"Gesundheitsamt Neukölln, guten Tag." - Die Telefone klingeln ohne Unterlass. Etwa alle zehn Sekunden wählen die Neuköllner die Corona-Hotline des Gesundheitsamtes: Ich bin in Quarantäne, aber mein Hund muss raus. Kann jemand meine Mutter versorgen, ich darf sie nicht mehr besuchen.
Es kommen aber auch Hilfsangebote: Eine Medizinerin bietet ihre Unterstützung an, ein Schausteller stellt seine Autos zur Verfügung. Neuköllns Gesundheitsstadtrat Falko Liecke freut sich:
"Das sind großartige Hilfsangebote, gerade wenn wir Menschen von heute auf morgen mit Einkäufen versorgen müssen, das können nicht alles Verwaltungsmitarbeiter machen. Da bin ich dankbar für solche Unterstützung".
An der Wand hängt ein Stadtplan von Neukölln. Gelbe, grüne und orangefarbene Klebezettel markieren die Wohnungen von Infizierten und die ihrer Kontaktpersonen. Und die Orte, an denen sich besonders viele Menschen angesteckt haben könnten. Ein Großraumbüro, ein Club, eine Schule, eine Arztpraxis – ein infiziertes Kind könnte das ganze volle Wartezimmer angesteckt haben.
"Ich rufe Sie vom Gesundheitsamt Neukölln an. Sie waren in der letzten Woche in der Kinderarztpraxis XX. Und ich wollte nachfragen, wann genau waren Sie in der Praxis? Es gibt einen Corona-Fall."
Gummibärchen und Schokolade für die Nerven
13:00 Uhr, Sitzung des Krisenstabes im kleinen Kreis. Wir brauchen die Leute dringend für andere Aufgaben, sagt Gesundheitsstadtrat Liecke.
"Und die schicken wir jetzt auf die Straße, zur Umfeldermittlung, auch zur Ermittlung der Kontaktpersonen, um Abstriche zu machen natürlich."
Auf dem Tisch Gummibärchen und Schokolade, alle brauchen Nervennahrung. Amtsarzt Nicolai Savaskan gibt einen Überblick.
"Also erst mal zur Lage deutschschlandweit..."
Ab heute – Dienstag - sind die Berliner Schulen und Kitas komplett geschlossen. Haben alle Eltern hier im Krisenstab eine Kinderbetreuung? Und weiter: Ab sofort steht ein drittes Fahrzeug zur Verfügung.
"Das wird auch gebraucht, die Kontaktzahlen können Sie hier an der Karte sehen, wir haben acht Orte, an denen erhöhte Infektionsgeschehen stattfinden oder stattfanden."
Lungenkrankheit COVID-19 - Wie gefährlich ist das neue Coronavirus?
Die Zahl der Infizierten mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 steigt trotz Gegenmaßnahmen vieler Regierungen weiter – auch in Deutschland. In fast allen Bundesländern schließen daher von dieser Woche an flächendeckend Schulen und Kindertagesstätten.
Die Zahl der Infizierten mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 steigt trotz Gegenmaßnahmen vieler Regierungen weiter – auch in Deutschland. In fast allen Bundesländern schließen daher von dieser Woche an flächendeckend Schulen und Kindertagesstätten.
Auf dem Tisch liegen die vorbereiteten Schreiben, die den Infizierten, den direkten Verwandten, Freunden und Kollegen überreicht werden. "Anordnung der häuslichen Isolation - Quarantäne gemäß Paragraf 28 des Infektionsschutzgesetzes" - so die Überschrift. Was ist mit denjenigen, die sich weigern? Wird die Quarantäne überwacht?
"Wir haben das so durchgegeben, dass sich die in Quarantäne befindlichen Personen bei uns täglich melden. Auch das hat Grenzen. Die Telefonleitungen bei über 500 Kontaktpersonen, das wird schwierig zu managen sein. Aber klar, das ist Teil unserer Aufgabe."
Die Tür geht auf, ein Mitarbeiter des Gesundheitsamtes schwenkt den Ausdruck einer auf Portugiesisch verfassten E-Mail. Schlechte Nachrichten: Ein kranker Brasilianer, der inzwischen in sein Heimatland zurückgekehrt ist. Im Flugzeug dürfte er viele Passagiere angesteckt haben, die Airline muss informiert werden. Noch gravierender: Vor zehn Tagen feierte der Brasilianer ausgiebig im bekannten Technoclub Tresor. Amtsarzt Savaskan ist besorgt – haben sich doch bereits viele im Berliner Nachtleben infiziert.
"Wir haben die großen Ausbrüche in diesem einen Club gehabt und auch einer Party, klar, das sind die Hotspots. Wir haben bis jetzt 48 Fälle über diese Clubs gehabt. Und jetzt diesen Fall, wir werden sehen, was da noch reinkommt."
Quarantäne-Zeit anderer Clubbesucher bemessen
Andreas Runau zieht den Fall auf seinen Schreibtisch – mithilfe einer Übersetzer-App versucht er die Einzelheiten des ärztlichen Dokuments aus Brasilien zu verstehen. Wir müssen wissen, wann die ersten Symptome auftraten, erklärt er, danach bemisst sich die Quarantäne-Zeit der anderen Clubbesucher. Die dürften schwer aufzufinden sein.
"Wichtig wäre jetzt natürlich der Technoclub Tresor. Der ist jetzt natürlich geschlossen, wir hoffen, dass es da eine Notnummer gibt und hoffen, dass sie sich mit denen in Verbindung setzen können."
Ein Neuköllner Freund des infizierten Brasilianers hat eine Liste mit 12 Namen, E-Mail-Adressen und Telefonnummern mitgeschickt – wahrscheinlich haben sich diese 12 Personen angesteckt. Sie müssen schnell kontaktiert und dann in Quarantäne geschickt werden.
Neuköllns Amtsarzt Nicolai Savaskan und Gesundheitsstadtrat Falko Liecke sind vorsichtig optimistisch. Klar, mehr Schlaf wäre besser, aber noch sei alles stemmbar.
"Eine gewisse Aufgekratztheit, aber im Grunde genommen auch eine große Zufriedenheit, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitsamt, die den Ruf haben, sie seien mehr 'Amtsleute', mit der entsprechenden Attitüde, dass das eben nicht der Fall ist."
"Wir haben hier wirklich unglaublich viele hochengagierte Kolleginnen und Kollegen, die hier momentan knüppeln, was das Zeug hält. Deshalb habe ich ein gutes Gefühl, dass wir das in den Griff kriegen."
Die normale Arbeit im Gesundheitsamt muss liegen bleiben, die meisten Eingangs-Schuluntersuchungen fallen aus. Die Infektionsketten unterbrechen – das ist das erklärte Ziel, das keinen Aufschub duldet.
"Können wir jetzt formal die Runde schließen? Ansonsten gutes Gelingen für heute."