stadtviertel stillgelegt. Auch Südkorea konnte lokale Ausbrüche lokal erfolgreich eindämmen. Deshalb würde Dlf-Journalist Volkart Wildermuth eher nicht von einer zweiten Welle sprechen. Aber dieses massive Gegensteuern, das geht auch zurück auf die Angst vor einer zweiten Welle.
Nur wenn sich das Virus nicht nur in einzelnen, vielleicht durchaus großen, aber eben doch isolierten Ausbrüche hinaus erneut breit in der Bevölkerung ausbreitet, dann kann man von einer zweiten Welle sprechen. Aber auch dann müssen die Konsequenzen nicht so dramatisch sein.
Ein leeres Bett steht in der Intensivstation des Prosper Hospitals in Recklinghausen. Durch die Ausbreitung des Coronavirus und die Zunahme der Fallzahlen werden derzeit bundesweit Eingriffe verschoben und die Intensivbettenkapazität aufgestockt.
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Warum müssen Konsequenzen bei einer zweiten Welle nicht so drastisch sein?

Regierungen und auch die Bevölkerungen sind auf eine zweite Welle vorbereitet. In Deutschland zum Beispiel gibt es inzwischen mehr Beatmungsplätze, die Intensivstationen sind besser vernetzt, die Gesundheitsämter haben zusätzliches Personal erhalten, es gibt die Corona-Warn-App, die Menschen wissen, was Social Distancing bedeutet. Deshalb gehen Forscher von der London School of Hygiene and Tropical Medicine generell davon aus, dass die Reproduktionszahl R nicht wieder dauerhaft auf Werte um drei ansteigen wird. Das gibt es aktuell nicht einmal in Brasilien.
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Sind die Ausbrüche etwa bei Tönnies und in Göttingen Anzeichen einer zweiten Welle?

Das ist eher eine Frage der Definition. Klar, die Zahlen waren schon weiter unten, aber Deutschland hatte das Virus nicht so weit zurückgedrängt wie zum Beispiel Israel. Die Ausbrüche gehören nach Einschätzung von Wildermuth noch zu unserer ersten Welle. Die wurde ja am Anfang von jungen Erwachsenen getragen, Stichwort Ischgl, und wurde dann nach und nach immer breiter in die Bevölkerung getragen. Und weil das Virus überall ist, wenn auch dank des Lockdowns auf niedrigem Niveau, dann kann es auch zu Ausbrüchen kommen, wenn die Gelegenheit aus Sicht des Virus günstig ist.
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Im Herbst werden die Zahlen wohl weiter steigen, vielleicht weil kältere Bedingungen eben doch eine Rolle spielen, das scheint ja bei den Schlachtereien ein Faktor zu sein. Ganz sicher wird es im Winter die ganz normale Grippewelle geben, das könnte auch SARS-CoV-2 einen zusätzlichen Schub geben. Also eine zweite Welle im Sinne steigender Infektionszahlen, die wird wohl kommen, aber eine zweite Welle im Sinne von einer nationalen Überforderung, die sollte sich vermeiden lassen.
Nun ist eine Studie in Nature Human Behaviour erschienen, die verschiedene Szenarien in Modellen durchspielt. Dabei zeigt sich: Zur Beherrschung einer zweiten Welle ist nicht unbedingt ein erneuter Shutdown erforderlich. Auch Social Distancing, Händewaschen, Masken können das Virus ausreichend ausbremsen um die Krankheitslast und die Zahl möglicher Todesfäll dramatisch zu senken. Aber das erfordert natürlich Anstrengungen auf der politischen Ebene und auch bei uns allen. Deshalb: Nach wie vor Abstand halten und Maske nicht nur lässig um den Hals tragen, sondern richtig aufsetzen!
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